Recht und Kapitalmarkt

Gesetze verschärfen Anforderungen an Aufsichtsräte

Vorschriftendickicht und höhere Haftungsrisiken lassen weitere Professionalisierung erwarten

Gesetze verschärfen Anforderungen an Aufsichtsräte

Von Hans-Ulrich Wilsing und Katharina Berger *)Erneut nimmt sich der Gesetzgeber die Aufsichtsräte vor. Wie bereits häufiger in den vergangenen Jahren wird ihre Tätigkeit stärker reguliert – diesmal gleich durch zwei neue Gesetze. Inzwischen sind Unternehmenskontrolleure in einem Dickicht von Vorschriften gefangen. Auch hat die steigende Zahl von Gerichtsentscheidungen zur Aufsichtsratshaftung dazu geführt, dass das Kontrollgremium zunehmend in die Schusslinie geraten ist; durch die Finanzkrise hat sich dieser Trend noch verstärkt.Unter dem großen Haftungsdruck könnte insbesondere die strategische Vorstandsberatung leiden, die neben der Kontrollfunktion zu den zentralen Aufgaben der Aufsichtsräte zählt. Damit die Aufsichtsräte den ständig wachsenden Anforderungen und der hohen Verantwortung überhaupt noch gerecht werden können, plädieren zahlreiche Fachleute für eine Professionalisierung der Tätigkeit. Breiteres AufgabenspektrumDas jüngst in Kraft getretene Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) erweitert und konkretisiert das Aufgabenspektrum des Aufsichtsrats. So muss künftig mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen. Dies gilt für alle kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften ab der ersten turnusmäßigen Neubesetzung des Aufsichtsrats. Neben Aktiengesellschaften können auch GmbHs und sogar Personengesellschaften von der neuen Vorschrift betroffen sein. Denn als “kapitalmarktorientiert” gilt ein Unternehmen dann, wenn es einen regulierten Börsenmarkt um Kapital anzapft.Als sogenannte Finanzexperten gelten Angehörige der steuerberatenden oder wirtschaftsprüfenden Berufe, aber auch Finanzvorstände oder fachkundige Angestellte aus dem Rechnungswesen und Controlling. Der Finanzexperte muss zudem unabhängig sein, d. h. er darf insbesondere in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand stehen, die einen Interessenkonflikt begründet.Ganz eindeutig ist diese Bestimmung nicht. Das ist misslich, weil über jedem Beschluss, den das Gremium in ungeeigneter Besetzung fällt, das Damoklesschwert der Nichtigkeit hängt. Die Regelung eröffnet damit ein neues Feld für Anfechtungsklagen. Außerdem wird die Neuregelung in der Praxis zu einem Haftungsgefälle zulasten des neuen Finanzexperten führen. Diesem werden im Innenverhältnis regelmäßig Sorgfaltspflichtverstöße des Kontrollgremiums im Bereich Finanzen zugerechnet werden. Das höhere Haftungsrisiko und auch die erforderliche Sachkunde wird sich der Finanzexperte entsprechend mit einem deutlich höheren Gehalt vergüten lassen.Die Überwachungseffizienz will der Gesetzgeber zudem dadurch steigern, dass er die Einrichtung eines Prüfungsausschusses durch den Aufsichtsrat gesetzlich anerkennt. Einem solchen Ausschuss obliegt zukünftig ein festes Aufgabenspektrum, das im Wesentlichen Überwachungspflichten hinsichtlich des Rechnungslegungsprozesses, des internen Kontroll- und Risikomanagements sowie der Abschlussprüfung umfasst. Die Arbeit des Gesamtgremiums Aufsichtsrat im Bereich Finanzen soll durch die Konzentration fachlicher Kompetenzen in einer kleineren arbeitsfähigen Einheit effizienter gemacht werden. Damit liegen die Regelungen des BilMoG letztlich im Trend der Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit.Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) hat zwar in erster Linie die Managervergütung zum Gegenstand. Allerdings ist der Aufsichtsrat – künftig sogar zwingend der Gesamtaufsichtsrat – für die Festsetzung des angemessenen Gehalts des Vorstands und damit für die Einhaltung der neuen Vorschriften verantwortlich – das Kontrollgremium gerät damit erneut ins Visier der Regulierung. So hat der Aufsichtsrat dafür zu sorgen, dass die Vorstandsbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen sowie zur Lage der Gesellschaft stehen – und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Insbesondere das neue Kriterium der “Üblichkeit” ist schwer bestimmbar. Hier werden Aufsichtsräte einem Haftungsrisiko ausgesetzt, dem sie künftig wohl nur mit Hilfe kostspieliger Gutachten entgehen können.Erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugt aber vor allem die neue Fassung der Vorschrift zur nachträglichen Herabsetzung der Vorstandsvergütung bei Verschlechterung der Lage der Gesellschaft ( 87 Abs. 2 AktG-E). War der Aufsichtsrat bisher nur bei einer existenzbedrohenden Lage der Gesellschaft zum Handeln verpflichtet, so soll künftig eine Herabsetzung bereits bei Entlassungen, Lohnkürzungen und Dividendenausfall erfolgen. Hier wird die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, die gerade in Krisenzeiten von oft entscheidender Bedeutung ist, auf eine harte Probe gestellt. Dem einen Organ droht die Haftung, wenn es nicht handelt, dem anderen die Gehaltskürzung – und dies in einer Situation, die den vollen Einsatz der Organe für die Gesellschaft erfordert.An der Norm über die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder hat der Gesetzgeber inhaltlich nichts geändert. Es wurde lediglich, so heißt es in der Gesetzesbegründung, eine klarstellende Formulierung zur Schadenersatzpflichtigkeit bei unangemessener Vergütungsentscheidung aufgenommen. Dennoch werden die Überregulierung der Vergütungsentscheidung und die Hervorhebung der Verantwortlichkeit des Kontrollgremiums den Aktionären genügend Stoff geben, um aktienrechtliche Sonderprüfungen einzuleiten.Die Haftung wird sich damit zum Reizthema auf Hauptversammlungen entwickeln, und der Aufsichtsrat wird haftungsrechtlich in die Schusslinie gedrängt. Um einer Haftung vorzubeugen, sollten Aufsichtsräte künftig Vergütungsentscheidungen noch sorgfältiger dokumentieren. Insbesondere sollten die zur Entscheidung herangezogenen Informationsgrundlagen, der Diskussionsverlauf in der Sitzung und das Abstimmungsverhalten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder festgehalten werden. Auswirkungen spürbarNoch haben die Unternehmenskontrolleure Zeit, sich auf die Neuerungen des VorstAG einzustellen. Das Gesetz wurde am 10. Juli vom Bundesrat verabschiedet, mit einem Inkrafttreten ist im August zu rechnen. Allerdings sollten sie sich keinesfalls mit der Begründung zurücklehnen, dass das neue Angemessenheitsgebot erst auf neue Anstellungsverträge Anwendung findet. Schließlich wird die Herabsetzungsnorm letztlich dazu führen, dass die neuen Angemessenheitskriterien sozusagen “durch die Hintertür” zur Anwendung kommen, indem eine Herabsetzung auf ein angemessenes Maß erfolgen muss. Was angemessen ist, richtet sich dann insgesamt wohl nach den neuen Vorschriften.Bislang noch nicht aufgegriffen hat der Gesetzgeber eine Empfehlung der EU-Kommission, wonach das Kontrollgremium einen Vergütungsausschuss mit mindestens einem Experten für Vergütungssysteme bilden soll. Das Thema Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit ist also nicht nur ein deutscher Trend.Mit Blick auf die anhaltende Krise und ihre Folgen ist die starke Verrechtlichung der Aufsichtsratstätigkeit insgesamt zwar verständlich. Andererseits ist sie aber auch riskant. So stellt sich die Frage, ob sich angesichts der immer größeren Haftungsrisiken und der starken zeitlichen Beanspruchung noch ausreichend erfahrene, qualifizierte Kandidaten für die Aufsichtsratstätigkeit finden lassen. Höhere Haftungsrisiken und eine stärkere Professionalisierung werden außerdem dazu führen, dass die Vergütung für Aufsichtsräte steigen wird. Die Neuregelungen mögen dazu führen, dass zukünftig besser überwacht wird; große Zweifel bestehen aber daran, ob zukünftig noch genügend Raum für die mindestens genauso bedeutsame Beratung des Vorstandes bei unternehmerischen Entscheidungen bleibt.—-*) Hans-Ulrich Wilsing ist Partner, Katharina Berger Associate bei Linklaters.