Recht und Kapitalmarkt

EU-Kommission drückt in der Finanzkrise aufs Tempo

"Fast-Track-Verfahren" in der Beihilfenkontrolle für Pakete zur Rettung von Banken etabliert - Reaktivierte Generalklausel

EU-Kommission drückt in der Finanzkrise aufs Tempo

Von Ulrich Soltész *) Die Rettungsbeihilfefälle im Finanzsektor haben in den letzten Wochen die Schlagzeilen dominiert. Northern Rock, WestLB, Fortis, Hypo Real Estate, Dexia, Bradford & Bingley, Sachsen LB, IKB, Roskilde usw. All diese Institute sind anschauliche Beispiele dafür, wie die Mitgliedstaaten versuchen, nationale Player in Ad-hoc-Aktionen zu stützen. Hinzu treten nun die umfassenden Maßnahmenpakete der Mitgliedstaaten zur Stützung des gesamten Bankensektors, die am Wochenende beim Gipfel in Paris beschlossen wurden, wie zum Beispiel verschiedene Garantieregelungen und Teilverstaatlichungen. Staatliche BeihilfenIn ihrer Rolle als Wächterin des europäischen Wettbewerbsrechts ist die Europäische Kommission zwangsläufig in diese Verfahren involviert. Denn die meisten dieser Stützungsmaßnahmen stellen (auch wenn dies gelegentlich von den Mitgliedstaaten bestritten wurde) ziemlich eindeutig staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 87 Abs. 1 EG-Vertrag dar. Diese Einschätzung ergibt sich wohl bereits aus der Tatsache, dass private Investoren den Banken Kapital zu nicht vergleichbaren Bedingungen zur Verfügung stellen wollen, was nach der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte eine Beihilfe indiziert (“market investor test”). Bis vor Kurzem hielt die Kommission konsequent an dem Dogma fest, dass in Bankenfällen die allgemeinen Regeln für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen gelten. Hiernach ist nur wenig Flexibilität möglich. Dies bedeutet auch, dass bis zu einer Genehmigung der betreffenden Rettungsmaßnahme durch die Kommission grundsätzlich das sogenannte Vollzugsverbot (“standstill clause”) gilt: Die Maßnahme kann grundsätzlich nicht in Kraft gesetzt werden, bevor die Kommission sie nicht ausdrücklich abgesegnet hat. Dies führt in Zeiten der Finanzkrise zu unbilligen Ergebnissen. Theoretisch sind die Rettungsmaßnahmen rechtlich noch nicht wirksam, bis die Genehmigung durch die Kommission vorliegt. Dies bedeutet auch, dass die staatliche Finanzmarktaufsicht eigentlich bis zum Zeitpunkt der Genehmigung durch die Kommission diese Stützungsmaßnahmen gar nicht berücksichtigen dürfte – ein offensichtlich sinnwidriges Resultat.Die Verfahren vor der Kommission müssen also so schnell wie möglich betrieben werden. Mittlerweile hat auch die Kommission die Dimension des Problems erkannt und daher ein “Fast-Track-Verfahren” eingeführt, nach welchem nicht mehr die Beschlussfassung durch die volle Kommission (27 Kommissare) erforderlich ist, sondern die Genehmigung von Rettungsbeihilfen auf ein vierköpfiges Gremium aus Kommissaren übertragen wurde. Dieses System ermöglichte es, dass in den Fällen Bradford & Bingley die Genehmigung bereits innerhalb von 24 Stunden erteilt wurde. Ebenso wurden die Rettungsaktionen in den Fällen Hypo Real Estate und Northern Rock innerhalb weniger Tage genehmigt. Dies sind bemerkenswerte Ergebnisse, die einen gewissen Gesinnungswandel zeigen, insbesondere bei Wettbewerbskommissarin Kroes. Denn vor allem die Abwicklung von Bradford & Bingley war eine komplexe Transaktion, die zu früheren Zeiten zumindest mehrere Wochen in Anspruch genommen hätte. “Kleine Revolution”Neben dieser Verfahrensbeschleunigung hat die Kommission einen weiteren Schritt vollzogen, der aus Sicht eines Wettbewerbsrechtlers eine “kleine Revolution” darstellen dürfte. Die