RECHT UND KAPITALMARKT

Gasversorger setzen auf Schiedsgerichte

Wenn bilaterale Lösungen scheitern und hochsensible und sehr komplexe Markt- und Preisthemen zwischen den Parteien strittig sind

Gasversorger setzen auf Schiedsgerichte

Von Karl Pörnbacher und Philipp Duncker *)Schiedsgerichte sind beziehungsweise waren in jüngerer Zeit mit einem erheblichen Teil der langfristigen Bezugsverträge der großen deutschen Gasversorger befasst. Sowohl Eon Ruhrgas als auch RWE haben mitgeteilt, dass sie sich in schiedsgerichtlichen Auseinandersetzungen mit ihren Lieferanten befinden. Die Verträge, um die es dabei geht, sind oft für 20 oder mehr Jahre abgeschlossene großvolumige Gaslieferkontrakte, die das Rückgrat der deutschen Gasversorgung bilden. Die jährlichen Umsätze unter diesen Verträgen liegen nicht selten in dreistelliger Millionenhöhe.Welche wirtschaftliche Bedeutung diese Auseinandersetzungen für die Beteiligten haben, zeigt die Meldung, in der Eon Ruhrgas die Beendigung einer Preisanpassungsstreitigkeit mit dem russischen Lieferanten Gazprom bekannt gegeben hat und gleichzeitig die Prognose des Nettoergebnisses für 2012 um etwa 1,8 Mrd. Euro nach oben korrigierte. In LangfristverträgenSchiedsverfahren über Preisanpassungen in ihren Langfristverträgen beschäftigen mittlerweile nicht nur Eon und RWE, sondern eine zunehmende Zahl der großen deutschen Gasversorger. Diese Entwicklung ist auf eine starke Veränderung des Gasmarkts in Kontinentaleuropa und auch in Deutschland in den vergangenen Jahren zurückzuführen.Neben der Gasmarktliberalisierung, die 1998 begann, hat sich auch die Nachfrage- beziehungsweise Angebotssituation auf dem globalen Gasmarkt entwickelt. So steigt beispielsweise die Nachfrage nach Gas in Asien und vor allem in China und Japan stark an. Gleichzeitig haben die USA durch die Entdeckung neuer Gasreserven in wenigen Jahren ihre Abhängigkeit von Gasimporten erheblich verringert. In Deutschland ist es mittlerweile möglich, größere Mengen Gas nicht nur über langfristige Verträge zu beziehen, sondern auch im Rahmen von kurzfristigen Lieferverhältnissen.Deren Laufzeit reicht von einem Tag bis zu etwa einem Jahr. Die Marktteilnehmer messen der langfristigen Versorgungssicherheit derzeit erheblich weniger Wert bei, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass der Gaspreis an den Handelsmärkten seit Mitte 2009 zeitweise deutlich unter dem Preis langfristiger Gaslieferverträge lag. Diese sind in Deutschland (wie in Kontinentaleuropa und Asien und anders als etwa in England oder den USA) traditionell überwiegend an den Ölpreis gebunden und damit von den Ölpreissteigerungen der jüngeren Vergangenheit beeinflusst.An den Handelsmärkten können neue Anbieter derzeit Gas in bestimmter Menge daher zu günstigeren Preisen beschaffen und mit den etablierten Versorgern in einen zum Teil sehr aggressiven Preiswettbewerb treten. Davon profitieren vor allem Gaskunden aus dem Industrie- und Kraftwerksbereich, die einen hohen Gasverbrauch haben und ganz besonders auf den Preis achten. Haushalts- und Gewerbekunden mit nur einem geringen Bedarf haben bis jetzt hingegen nur sehr eingeschränkt von dem stärkeren Wettbewerb profitiert. Sie sind – bestärkt durch die spektakuläre Insolvenz von Teldafax – nach wie vor nur in sehr beschränktem Umfang bereit, von ihrem traditionellen Gasversorger zu günstigeren Anbietern zu wechseln. Dieses Verhalten nutzen derzeit noch die lokalen Gasanbieter wie zum Beispiel Stadtwerke. Sie beziehen unter Verweis auf den erhöhten Wettbewerb ihr Gas von den großen Gasversorgern günstiger, geben jedoch diese Preisvorteile nur eingeschränkt an ihre Kunden weiter.Die Folge dieser Marktveränderungen ist in den Bilanzen vor allem der großen Gasversorger sichtbar, die ihren Gasbedarf noch weit überwiegend über ölgebundene Langfristverträge decken. Nach meist noch glänzenden Geschäftszahlen 2009 sind ihre Ergebnisse zunehmend unter Druck geraten. Mit PreisrevisionsklauselnNeben der Suche nach Alternativen zu den klassischen Vertriebswegen versuchen diese Unternehmen daher auch, den Wettbewerbsdruck als Argument zu nutzen, um wiederum den Preis für ihre eigenen langfristigen