Recht und Kapitalmarkt

Erbschaftsteuerreform muss nachgebessert werden

Für Familienunternehmen vielfach existenzielle Bedrohung - Erheblicher Korrekturbedarf im Vergleich zu anderen Ländern

Erbschaftsteuerreform muss nachgebessert werden

Von Rainer Lorz *) Zur Sicherung des Fortbestandes von Familienunternehmen plant die Bundesregierung eine Erleichterung der Erbschaftsteuerbelastung. Demnach soll eine Übertragung von “produktivem” unternehmerischem Vermögen dann erbschaftsteuerfrei sein, wenn das Betriebsvermögen über mindestens zehn Jahre in der Hand des Nachfolgers bleibt. Rechtstechnisch soll dies in der Weise bewerkstelligt werden, dass in jedem Jahr der Betriebsfortführung 10 % der festgesetzten und zunächst gestundeten Erbschaftsteuer erlischt.Tatsächlich stellt die Erbschaftsteuerbelastung für viele Familienunternehmen eine existenzielle Bedrohung dar, da sie die Investitionsmöglichkeiten für Jahre reduziert bzw. unmöglich macht und die typischerweise geringe Eigenkapitalquote weiter verschlechtert. Zudem darf nicht übersehen werden, dass die Erbschaftsteuer aus bereits versteuertem Einkommen zu entrichten ist. ChancengleichheitDa die Erbschaftsteuer nur Familienunternehmen und nicht Publikumsgesellschaften belastet, soll zudem eine Chancengleichheit gegenüber Konzernen im Streubesitz hergestellt werden. Aber auch im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei größeren Familienunternehmen bei der Erbschaftsteuerbelastung im oberen Drittel.Viele Länder haben diese Problematik vor Jahren erkannt und die Erbschaftsteuer für Familienunternehmen ausnahmslos abgeschafft (unter anderem Spanien, Schweden, Kanada, Australien, Neuseeland) bzw. deutliche Erleichterungen geschaffen (z. B. Großbritannien, Belgien, Österreich, Irland). Vor diesem Hintergrund scheint eine Reform der Erbschaftsteuer in Deutschland dringend geboten. Allerdings weisen die bisherigen Reformvorschläge erheblichen Korrekturbedarf auf. Praktisch kontraproduktivBei Familienunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft soll die Erleichterung nach den bisherigen Überlegungen nur gelten, wenn der Erblasser oder Schenker mehr als 25 % der Anteile an der Gesellschaft hält. Diese bereits im derzeit geltenden Erbschaftsteuerrecht problematische Einschränkung ist gesetzessystematisch widersprüchlich und praktisch kontraproduktiv. Widersprüchlich, weil der Gesetzgeber im Einkommensteuerrecht gezeigt hat, dass er selbst die Grenze zwischen privater Kapitalanlage und unternehmerischer Beteiligung bereits bei 1 % sieht. Kontraproduktiv, weil bei Familienunternehmen eine schrittweise Heranführung der nächsten Generation im Rahmen einer geordneten Unternehmensnachfolge unabdingbar ist und weil die 25%-Grenze den Streit in vielen Familienunternehmen fördert, wenn sich durch die unterschiedliche Erbschaftsteuerbelastung der Gesellschafterstämme die in Familienunternehmen häufig anzutreffende feine Machtbalance verschiebt. Es versteht sich von selbst, dass die unterschiedliche Steuerbelastung von Gesellschaftern einer Familiengesellschaft wie Sprengstoff im Familienunternehmen wirken kann.Wenn als Begründung für die Ungleichbehandlung darauf hingewiesen wird, dass die Beteiligungsgrenze von 25 % ein Indiz dafür sei, dass der Anteilseigner nicht nur als Kapitalanleger auftritt, so verkennt dies die Rechtswirklichkeit. Auch bei Familienunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ist die Verfügbarkeit der Gesellschafter über ihre Anteile durch wechselseitige Vorkaufsrechte und Verfügungsbeschränkungen eingeschränkt; regelmäßig kann nur innerhalb der Familie ein Anteil verschenkt, vererbt oder verkauft werden.Statt der 25%-Regelung sollte eine Orientierung an der vom Gesetzgeber in § 17 EStG geschaffenen Grenze für die wesentliche Beteiligung von 1 % erfolgen. Diese Grenze reicht völlig aus, um unternehmerische Beteiligungen von Finanzbeteiligungen abzugrenzen. Die eigentliche Abgrenzung geschieht ohnehin über die vorgeschriebene Haltedauer von zehn Jahren. Alternativ könnten