in der Kommissionspraxis bisher völlig vernachlässigte Vorschrift des Art. 87 (3) b) EG-Vertrag wurde aus ihrem bisherigen Schattendasein geholt und zum Leben erweckt. Nach dieser Vorschrift können Beihilfen genehmigt werden, die “zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates” dienen. Bisher hatte die Kommission von dieser Vorschrift praktisch keinen Gebrauch gemacht, so dass sie auch als “virtually non-existent” bezeichnet wurde. Insbesondere in Bankenfällen, in denen diese Vorschrift häufig von den Mitgliedstaaten ins Feld geführt wurde, hatte sich die Kommission stets geweigert, eine Genehmigungsentscheidung auf diese Generalklausel zu stützen. Dies hat sich nun alles fundamental geändert. Nachdem Wettbewerbskommissarin Kroes in der letzten Woche erklärte: “We will not shy away if need be from applying the special provisions of Article 87 (3) (b) of the treaty”, hat die Kommission jetzt gleich mehrere Beihilferegelungen auf Grundlage dieser Klausel genehmigt und in dieser Woche eine Mitteilung zu diesem Thema erlassen. In dieser Mitteilung legt die Kommission eine bisher nicht gekannte Großzügigkeit bei der Genehmigung von Beihilfen an den Tag – aus Sicht der betroffenen Institute sicherlich eine sehr positive Überraschung, die auch in die Zeit passen dürfte. Bis vor wenigen Wochen war die Kommission allerdings im Finanzsektor weniger großzügig. Vor allem im Fall WestLB hatte sich Kommissarin Kroes durch Äußerungen hervorgetan, die nicht nur undiplomatisch waren. So stellte sie öffentlich fest, dass der von den deutschen Behörden vorgelegte Umstrukturierungsplan kein “sustainable business model” darstelle, und wünschte sich auch noch gleich die Neuorganisation des deutschen öffentlichen Bankensektors gemäß den ordnungspolitischen Vorstellungen der Kommission. Solche deutlichen Aussagen (die in laufenden Prüfverfahren völlig unangemessen sind) bestätigten den vielfach geäußerten Verdacht, dass die Kommission Beihilfeverfahren oft zur Durchsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Vorstellungen instrumentalisiert. Aus Sicht des betroffenen Mitgliedstaates war dies eine klare Kompetenzüberschreitung der Wettbewerbshüter. Eine solch schulmeisterliche Strenge lässt Frau Kroes in den letzten Tagen glücklicherweise vermissen. In der Sache ist dies sicherlich die richtige Entwicklung. Denn die Instrumentalisierung des Beihilferechts für politische Zwecke, wie dies in der Vergangenheit oft beklagt wurde, untergräbt die Glaubwürdigkeit des Beihilfekontrollsystems insgesamt.Dieses Kontrollsystem ist aber gerade dann besonders wichtig, wenn die Mitgliedstaaten zu tiefgreifenden Stützungsaktionen greifen. Ein Beispiel hierfür sind die umfassenden sektoralen Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten, die beim Gipfel in Paris beschlossen wurden. Diese können nämlich – dies hat das Garantiesystem in Irland gezeigt – durchaus zu heftigen Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn sie sich nicht auf das erforderliche Mindestmaß beschränken und zudem eine Privilegierung der “national players” bewirken. Hoffnungsschimmer Und noch bedenklicher ist die Tatsache, dass auch Drittstaaten (wie die USA, bei denen keine strengen Beihilfevorschriften gelten) ihre nationalen Player vehement unterstützen, was auch zu einer Wettbewerbsverzerrung zulasten der europäischen Institute führen kann. Insgesamt ist die neue modifizierte (d. h. gelockerte) Kommissionspolitik also sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung und gibt Anlass zur Hoffnung. *) Dr. Ulrich Soltész ist Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel.