In Schiedsverfahren zählt Vertraulichkeit
Von Thomas Liebscher *)—-Immer wieder dringen Informationen aus Schiedsverfahren an die Öffentlichkeit. Jüngstes Beispiel: Der Streit zwischen der Unternehmensberatung Alix Partners und dem Finanzinvestor Kingsbridge. Alix wehrt sich vor den Oberlandesgericht München gegen seine Verurteilung durch ein Schiedsgericht im Zusammenhang mit der Veräußerung des Spielwarenherstellers Märklin.In anderen Fällen wird bereits die Erhebung einer Schiedsklage publik. Etwa im Gasstreit von Eon mit Gazprom. Oder im Streit des Energiekonzerns Vattenfall mit der Bundesrepublik Deutschland über den Atomausstieg. Die Immobiliengesellschaft Gagfah informiert sogar im Internet laufend über ihr Schiedsverfahren mit der Stadt Dresden.Dieses Phänomen ist zu beobachten, obwohl die Diskretion, mit der solche Verfahren üblicherweise ablaufen, als einer der entscheidenden Vorteile gepriesen wird. Schiedsgerichte verhandeln den Streit anders als Staatsgerichte nicht öffentlich. Dies ist dann von Bedeutung, wenn Geschäftsgeheimnisse, Gesellschaftsinterna und ähnliche sensible Themen offengelegt und kontrovers diskutiert werden. Zudem kann aufgrund des Gegenstands des Streits das Ansehen einer oder beider Parteien in der Öffentlichkeit leiden. Taktische FragenEs ist jedoch nicht lückenlos gewährleistet, dass Schiedsverfahren im Verborgenen ausgetragen werden. Schiedssprüche müssen von staatlichen Gerichten für vollstreckbar erklärt werden. Sie können zudem, wenn im Schiedsverfahren die Mindeststandards eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht gewahrt wurden oder falls der Schiedsvertrag den Streitfall nicht deckt, Gegenstand einer vor den Staatsgerichten zu erhebenden Aufhebungsklage sein. Wird ein solches Verfahren eingeleitet, gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung. Eine Geheimhaltung ist dann nicht mehr sichergestellt. Dies ist allerdings nicht der entscheidende Grund dafür, dass immer mehr Schiedsverfahren publik werden. Anschlussstreitigkeiten im Nachgang zu einem Schiedsverfahren wie im Falle Märklin kommen zwar in der Praxis durchaus vor, sind aber selten. Zudem werden solche Verfahren von der Allgemeinheit trotz des Öffentlichkeitsgrundsatzes selten wahrgenommen. Vergleichsdruck aufbauenEntscheidend ist ein anderer Umstand. Wenn Schiedsverfahren publik werden, geht dies vielmehr fast immer auf eine (gezielte) Indiskretion einer Streitpartei zurück. Anders als die Schiedsrichter, die zur Berufsverschwiegenheit verpflichtet sind, sind die Parteien nämlich ohne ausdrückliche Geheimhaltungsregelung nicht verpflichtet, zum Schiedsverfahren selbst, zu dessen Verlauf und Ergebnis zu schweigen. Es gibt im Einzelfall durchaus gute Gründe, die Öffentlichkeit zu suchen. Häufig erhofft sich diejenige Partei, die das Schiedsverfahren bekannt macht, Vorteile etwa bei Vergleichsverhandlungen. Diese werden praktisch immer in Schiedsverfahren unter der Moderation des Schiedsgerichts geführt.Ein solcher Vergleichsdruck lässt sich aufbauen, wenn das Bekanntwerden des Inhalts für eine der Parteien deutlich unangenehmer ist als für die andere. Demgegenüber kann die obsiegende Partei an einer Veröffentlichung interessiert sein, um ihr Renommee zu befördern, Geschäftspartner zu beruhigen oder potenzielle Prozessgegner abzuschrecken.Wollen die Parteien in jedem Fall eine diskrete Beilegung ihres Streits sicherstellen, lässt sich das durch vertragliche Vorsorge im Schiedsvertrag gewährleisten. Solche Vereinbarungen sind sinnvoll und werden erfahrungsgemäß in der Praxis auch ohne Sanktionsmechanismen beachtet. Ist den Parteien ein diskretes Verfahren besonders wichtig, können ergänzend Vertragsstrafen bei Verstößen vereinbart werden.Die Vorteile einer Schiedsvereinbarung kommen nur dann voll zum Tragen, wenn sich das Verfahren auf einen einvernehmlichen Schiedsvertrag gründet. Einen solchen Vertrag benötigen die Beteiligten ohnehin, wenn sie ein Schiedsgericht anstelle der staatlichen Gerichte zur Entscheidung einsetzen wollen.Wichtig ist, dass klar definiert wird, für welche Streitigkeiten das Schiedsgericht zuständig sein soll. Üblich und sinnvoll ist es, alle Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit einem bestimmten potenziellen Streitkomplex der schiedsgerichtlichen Entscheidung zu unterwerfen. Eine solche Klausel ist weit auszulegen. Sie verhindert, dass bei Unklarheiten über den Geltungsbereich der Schiedsklausel sowohl vor dem Staats als auch vor dem Schiedsgericht geklagt werden muss, um Rechtsnachteile, etwa die drohende Verjährung eines Anspruchs, zu vermeiden. Bei einer M & A-Transaktion wird in der Praxis beispielsweise vereinbart, dass alle Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag vom Geltungsbereich der Schiedsklausel umfasst sind. Kürzer aber aufwendigerZwar sind Schiedsverfahren wegen des Fortfalls des Instanzenzuges tendenziell günstiger und kürzer als ein durch drei Instanzen geführter Zivilprozess. Sie sind dennoch häufig sehr zeit- und arbeitsaufwendig. Das gilt vor allem für Schiedsverfahren, die nach angloamerikanischen Verfahrensmaßstäben geführt werden. Hier entstehen vielfach hohe Beraterkosten und lange Verfahrensdauern. Zudem ist ein Schiedsverfahren in aller Regel teurer als ein durch nur eine Instanz geführtes Verfahren vor den Staatsgerichten, da die Schiedsrichterhonorare höher sind als die Gerichtsgebühren der ordentlichen Gerichte.Sinnvoll ist eine Schiedsvereinbarung immer dann, wenn die Parteien wirtschaftlich gleichgewichtig, insbesondere ähnlich leistungsfähig sind. Die Beteiligten sollten zudem in gleichem Maße geschäftserfahren und gleichgewichtig rechtlich beraten sein. Dies vor allem deshalb, weil der Schiedsrichterauswahl im Schiedsverfahren zentrale Bedeutung zukommt. Regelmäßig wählt jede Partei einen Schiedsrichter. Die beiden Parteischiedsrichter wählen dann einen Vorsitzenden.Das Verfahren ermöglicht es jeder Partei, eine Person ihres Vertrauens als Schiedsrichter auszuwählen. Neben dem Standing und der Durchsetzungskraft des Parteischiedsrichters ist dessen Sachkunde zur Beurteilung der Streitfrage und deren komplexen wirtschaftlichen Hintergründe ein wichtiges Auswahlkriterium. Meist werden Rechtsanwälte, Professoren juristischer Fakultäten oder ehemalige Richter ausgewählt. Wer bei der Auswahl uninformiert oder unerfahren vorgeht, läuft Gefahr, eine nachteilige Weichenstellung für den weiteren Prozess zu treffen.Schließlich muss sich der potenzielle Streitgegenstand für ein Schiedsverfahren eignen. Das sind in aller Regel komplexe Transaktionen, Großprojekte und vielschichtige Verträge, etwa Unternehmenskäufe, Restrukturierungen, Projektfinanzierungen, Anlagenbau, Joint Ventures, zumeist mit internationalen Bezügen und dem Ineinandergreifen verschiedener betroffener Rechtsordnungen. Auch im Bankensektor können Schiedsverfahren vorteilhaft sein, etwa bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit komplexen Finanzierungs- oder Restrukturierungskonstellationen. Hier zählt die Vereinbarung einer Schiedsklausel zu den Standardinstrumenten der Konfliktvorsorge. Heimvorteil vermeidenDurch Wahl des Ortes und der Verfahrenssprache lässt sich ein Heimvorteil eines der Vertragspartner vermeiden, das Verfahren frei gestalten und sogar das anwendbare materielle Recht festlegen. Zudem sind Schiedsurteile im Ausland aufgrund des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche leichter zu vollstrecken als nationale Urteile.Diese Vorteile kommen gerade in Krisenzeiten zum Tragen. Denn in wirtschaftlich schwierigen Zeiten steigt in den Geschäftsbeziehungen, die sich für eine Schiedsvereinbarung besonders eignen, das Konfliktpotenzial. So wird oft versucht, nach einer M & A-Transaktion den Kaufpreis nachzuverhandeln oder durch die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen zu optimieren.—-*) Dr. Thomas Liebscher ist Rechtsanwalt bei SZA Schilling, Zutt & Anschütz in Mannheim.