Recht und Kapitalmarkt

Fluchtbewegungen nach der Phoenix-Pleite

Wertpapierhandelsunternehmen könnten sich einer Haftung entziehen - Verschiedene rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten

Fluchtbewegungen nach der Phoenix-Pleite

Von Kai-Uwe Steck und Christoph Gringel *) Das momentane System der Einlagensicherung für Wertpapierhandelsunternehmen erlaubt es einzelnen Unternehmen, sich – frei nach dem Motto: Rette sich, wer kann – bei geschickter rechtlicher Gestaltung den drohenden Zahlungsverpflichtungen im Zuge der Phoenix-Pleite zu entziehen. Dadurch könnte die Belastung für die übrigen Unternehmen steigen.In dem Betrugsfall der Phoenix Kapitaldienst hat die Gläubigerversammlung inzwischen den vom Insolvenzverwalter vorgeschlagenen Insolvenzplan mit großer Mehrheit angenommen. Allerdings haben zwei Investoren gegen die Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht sofortige Beschwerde eingelegt, über die nun das Landgericht Frankfurt zu entscheiden hat. Die ursprünglich für das dritte Quartal 2007 vorgesehene Auszahlung aus der Insolvenzmasse an die Anleger wird sich hierdurch deutlich verzögern – und damit wohl auch die Zahlungen der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) an die Anleger. Diese Zahlungen sollen grundsätzlich nach der Ausschüttung der Insolvenzmasse erfolgen, wobei aber von Seiten der EdW geprüft wird, ob mit den Auszahlungen bei einer zu langen Verzögerung der Ausschüttung der Insolvenzmasse nicht auch vorher begonnen werden kann. SonderbeiträgeDie momentanen Mittel der EdW von circa 5 Mill. Euro reichen nicht aus, um die Entschädigungszahlungen in Höhe von etwa 180 bis 200 Mill. Euro zu erbringen. In einem solchen Fall hat die EdW von ihren Mitgliedern gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) Sonderbeiträge zu erheben und Kredite aufzunehmen, um das Entschädigungsverfahren durchführen zu können. Nach Angabe der EdW will diese einen Rahmenkredit aufnehmen, um die Entschädigungszahlungen leisten zu können. Die EdW muss nicht zwingend Teile der Entschädigungssumme von Anfang an auch durch Sonderbeiträge finanzieren. Denn sie ist gesetzlich nicht verpflichtet, sowohl Sonderbeiträge zu erheben als auch Kredite aufzunehmen, da sie ansonsten zur Finanzierung von Entschädigungsverfahren auch dann Kredite aufnehmen müsste, wenn eine solche Finanzierung allein durch die Erhebung von Sonderbeiträgen möglich wäre. Eine solche Vorgehensweise wäre aber wirtschaftlich nicht sinnvoll, da so unnötigerweise die finanziellen Belastungen für die Mitgliedsunternehmen der EdW durch die Zinszahlungen erhöht würden. Aber selbst wenn die EdW zunächst die Entschädigungssumme durch einen Rahmenkredit vorfinanziert, kann sie für die Zinszahlung und die Tilgung des Kredites später Sonderbeiträge von ihren Mitgliedern erheben. Die Entschädigungssumme von etwa 180 Mill. Euro ist somit früher oder später von den Mitgliedern der EdW zu erbringen. ReaktionsmöglichkeitenDen Mitgliedsunternehmen der EdW stehen verschiedene Möglichkeiten offen, wie sie sich in dieser Situation verhalten können. Sie können den Bescheid der EdW über den Sonderbeitrag abwarten und den entsprechenden Sonderbeitrag an die EdW zahlen. Eine andere Möglichkeit ist, sich nach Erhalt des Bescheids über den Sonderbeitrag gegen diesen rechtlich zur Wehr zu setzen. Diese Strategie wird dadurch erschwert, dass Rechtsmittel gegen die Beitragsbescheide keine aufschiebende Wirkung haben. Das Mitgliedsunternehmen muss also trotz des eingelegten Rechtsmittels zunächst den eingeforderten Betrag an die EdW zahlen. Darüber hinaus sind auch die Erfolgsaussichten dieser Strategie ungewiss. