Europäischer Gerichtshof stellt EZB Freifahrtschein aus
Von Andrea München und Barbara Bayer *)Seit November 2014 ist die Europäische Zentralbank (EZB) unter dem System des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus für die Aufsicht über bedeutende Kreditinstitute zuständig. Die Beaufsichtigung der als weniger bedeutend eingestuften Institute obliegt im Wesentlichen den nationalen Aufsichtsbehörden.Ein Kreditinstitut gilt als bedeutend, wenn der Gesamtwert seiner Aktiva 30 Mrd. Euro übersteigt oder das Verhältnis der Aktiva zum Bruttoinlandsprodukt des Mitgliedstaats die 20-Prozent-Marke übersteigt und der Gesamtwert der Aktiva nicht unter 5 Mrd. Euro liegt. Zusätzlich kann die EZB ein Institut als bedeutend einstufen, das die national zuständigen Behörden ihr als für die betreffende Volkswirtschaft bedeutend angezeigt haben. Der Fall L-BankIm Jahr 2015 erhob die Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank (L-Bank) Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) gegen die Entscheidung der EZB, sie als bedeutendes Unternehmen einzustufen. Sie setzte sich damit gegen eine direkte Beaufsichtigung der EZB und die damit verbundenen Folgen zur Wehr. Am 16. Mai 2017 wies das EuG die Klage der L-Bank ab. Das EuG entschied in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass die von den nationalen Behörden im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus ausgeübte Aufsicht über die weniger bedeutenden Institute keine Ausübung einer autonomen Zuständigkeit darstellt, sondern die dezentralisierte Umsetzung einer ausschließlichen Zuständigkeit der EZB. Die nationalen Behörden seien eher als eine Art Unterstützung der EZB denn als autonome Kompetenz zu begreifen. Das EuG versperrte der L-Bank mit seinem Urteil den Weg aus der EZB-Aufsicht.Gegen diese – bereits damals kontrovers beurteilte – Entscheidung legte die L-Bank Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein. Am 8. Mai 2019 hat der EuGH letztinstanzlich über die sich stellenden Rechtsfrage entschieden. Der EuGH hat das erstinstanzliche Urteil bestätigt und die Rolle der EZB gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden weiter gestärkt.Das Urteil grenzt die Zuständigkeiten von EZB und nationalen Aufsichtsbehörden zugunsten der EZB ab. Der EuGH ordnet die nationalen Aufsichtsbörden wie BaFin und Deutsche Bundesbank in Bezug auf weniger bedeutende Institute als die EZB unterstützende dezentrale Behörden ein. Für bedeutende Institute ist die EZB per se zuständig. Ob für bedeutende Institute im Einzelfall eine ebenso wirksame und ausreichende Aufsicht durch die nationalen Aufsichtsbehörden sichergestellt werden könnte, ist nach Ansicht des EuGH für die Kompetenzverteilung zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden irrelevant.Mit einer Beaufsichtigung durch die EZB einhergehende personelle, organisatorischen und monetäre Belastungen des einzelnen Kreditinstituts werden nicht gegen die tatsächliche Notwendigkeit einer Aufsicht durch die EZB abgewogen. Vielmehr müssen “spezifische und tatsächliche” Umstände vorliegen, die eine Einstufung eines Kreditinstituts als bedeutend im Sinne der aufsichtsrechtlichen Vorgaben und Standards unangemessen machen.Die direkte Aufsicht über ein bedeutendes Institut durch nationale Behörden soll nur möglich sein, wenn Umstände vorliegen, die eine Einstufung des Kreditinstituts als bedeutend im Hinblick auf die Ziele der Übertragung der Aufsicht auf die EZB unangemessen erscheinen lassen. Feststellen kann diese Umstände nur die EZB.Das Urteil verdeutlicht den weiten Ermessensspielraum der EZB. Prüfungsmaßstab ist nicht, ob im konkreten Fall ein bedeutendes Institut doch besser durch die nationalen Behörden beaufsichtigt wäre. Ob eine qualitativ gleichwertige und weniger aufwendige Aufsicht des einzelnen Kreditinstituts durch nationale Behörden möglich ist, spielt keine Rolle. Einzig relevante Kriterien sind die Umstände, die die Angemessenheit oder Unangemessenheit der Einstufung des Kreditinstituts als bedeutend betreffen. Verhältnismäßigkeitserwägungen in Bezug auf die auszuübende Aufsicht fließen nicht in die Entscheidung über die Aufsicht ein.Das Urteil hebt ferner hervor, dass die EZB jederzeit zur Sicherstellung der in sich schlüssigen Anwendung ihrer Aufsichtsstandards, die Befugnisse der ihr übertragenen Aufsichtsaufgaben auch für weniger bedeutende Institute an sich ziehen kann.Im Ergebnis bedeutet das Urteil des EuGH, eine Bestätigung der nicht zwingend an Verhältnismäßigkeits- oder Erforderlichkeitsgesichtspunkten orientierten Weite der Zuständigkeit und des Handlungsspielraums der EZB, ohne dass der Nutzen einer europäischen Aufsicht im konkreten Einzelfall in Betracht gezogen werden muss. Der EuGH schränkt die Kompetenzen der EZB nicht ein, sondern stellt heraus, dass die formalen europäischen bankaufsichtsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Kompetenzverteilung uneingeschränkt anzuwenden sind.Für die L-Bank dürften sich die faktischen Folgen des EuGH-Urteils in Grenzen halten. Durch eine neue Regelung auf europäischer Ebene sollen Förderbanken zukünftig nicht mehr von der EZB, sondern (wieder) von den nationalen Aufsichtsbehörden beaufsichtigt werden.*) Andrea München ist Partnerin, Barbara Bayer Senior Associate der Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland.