Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Joachim Rosengarten

"In gelisteten Gesellschaften wird die Bedeutung der Jahresboni sinken"

VorstAG in Kraft: Kürzungsregelungen auch auf Pensionen ausgedehnt

"In gelisteten Gesellschaften wird die Bedeutung der Jahresboni sinken"

– Herr Dr. Rosengarten, am 5. August 2009 ist das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) in Kraft getreten. Ist es in der Praxis schon angekommen?Ja, und zwar insbesondere in der Beratungspraxis. In vielen Fällen besteht unmittelbarer Bedarf zur Berücksichtigung des VorstAG, etwa weil die Verlängerung eines Vorstandsvertrags ansteht oder ein neues Stock Appreciation Rights (SAR) Program für Vorstände eingeführt werden soll. Eine Übergangsfrist gibt es zur Überraschung mancher Aufsichtsräte insoweit nicht.- Welche Neuregelungen des VorstAG lösen aus Ihrer Sicht den größten Änderungsbedarf aus?Zwar lassen sechs Wochen Anwendungserfahrung noch keinen klaren Trend zu, doch stechen in der Praxis zwei wichtige Änderungen heraus: Zum einen müssen Vergütungsfragen jetzt im Aufsichtsratsplenum behandelt werden – und nicht mehr nur im Ausschuss. Zum anderen will das VorstAG erreichen, dass durch die Vergütungsstruktur langfristige Verhaltensanreize – zur Förderung der nachhaltigen Unternehmensentwicklung – gesetzt werden, was dazu führt, dass in gelisteten Gesellschaften die Bedeutung der bisher verbreiteten Jahresboni zurückgeht.- Lassen Sie uns darauf näher eingehen. Zunächst zur Zuständigkeit des Aufsichtratsgremiums: Ist das nicht bloß eine Formalie?Nein, sicher nicht. Die Neuregelung bedeutet für viele Unternehmen, insbesondere solche mit “großer Mitbestimmung”, dass sämtliche Vergütungsfragen (also etwa auch Bonushöhe und Zielvereinbarung, ebenso Ruhestands- oder Abfindungsvereinbarungen) fortan in der großen Runde mit den Arbeitnehmervertretern zu diskutieren und zu entscheiden sind. Dies ist für einige Unternehmen ein Stück politische Machtverschiebung und wird wohl nicht zur Beschleunigung beitragen. Der Personalausschuss sollte aber auch weiterhin die Entscheidungen so gut wie möglich vorbereiten.- Zurück zum Jahresbonus: Hat er, wie manche meinen, ausgedient?Auch hier ein klares Nein. Allerdings kann der Jahresbonus bei börsennotierten Gesellschaften nach Inkrafttreten des VorstAG nicht mehr die einzige Form der variablen Vergütung sein. Es muss zumindest eine Mischung aus kurzfristig strukturierten Vergütungsformen und solchen mit mehrjähriger Bemessungsgrundlage eingeführt werden, sodass sich insgesamt ein langfristiger Verhaltensanreiz ergibt, wie die Gesetzesbegründung sagt.- Was heißt Mischung genau?Eine starre Regel gibt das Gesetz nicht vor. Vielfach wird gesagt, der Wert des langfristig strukturierten Teils der variablen Vergütung solle das kurzfristige Element jedenfalls überwiegen. Letztlich muss der Aufsichtsrat im Einzelfall unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Unternehmens und der Branche entscheiden, welcher Vergütungsmix der nachhaltigen Unternehmensentwicklung auf Basis der neuen Regelungen am besten dient – keine leichte Prognoseentscheidung.- Der Fall Infineon – Ex-Vorstandschef Ziebart soll die Pension gekürzt werden – hat einen anderen Aspekt des VorstAG ins Rampenlicht gerückt: die Möglichkeit des Aufsichtsrats, Gehalt und Pension zu kürzen. Ist das ein neuer Trend?Eine Kürzungsregelung sah das AktG bisher nur für das laufende Gehalt vor. Das wird jetzt auf Pensionen erstreckt, und die Hürden für eine Herabsetzung werden gesenkt. Erforderlich ist nun, dass sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft so verschlechtert (früher hieß es wesentlich verschlechtert), dass eine Weiterzahlung der Bezüge an den Vorstand für die Gesellschaft zu einer Unbilligkeit führt. Allerdings, so die Gesetzesbegründung, muss die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft dem von der Kürzung betroffenen Vorstandsmitglied persönlich zurechenbar sein. Diesen Nachweis zu führen wird sicher auch in Zukunft nicht einfach. Zwar mag eine Kürzung insbesondere in Zeiten der Wirtschaftskrise häufiger erwogen werden als früher; einen Trend erwarte ich aber nicht.- Halten Sie das VorstAG für einen gelungenen Beitrag zur Diskussion um Vorstandsgehälter?Dazu nur so viel: Das VorstAG trägt die Handschrift des eilig herbeigeführten politischen Kompromisses in Zeiten der Wirtschaftskrise und des Vorwahlkampfs.—-Dr. Joachim Rosengarten ist Partner von Hengeler Mueller in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.