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat vor drei Jahren entschieden (Az.: 6 C 20.03), dass die Erhebung der Jahresbeiträge für die EdW verfassungsgemäß ist, die Mitgliedsunternehmen also nicht in deren Grundrechten verletzt. Allerdings ist durch dieses Urteil noch keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Sonderbeiträgen getroffen worden, so dass ein Vorgehen gegen die Sonderbeiträge nicht völlig aussichtslos erscheint. Ausscheiden aus der EdWDie dritte – und rechtlich sicherste – Möglichkeit ist, sich durch eine legale “Flucht” aus der EdW den Sonderbeiträgen zu entziehen. Denn zur Zahlung der Sonderbeiträge sind gemäß § 5 Abs. 3 Verordnung über die Beiträge zu der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau nur die Unternehmen verpflichtet, die zum Zeitpunkt der Erhebung des Sonderbeitrags Mitglied der EdW sind. Zwar sind Wert-papierhandelsunternehmen zwangsweise Mitglied bei der EdW, allerdings bestehen grundsätzlich zwei Wege, dieser Pflichtmitgliedschaft zu entkommen. UpgradeDas Wertpapierhandelsunternehmen kann seinen Geschäftsbereich auf das Einlagen- und Kreditgeschäft erweitern. Hierdurch wird das vorherige Wertpapierhandelsunternehmen zu einem Einlagenkreditinstitut und gehört damit auch nicht mehr der EdW, sondern automatisch der Entschädigungseinrichtung für Einlagenkreditinstitute an; diese ist von der Phoenix-Pleite nicht betroffen. Allerdings ist eine solche Erweiterung des Geschäftsbereichs (“Upgrade”) mit einem erheblichen strukturellen Aufwand und zusätzlichen aufsichtsrechtlichen Anforderun-gen an das Unternehmen, wie z. B. eine erhöhte Ausstattung mit Eigenmitteln verbunden. SitzverlagerungEin anderer Weg besteht darin, dass das Wertpapierhandelsunternehmen seinen Sitz zumindest vorübergehend in einen anderen europäischen Mitgliedstaat verlegt. Hierdurch wird es Mitglied in der entsprechenden Einlagensicherungseinrichtung des anderen Mitgliedstaates und scheidet automatisch aus der EdW aus. Eine entsprechende Sitzverlegung lässt sich durch eine gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung des Unternehmens so realisieren, dass das Unternehmen nicht völlig verändert wird und ein Großteil der bestehenden Strukturen erhalten bleibt. Das Unternehmen kann aus dem europäischen Ausland heraus auch mittels des Europäischen Passes seine Dienstleistungen weiterhin in Deutschland anbieten. Hierfür kann es in Deutschland entweder eine Zweigniederlassung gründen, ohne dass diese Niederlassung Mitglied in der EdW würde, oder die Dienstleistungen im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs Kunden in Deutschland anbieten. Durch eine “Flucht” aus dem Sicherungssystem der EdW kann sich ein Wertpapierhandelsunternehmen der Pflicht zur Zahlung der Sonderbeiträge entziehen. Ein solches Vorgehen mag moralisch als bedenklich erscheinen, da es dem Grundprinzip einer Solidargemeinschaft – wie die EdW eine ist – zuwiderläuft. Allerdings kann eine solche Flucht für einige Unternehmen aus ökonomischer Sicht das geringere Übel sein. “Prisoner’s Dilemma”Dieses gilt umso mehr, als dass sich kein Unternehmen darauf verlassen kann, dass nicht andere Unternehmen von der bestehenden Fluchtmöglichkeit Gebrauch machen (“prisoner’s dilemma”) und sich somit der von den übrigen Unternehmen zu tragende Anteil an der durch die Phoenix-Pleite entstandenen Belastung weiter erhöht; im Markt sind klare Anzeichen zu erkennen, dass dieses Szenario keineswegs rechtstheoretischer Natur ist. Allein diese Fluchtmöglichkeit aus der EdW, die unternehmerisch gesehen umso erwägenswerter wird, je mehr (andere) Unternehmen sich so der Zahlungsverpflichtung entziehen, zeigt, dass das momentane System des Einlagensicherungssystems einer Überarbeitung bedarf.*) Dr. Kai-Uwe Steck ist Rechtsanwalt und Partner, Christoph Gringel Rechtsreferendar bei Dewey Ballantine in Frankfurt.