Gasbezüge zu drücken. Dies geschieht im Rahmen von sogenannten Preisrevisionsklauseln, die Langfristverträge in der Regel enthalten, weil die Parteien naturgemäß die Entwicklungen des Energiemarktes nicht über längere Zeiträume vorhersehen können. Jeder Vertragspartner kann daher meist alle zwei bis drei Jahre eine Überprüfung des vertraglichen Preises verlangen.Preisrevisionsklauseln regeln die Voraussetzungen, unter denen der Gaspreis an größere Marktveränderungen angepasst werden kann. Meist sind diese Bestimmungen nur sehr abstrakt formuliert, sodass in der Praxis erhebliche Auffassungsunterschiede darüber auftreten können, ob nun zum Beispiel eine wesentliche Veränderung des Energiemarktes vorliegt oder nicht.Traditionell werden Meinungsverschiedenheiten über Preisrevisionen zwischen den Vertragspartnern in intensiven Verhandlungen auf kaufmännischer Ebene gelöst. Dies ermöglicht es den Parteien insbesondere, Lösungen zu finden, die nicht nur den vertraglichen Rahmenbedingungen, sondern vor allem auch ihren kommerziellen Bedürfnissen entsprechen. Auseinandersetzungen vor Gerichten oder Schiedsgerichten nehmen nicht nur viel Zeit und Ressourcen in Anspruch. Sie können oft auch eine Belastung für die Geschäftsbeziehung darstellen und zu Ergebnissen führen, die letztlich keine Partei zufriedenstellen. Erst durch die eingangs beschriebenen Marktveränderungen sind die Unterschiede der Positionen der Vertragsparteien so groß geworden, dass sie sich zur Streitbeilegung an Dritte wenden müssen. Hohe Flexibilität gefragtInsoweit bevorzugen Parteien langfristiger Gaslieferverträge üblicherweise private Schiedsgerichte anstelle des staatlichen Richters. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst sind Preisanpassungsstreitigkeiten häufig sehr komplex und weisen eine enge Verbundenheit von rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen auf. Sie erfordern in der Verfahrensführung häufig eine hohe Flexibilität und Sachkunde. In Schiedsverfahren haben die Parteien die Möglichkeit, mit der Materie erfahrene Experten als Schiedsrichter zu benennen und das Verfahren ihren Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechend maßzuschneidern. So können etwa Fristen für Schriftsätze, die Beweisführung durch Zeugen oder Experten oder die Dauer und den Inhalt der mündlichen Verhandlung den Bedürfnissen der Parteien entsprechend geplant werden. Damit können alle rechtlichen und kommerziellen Fragen effektiv und umfassend dargestellt werden. Dies ermöglicht es dem Schiedsgericht, den Kern der Auseinandersetzung mit Hilfe der Parteien und Experten im Detail zu verstehen.Schließlich ist gerade in internationalen Vertragsbeziehungen zu beobachten, dass die Parteien oft nicht vor den staatlichen Gerichten des Vertragspartners und in dessen Landessprache verhandeln wollen. Im Übrigen sind Schiedsverfahren nicht öffentlich und zum Teil vertraulich. Dies ist deswegen besonders wichtig, weil beide Parteien hochsensible Markt- und Preisfragen diskutieren. Auch wenn es unter langfristigen Gaslieferverträgen in der Regel nicht zur Vollstreckung kommt, macht dies gerade im Geschäftsverkehr mit Parteien aus Ländern außerhalb der EU in vielen Fällen Schiedsvereinbarungen praktisch unverzichtbar.Gerade wegen der hohen Flexibilität von Schiedsverfahren und der Komplexität von Preisanpassungsstreitigkeiten ist es wichtig, diese strategisch zu planen und vorzubereiten. Damit wird sichergestellt, dass die Verfahren effizient und zügig durchgeführt werden. Idealerweise können im Rahmen des Schiedsverfahrens einige vor allem rechtliche Fragen verhältnismäßig einfach geklärt werden. Auf dieser Grundlage ist es den Parteien dann möglich, in Verhandlungen kaufmännische Lösungen zu vereinbaren. Abzuwarten bleibt, ob Parteien künftig auch verstärkt andere Methoden der Konfliktlösung wie zum Beispiel Mediation verwenden werden. Angesichts der langfristigen und komplexen Lieferbeziehungen dürfte dies ein vielversprechender Ansatz sein, um auch in Situationen, in denen bilaterale Verhandlungen scheitern, angemessene außergerichtliche Lösungen zu finden.—-*) Karl Pörnbacher ist Partner, Philipp Duncker Anwalt bei Hogan Lovells.