RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: MARTIN KNAUP

EU will Wirksamkeit von Whistleblowing erhöhen

Künftig generelle Verpflichtung zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems

EU will Wirksamkeit von Whistleblowing erhöhen

Herr Knaup, die EU-Institutionen haben sich auf einen Richtlinienentwurf zum Thema Whistleblowing verständigt. Worum geht es?Beim Whistleblowing geht es um das Aufdecken von tatsächlichen oder behaupteten Missständen in Unternehmen. Häufig kann das Fehlverhalten innerhalb von Unternehmen ohne Hinweise aus der Mitarbeiterschaft oder Dritten kaum aufgeklärt werden. Whistleblowing-Systeme haben sich daher als wirkungsvolles Compliance-Element erwiesen. Dennoch begegnet das Thema auch erheblichen Widerständen und wird zum Teil als Ausdruck eines unerwünschten Denunziantentums abgestempelt. Darin zeigt sich, dass in Deutschland im Unterschied zu anderen Rechtskreisen noch keine positiv besetzte Hinweisgeberkultur existiert. Das Thema wirft somit nicht nur in rechtlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht spannende Fragen auf. Müssen Hinweisgeber nicht Angst haben, ihren Job zu verlieren, wenn sie ihren Arbeitgeber belasten?Tatsächlich bleiben Regelverstöße in Unternehmen nicht selten unentdeckt, weil sich Mitarbeiter angesichts der Gefahr arbeitsrechtlicher Repressalien davor scheuen, ihr Wissen zu teilen. Genau da setzt der Entwurf an und zielt auf den Schutz des Whistleblowers vor Kündigungen und anderen arbeitsrechtlichen Repressalien ab. Dabei darf mit Spannung der konkreten Umsetzung durch die Mitgliedstaaten entgegengeblickt werden, die einen erheblichen Ausgestaltungsspielraum haben. Wird Whistleblowing künftig zu- oder abnehmen? Welchen Effekt hat dies für Unternehmen?Effektives Whistleblowing scheitert regelmäßig am mangelnden Vertrauen potenzieller Hinweisgeber. Durch die Regelung konkreter Informationspflichten und eines geordneten Rückkopplungsprozesses verspricht der Entwurf, das Vertrauen in die Wirksamkeit des Verfahrens zu festigen. Gelingt es dem Gesetzgeber, dies effektiv auszugestalten, dürfte sich das sowohl auf die Quantität als auch auf die Qualität künftiger Meldungen positiv auswirken. Für Unternehmen bietet dies die Chance, frühzeitig interne Missstände zu identifizieren und notwendige Abhilfemaßnahmen zu treffen. Unsicherheit prägt die aktuelle Lage. Sollten Unternehmen abwarten oder proaktiv handeln?Unternehmen sollten das Momentum für eine kritische Analyse ihres aktuellen Compliance-Systems nutzen. Dabei ist zu beachten, dass die Verpflichtung zur Einrichtung eines Whistleblowing-Systems voraussichtlich bereits für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern gelten wird. Betroffen dürften daher insbesondere Unternehmen sein, die derzeit noch gar nicht über ein professionelles Compliance-System verfügen. Eine konkrete Verpflichtung zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems besteht aktuell aber nicht, oder?Abseits branchenspezifischer Spezialregelungen gibt es aktuell keine generelle Verpflichtung zur Einrichtung. Dennoch ist aus Sicht der Unternehmensleitung Vorsicht geboten: Es setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass Whistleblowing-Systeme besonders gut geeignet sind, Compliance-Verstöße zu vermeiden. Je mehr sich diese Ansicht als Best Practice etabliert, umso mehr verengt sich das der Geschäftsleitung zustehende Organisationsermessen bei der Frage, ob ein Hinweisgebersystem einzurichten ist. Halten bestehende Systeme den Anforderungen des Entwurfs stand, oder sind Anpassungen erforderlich?Da ein funktionierendes Hinweisgebersystem ein zentrales Element eines effektiven Compliance-Systems ist, sollten Unternehmen das eigene System als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen. Auf bestehende Hinweisgebersysteme wird in vielen Fällen aufgebaut werden können. Die neuen Regelungen enthalten aber auch konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung, wie beispielsweise zum Identitätsschutz oder zur Einrichtung des erwähnten Rückkopplungsprozesses. Diese gilt es zu berücksichtigen und existierende Systeme entsprechend anzupassen. Eine ganzheitliche Betrachtung scheint auch geboten, da es um eine Querschnittsmaterie geht, die Berührungspunkte zu einer Vielzahl unterschiedlicher, brandaktueller Rechtsbereiche aufweist. Martin Knaup ist Mitglied der Practice Area Disputes & Investigations von Taylor Wessing. Die Fragen stellte Walther Becker.