Im Streit um die Besetzung des Aufsichtsrats ist der EuGH am Zug
Von Alexander Birkhahn *)Das Bundesarbeitsgericht hatte sich am 18. August 2020 mit der Arbeitnehmermitbestimmung in einer Societas Europaea (SE), also einer europäischen Aktiengesellschaft, zu befassen. Die an dem Rechtsstreit beteiligte SAP war eine Aktiengesellschaft nach deutschem Recht. Sie wurde im Jahr 2014 in eine SE umgewandelt. Vor der Umwandlung hatte die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, der aus 16 Personen bestand. Dabei handelte es sich um einen sogenannten mitbestimmten Aufsichtsrat, da die Gesellschaft mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigt hatte.Mitbestimmung bedeutet, dass der Aufsichtsrat je zur Hälfte aus Mitgliedern der Anteilseigner und aus Mitgliedern der Arbeitnehmer bestehen muss. Zudem sieht das deutsche Mitbestimmungsgesetz vor, dass sich – im Fall von SAP – unter den acht Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat sechs Arbeitnehmer des Unternehmens und zwei Vertreter von Gewerkschaften befinden müssen. Die Gewerkschaftsvertreter werden dann in einem gesonderten Wahlgang gewählt. Dadurch ist die Präsenz der Gewerkschaften im Aufsichtsrat des Unternehmens gesichert. Sitze nicht mehr garantiertIm Zuge der Umwandlung der Aktiengesellschaft in die SE schlossen der Arbeitgeber und das nach dem Recht der europäischen Aktiengesellschaft vorgesehene sogenannte besondere Verhandlungsgremium der Arbeitnehmervertreter eine Vereinbarung, die die künftige Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE regelte. Danach besteht die Möglichkeit einer Verkleinerung des Aufsichtsrats auf zwölf Mitglieder. In diesem Fall können die Gewerkschaften zwar weiterhin Wahlvorschläge für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer unterbreiten. Ein getrennter Wahlgang findet insoweit aber nicht statt. Dies hat zur Folge, dass die Gewerkschaften ihre bislang sicheren zwei Aufsichtsratsposten verlieren könnten, nämlich dann, wenn die wahlberechtigten Arbeitnehmer nicht die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten in den Aufsichtsrat entsenden, sondern andere Kandidaten.Gegen die Möglichkeit der Verkleinerung des Aufsichtsrates haben sich daher die beteiligten Gewerkschaften Verdi und IG Metall zuletzt vor dem Bundesarbeitsgericht gewendet: Die Gewerkschaften meinen, die Vereinbarung verstoße gegen deutsches Recht und insoweit – nahezu inhaltsgleiches – europäisches Recht. Denn nach § 21 Abs. 6 des deutschen Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) müsse in der Vereinbarung in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, wie in der zuvor bestehenden Aktiengesellschaft. Dort sei aber eben sichergestellt, dass die Gewerkschaften zwei Sitze im Aufsichtsrat beanspruchen können. Diese Garantie könne nicht durch die Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und dem besonderen Verhandlungsgremium aufgehoben werden.Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht wiesen den Antrag der Gewerkschaften zurück. Im Kern begründeten die Gerichte dies damit, dass weder § 21 Abs. 6 SEBG noch die dem SEBG zu Grunde liegende europäische Richtlinie 2001/86/EG, die insoweit nahezu wortidentisch mit dem deutschen Gesetzeswortlaut ist, einen so weitgehenden Schutz der Gewerkschaften vorsähen. Vielmehr sei die Vorschrift so zu verstehen, dass diese nur gewährleisten wolle, dass der proportionale Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gewährleistet werde. Weder bezöge sich dieser Schutz aber auf die absolute Zahl der Arbeitnehmervertreter noch gar auf die für die Gewerkschaften reservierten Sitze.Diese Rechtsauffassung hat das Bundesarbeitsgericht jedenfalls zunächst nicht bestätigt. Denn es hat in der Sache selbst keine Entscheidung getroffen. Vielmehr hat es den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt. Denn das Bundesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass die Auslegung des deutschen Rechts von der Auslegung des – nahezu identischen – europäischen Rechts abhängig wäre.Für die Auslegung des europäischen Rechts, hier der Richtlinie 2001/86/EG, wäre aber nicht das Bundesarbeitsgericht, sondern der EuGH zuständig. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bleibt mit Spannung abzuwarten. Verkleinerung möglich?Ungeklärt ist nämlich nicht nur die Frage, ob eine Verkleinerung des Aufsichtsrates wie bei SAP vereinbart möglich ist. Auch die Frage, welche Konsequenzen sich aus einer möglicherweise unwirksamen Vereinbarung über die Beteiligung von Arbeitnehmern ergeben und welche Wirkungen eigentlich Entscheidungen eines Aufsichtsrates haben, der fehlerhaft besetzt ist, ist nicht abschließend beantwortet. Würde der EuGH jetzt im Sinne von SAP entscheiden, hätten viele Unternehmen, die einen ähnlichen Weg wie SAP gewählt haben, Rechtssicherheit im Hinblick auf die Wirksamkeit der Entscheidungen ihres Aufsichtsrates.Zudem würde dies bedeuten, dass Unternehmen durch Umwandlung in eine SE die Möglichkeit hätten, Gewerkschaftsvertreter unter gewissen Umständen aus dem Aufsichtsrat fernzuhalten, was für manche möglicherweise nicht unattraktiv wäre. *) Dr. Alexander Birkhahn ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Geschäftsführender Gesellschafter der Dornbach GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft in Koblenz.