Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Alexander Kiefner

Gehaltsregeln lassen Spielräume

Herabsetzung der Vorstandsvergütung dürfte Ausnahme bleiben

Gehaltsregeln lassen Spielräume

– Herr Dr. Kiefner, das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) ist in Kraft. Die Änderungen betreffen vor allem neue Vorstandsverträge. Bleiben Altverträge verschont?Grundsätzlich sind – so auch die Gesetzesbegründung – Altverträge geschützt und müssen nicht geändert werden. Ein Eingriff in bestehende Verträge ist nur ausnahmsweise möglich, ansonsten gilt “pacta sunt servanda”, also Verträge sind einzuhalten. Geschützt sind auch bestehende Zusagen für eine D & O-Versicherung ohne Selbstbehalt. Nur bei Neuverträgen ist ein Selbstbehalt verpflichtend.- Wird es künftig noch möglich sein, variable Vergütungselemente kurzfristig – etwa jährlich – auszurichten?Durch das VorstAG werden bei börsennotierten Gesellschaften kurzfristige Vergütungsbestandteile nicht verboten, aber wir werden wegen der neuen gesetzlichen Vorgaben eine weitere Verlagerung zu langfristigen Komponenten sehen. Vor allem Ermessenstantiemen werden voraussichtlich seltener, denn künftig muss sich der gesamte Aufsichtsrat und nicht nur ein Ausschuss hiermit befassen. Der Trend dürfte zu “errechenbaren” Tantiemen gehen.- Muss der Aufsichtsrat künftig stärker die Gehälter nach persönlichen Leistungskriterien differenzieren?Eine Differenzierung nach Leistung ist schon heute verbreitete Praxis, zumal zwischen Aufgabengebiet und Leistung meist ein enger Zusammenhang besteht. Das VorstAG hat hier vor allem klarstellenden Charakter. Große Auswirkungen erwarte ich daher nicht.- Für Verunsicherung sorgt die Verschärfung der gesetzlichen Möglichkeit zur ausnahmsweisen Gehaltsherabsetzung in der Unternehmenskrise. Wie stark haben Aufsichtsräte in der Vergangenheit dieses Schwert genutzt?Bislang waren die Anforderungen sehr hoch, das Schwert also recht stumpf. Auch stand es im Ermessen des Aufsichtsrats, ob er tätig wurde. Die Aussicht, das Führungspersonal in der Krise als Reaktion auf eine Herabsetzung zu verlieren, wirkte sicher ebenfalls ermessensleitend. Somit kam die Regelung nur sehr selten zur Anwendung.- Ist in der Praxis mit einer Häufung der Fälle zu rechnen?Dem Gesetzgeber mag dies vorgeschwebt haben. Nach der Gesetzesbegründung soll eine Herabsetzung schon möglich sein, wenn ein Unternehmen Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und keine Gewinne mehr ausschütten kann – eine Situation, in der sich zurzeit nicht wenige Unternehmen befinden.- Also dürfte die Praxis zunehmen?Ob es deswegen zu einer starken Häufung kommt, beurteile ich gleichwohl zurückhaltend. Die Neuregelung lässt weiterhin Spielräume. Bestehende Verträge unterliegen der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, und für einen Eingriff bedarf es deshalb sehr guter Gründe. Für die Aufsichtsräte wird die Entscheidungsfindung aber schwieriger, zumal das VorstAG die Haftungsverantwortung des Aufsichtsrats betont und Vergütungsthemen noch stärker in den Fokus der Hauptversammlung rücken werden.- Was raten Sie also Aufsichtsräten?Der Aufsichtsrat sollte – auch zur eigenen Absicherung – frühzeitig Rechtsrat einholen. Oft wird auszuloten sein, ob besondere Gründe vorliegen, die gegen eine Herabsetzung sprechen. Zum Beispiel kann die Gesellschaft dringend darauf angewiesen sein, erfahrene Spitzenkräfte zu halten und zu verhindern, dass diese von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen.- Können unter der Neuregelung auch Ruhegehälter und Versorgungszusagen herabgesetzt werden?Ja, nach dem Wortlaut des Gesetzes auch für Vorstände, die in den letzten drei Jahren ausgeschieden sind. Auch hier rechne ich aber mit Zurückhaltung. Sonst könnten ehemalige Vorstände mit erdienten Versorgungsansprüchen in “Mithaft” genommen werden, obwohl sie die gegenwärtige Lage der Gesellschaft nicht zu verantworten haben.- Können sich Vorstände gegen unmäßige Herabsetzungen durch eine geschickte Vertragsgestaltung, etwa die Fixierung einer Vergütungsgrenze, schützen?Die gesetzliche Regelung geht vertraglichen Vereinbarungen grundsätzlich vor, weshalb ich zurückhaltend bin. Das Gesetz schützt den Vorstand durch ein Sonderkündigungsrecht. Vertragliche Regelungen mögen im Einzelfall sinnvoll sein, um einem Streit über den Umfang der Herabsetzung vorzubeugen.—-Dr. Alexander Kiefner ist Local Partner von White & Case im Büro Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.