Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Olaf Müller-Michaels

Griechenland-Hilfe juristisch schwer begründbar

Aber Untersagung durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts "unwahrscheinlich"

Griechenland-Hilfe juristisch schwer begründbar

– Herr Prof. Müller-Michaels, die EU-Länder haben ein Rettungspaket für Griechenland geschnürt. Die Vorschriften des Lissabon-Vertrags enthalten aber eine No-Bail-out-Klausel. Was versteht man darunter?Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 den EG-Vertrag (EG) abgelöst hat, enthält “Leitplanken” für die Haushalts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten, die für die Stabilität des Euro sorgen sollten.- Welche sind das?Dazu gehören die berühmt-berüchtigten Maastricht-Kriterien für die Staatsverschuldung (Gesamtverschuldung nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsprodukts BIP und jährliches Haushaltsdefizit nicht höher als 3 % des BIP, Art. 126 AEUV, früher Art. 104 EG), das Verbot einer Finanzierung über die “Notenpresse” (Art. 123 AEUV, früher Art. 101 EG) und das Verbot eines bevorrechtigten staatlichen Zugangs zu Finanzinstituten (Art. 124 AEUV, früher Art. 102 EG).- Was heißt das im Bezug auf Griechenland?Im Zusammenhang mit möglichen Staatshilfen für Griechenland besonders relevant ist die sogenannte No-Bail-out-Klausel des Art. 125 AEUV (früher Art. 103 EG). Danach dürfen weder die Union noch die Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaats eintreten oder für diese die Haftung übernehmen. Damit soll der Druck der Kapitalmärkte auf Mitgliedstaaten erhöht werden, die eine unsolide Haushaltspolitik betreiben. Es soll verhindert werden, dass einzelne Mitgliedstaaten als “Trittbrettfahrer” trotz hoher Defizite von der höheren Bonität ihrer Partner profitieren.- Bedeutet das Bail-out-Verbot also in letzter Konsequenz, dass die EU und die anderen Mitgliedstaaten gezwungen sind, einen Staatsbankrott Griechenlands hinzunehmen?Systematisch wäre das richtig, da das Bail-out-Verbot ohne die ultimative Insolvenzdrohung nicht glaubhaft und damit wirkungslos wäre. Auf der anderen Seite finden sich im EU-Vertrag eine Reihe von Vorschriften, die die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten betonen (z. B. Art. 3 Abs. 3 EUV). Ökonomisch wären die “Kollateralschäden” des Staatsbankrotts eines Mitgliedstaats der Eurozone für die EU kaum beherrschbar.- Wäre es möglich, dass sich Griechenland auf ein außergewöhnliches Ereignis beruft, um Hilfen zu rechtfertigen?Grundlage dafür wäre Art. 122 Abs. 2 AEUV (früher Art. 100 EG). Nach dieser Vorschrift kann die Union einem Mitgliedstaat finanziellen Beistand leisten, der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, in Schwierigkeiten geraten ist. Man wird sagen können, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ein solches Ereignis ist. Fraglich ist aber, ob die allgemeine Krise der Hauptgrund für die Schwierigkeiten Griechenlands ist oder nur der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.- Was meinen Sie?Die Staatsverschuldung Griechenlands war schon vorher erheblich zu hoch (laut Eurostat 95,6 % des BIP 2007). Die Hürden für die Währungsunion hatte Griechenland im Jahr 2001 nur mit falschen Zahlen übersprungen. Dies alles macht eine Hilfe der EU für Griechenland nach Art. 122 Abs. 2 AEUV juristisch schwer begründbar.- Das Rettungspaket sieht wohl deswegen keine Hilfe der EU, sondern der einzelnen Euro-Mitgliedstaaten unter Mitwirkung des IWF vor. Gibt es dafür Ausnahmen vom Bail-out-Verbot?Für Mitgliedstaaten, die nicht der Währungsunion angehören, erlaubt Art. 143 AEUV (früher Art. 119 EG) Beistandsleistungen bei Schwierigkeiten mit der Zahlungsbilanz, die das Funktionieren des Binnenmarkts gefährden. Zu diesen zulässigen Beistandsleistungen gehören namentlich “Kredite in begrenzter Höhe seitens anderer Mitgliedstaaten” (Art. 143 Abs. 2 c) AEUV). Eine solche Regelung gibt es für Euro-Mitgliedstaaten wie Griechenland nicht. Daraus könnte man im Umkehrschluss ableiten, dass ein Bail-out in der Eurozone generell nicht stattfinden soll.- Doch Brüssel sieht das anders.Die EU-Kommission stützt das Rettungspaket auf Art. 136 AEUV. Die durch den Vertrag von Lissabon neu geschaffene Vorschrift beschäftigt sich mit der Koordinierung und Überwachung der Haushaltspolitik der Euro-Länder und der Erarbeitung von Grundzügen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Leider ist eine nähere Begründung, wie die Kommission Art. 136 AEUV auf die Hilfen für Griechenland anwenden will, bisher nicht öffentlich zugänglich. Eindeutig ist die Rechtslage sicher nicht.- Könnte das Rettungspaket für Griechenland damit ein Fall für die Gerichte werden – den Europäischen Gerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht?Eine Klage beim EuGH könnten nur die Mitgliedstaaten oder Unionsorgane erheben. Vor dem Bundesverfassungsgericht könnten dagegen auch Privatpersonen klagen. Das Gericht hat in seinem Maastricht-Urteil aus dem Jahr 1993 eine Hintertür für solche Klagen offengelassen. Es hat den Beitritt Deutschlands zur Währungsunion daran geknüpft, dass die Währungsunion eine Stabilitätsgemeinschaft ist, und sich gleichzeitig das Recht vorbehalten zu prüfen, ob Rechtsakte der Union sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen. Es hat auch schon öffentliche Ankündigungen gegeben, nach denen die Maastricht-Kläger beabsichtigen, gegen deutsche Kredite an Griechenland beim Bundesverfassungsgericht zu klagen. Das Gericht könnte auf Grundlage des Maastricht-Urteils solche Kredite untersagen oder im Extremfall ein Ausscheiden Deutschlands aus der Währungsunion verlangen. Das erscheint mir aber unwahrscheinlich.- Weshalb?Der Begriff der Stabilitätsgemeinschaft zielt in erster Linie darauf, eine Politik der Geldentwertung zu verhindern. Die Hilfe für Griechenland führt nicht zu einer Inflationsgemeinschaft, sondern zu einer Stabilisierung des Euro und hält die Zinsen in der Währungsunion niedrig. Griechenland muss aber ein Einzelfall bleiben. Daher ist es richtig, wenn jetzt über die bessere Durchsetzung der Stabilitätskriterien und eine engere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Eurozone diskutiert wird.—-Prof. Dr. Olaf Müller-Michaels ist Partner von Orrick Hölters & Elsing in Düsseldorf und Professor für Wirtschaftsrecht an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Essen. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.