die rechtlichen Bindungen in den Familienunternehmen als Maßstab herangezogen werden. Zumindest sollten Anteile, die zum Zeitpunkt der Steuerentstehung durch gesellschaftsvertragliche Regelungen oder durch entsprechende Bestimmungen in einem Familienpoolvertrag untereinander verpflichtet waren, bei der Frage der Erfüllung der Mindestbeteiligungsquote als Einheit berücksichtigt werden. ArbeitsplatzklauselBesonders umstritten ist die in der aktuellen Debatte thematisierte Arbeitsplatzklausel. Voraussetzung für die Stundung und den vollständigen Erlass der Erbschaftsteuer soll nicht nur die Fortführung des Unternehmens über die Zehnjahreszeit, sondern auch der Erhalt einer bestimmten Anzahl von inländischen Arbeitsplätzen sein.In diesem Zusammenhang ist auf die Problematik der fehlenden Europarechtskonformität der Arbeitsplatzklausel in der vorgeschlagenen Form zu verweisen, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache “Barbier” klargestellt hat, dass die nationalen Gesetzgeber auch im Hinblick auf das Erbschaftsteuerrecht an die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts gebunden sind. Wenn die Erbschaftsteuervergünstigung nur an den Erhalt inländischer Arbeitsplätze anknüpft, stellt sich die Frage, wie dies mit dem Prinzip der Niederlassungsfreiheit in Übereinstimmung zu bringen ist. In diesem Zusammenhang ist auch auf eine Vorlage des Bundesfinanzhofes zum EuGH hinzuweisen. Hierin haben die obersten deutschen Finanzrichter die Frage aufgeworfen, inwieweit der Umstand, dass die derzeitigen erbschaftsteuerlichen Erleichterungen nur für inländisches Betriebsvermögen gewährt werden, die Kapitalverkehrsfreiheit verletzt.Da der vollständige Erlass der Erbschaftsteuer ohnehin die Fortführung des Unternehmens über den gesamten Zehnjahreszeitraum voraussetzt, sollte die Arbeitsplatzklausel richtigerweise gestrichen werden.Die Entwürfe zur Erbschaftsteuerreform sehen vor, dass nicht das gesamte Firmenvermögen in den Anwendungsbereich der Stundungs- und Erlassregelung fallen soll, sondern nur “produktiv” eingesetztes Vermögen. Vor allem Bargeld, Wertpapiere oder an Dritte vermietete Grundstücke sollen als “nichtproduktives” und somit nicht begünstigtes Vermögen eingestuft werden.Das mit dieser Unterscheidung verfolgte Anliegen des Gesetzgebers, unerwünschte Gestaltungen und Mitnahmeeffekte zu vermeiden, muss jedoch auf anderem Wege erreicht werden. Flüssige Reserven dürfen nicht künstlich aus dem Produktivvermögen herausgenommen werden, da das Ansparen für betriebliche Investitionen behindert würde. Auch kann es keinen Unterschied machen, ob eine Investition einen Tag vor oder einen Tag nach dem Tod des Unternehmers gemacht wurde. Zudem macht es keinen Sinn, einen Erben von “unproduktivem” Betriebsvermögen, der damit unternehmerisch aktiv wird und Arbeitsplätze schafft, steuerlich höher zu belasten als einen Erben von “produktivem” Vermögen. Derartige Kategorien müssen von den Steuerpflichtigen als willkürlich empfunden werden, was bei diesen zwangsläufig dazu führen wird, ihr Vermögen erbschaftsteuerlich und nicht unternehmerisch zu gestalten. Unerwünschten Gestaltungen könnte besser durch eine “Vorbesitzregelung” (etwa zwei bis fünf Jahre) und/oder die “Haltedauer” nach dem Erbfall (zehn Jahre) begegnet werden. Abwanderung verhindernVor dem Hintergrund der beschriebenen Effekte kann von einem sinnvollen Nutzen einzelner Ausgrenzungen keine Rede sein. Richtiger wäre es, durch möglichst uneingeschränkte Erleichterungen die durch die weitere Abwanderung von Unternehmen induzierten volkswirtschaftlichen Schäden zu reduzieren und durch den hiermit verbundenen Erhalt von Arbeitsplätzen das inländische Steueraufkommen zu sichern. Die wirtschaftlich zwingenden Gesichtspunkte lassen sich auch nicht durch Scheinargumente zur notwendigen Missbrauchsbekämpfung entkräften. Beides kann auch auf anderem Wege erreicht werden.*) Dr. Rainer Lorz LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner bei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart.