Intelligentes Bauen schafft bessere Infrastruktur

Baubranche an einem fundamentalen Wendepunkt - BIM kommt in Verbindung mit Lean Design und Lean Construction eine Schlüsselfunktion zu

Intelligentes Bauen schafft bessere Infrastruktur

Keine Frage, die Baubranche hat angesichts von Covid-19 im Jahr 2020 mit großen Belastungen zu kämpfen. Der Schutz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die damit verbundenen Auflagen er-schweren Arbeitsabläufe, Probleme bei vielen Auftraggebern führen zu Verzögerungen. Das Wachstum der vergangenen Jahre dürfte im laufenden Jahr abflachen. Dennoch wage ich die Prognose, dass die Bauindustrie letzten Endes gestärkt aus der Krise hervorgehen wird. Bis dahin liegt aber ein anspruchsvoller Weg vor uns.Die Wirtschaft braucht Infrastruktur. Infrastruktur braucht eine starke Bauindustrie. Marode Straßen, Schienen, Brücken und Tunnel müssen mit höchster Priorität saniert werden, will Deutschland in den kommenden Jahren nicht seine Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.Während die Rahmenbedingungen – abseits von Covid-19 – also durchaus interessante Perspektiven bieten, sind die Margen massiv unter Druck geraten. Eine zunehmende Standardisierung bei Produkten und Prozessen bietet hier enorme Chancen für intelligentes Wachstum. Insbesondere die Potenziale der Digitalisierung ermöglichen signifikante Effizienzsteigerungen in Fertigungs- und Managementprozessen. Die Themen sind erkannt, jetzt geht es um die Umsetzung. Unaufhaltsame DigitalisierungTatsächlich befinden wir uns, und zwar ausnahmslos alle in der Bauindustrie, an einem fundamentalen Wendepunkt: Die unaufhaltsame Digitalisierung eröffnet völlig neue Perspektiven, die weit über die gesamte bisherige Wertschöpfungskette hinausreichen. In diesem Kontext besitzt Building Information Modeling (BIM) in Verbindung mit Lean Design und Lean Construction eine Schlüsselfunktion und steht beispielhaft für die Transformation in der gesamten Bauindustrie. BIM erhöht die Transparenz über alle Leistungen und Beteiligten hinweg und erleichtert Kooperationen auf der Baustelle, erhöht die Effizienz und reduziert die Kosten. BIM ist aber auch ein wertvolles Instrument für die Megathemen Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Damit verbindet es Bauunternehmen und Auftraggeber weit über den Zeitpunkt der Fertigstellung eines Projekts hinaus. Der damit verknüpfte Servicegedanke wird sich somit noch viel weiter verbreiten, als dies bislang der Fall war.Lean trägt wesentlich zu einer effizienteren Steuerung während des gesamten Projekts bei. Lean-Prinzipien, die sich während der Planung bewähren, werden in ähnlicher Form auf der Baustelle weitergeführt. Lean Construction steht beispielsweise bei uns in der Porr für eine schlanke und effiziente Ausführung, in die wiederum alle Projektbeteiligten einbezogen werden, angefangen vom Bauherrn bis zu den Planern. Interdisziplinärer Austausch sowie regelmäßige Kommunikation zwischen allen Beteiligten sind für den Erfolg und die termingerechte Übergabe eines Projekts ausschlaggebend. BIM und Lean sind effiziente Arbeitsmethoden in Verbindung mit modernen Technologien und damit nicht mehr aus Planungs- und Bauprozessen wegzudenken. Straßen- oder BahnbauInfrastruktur verlangt von der Bauindustrie ein sehr breit gefächertes Leistungsspektrum. Ob Straßen- oder Bahnbau, überall gibt es den steigenden Bedarf an Neubauten oder an der fachgerechten Sanierung vorhandener Einrichtungen. Flughäfen müssen erweitert werden, Gleiches gilt für Tunnel und Brücken. Aber auch Wasser- und Kraftwerksbau sind für eine moderne Volkswirtschaft unerlässlich.Aktuell betreut die Porr in Deutschland sehr unterschiedliche Infrastruktur-Baustellen. Mit der Erweiterung der U5 U-Bahn-Linie nehmen wir an einem der wichtigsten Infrastrukturprojekte in Frankfurt am Main teil und tragen zum wachsenden Europaviertel bei. Nicht weniger spannend ist die Modernisierung des Kraftwerks Töging am Inn. In diesem 100 Jahre alten Wasserkraftwerk konnte unser integrierter Ansatz mit den eigenen Bereichen Ingenieurbau, Betonbau und Spezialtiefbau überzeugen. Dabei setzten wir auf BIM und beziehen damit alle Projektpartner von Beginn an in den Arbeitsprozess ein. Im Straßen- und Brückenbau arbeiten wir gerade an der Salzbachtalbrücke als Teil der A66. Beim Tunnel Hirschhagen an der A44 bei Wiesbaden sind wir für die gesamte technische Ausstattung verantwortlich.Die erfolgreichsten Infrastrukturprojekte sind jene, bei denen Auftraggeber und Auftragnehmer von Beginn an mit offenen Karten spielen und auf diese Weise von der ersten Planung bis zur fertigen Übergabe das Vorhaben gemeinsam optimieren. In Deutschland leidet die Bauindustrie unter einem Vorurteil: Wenn die Kosten komplexer Mammutprojekte aus dem Ruder laufen, werden ihr mangelnde Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit attestiert. Dabei werden über 95 % aller Bauprojekte problemlos innerhalb des ursprünglich vereinbarten Zeit- und Kostenrahmens realisiert und übergeben.Es sind besonders die prominenten Infrastrukturbauten wie der Flughafen Berlin und das Bahnprojekt Stuttgart 21 oder die prestigeträchtige Elbphilharmonie, die das Branchenimage in der Öffentlichkeit prägen. Bauunternehmen werden häufig zu Unrecht wegen angeblicher Kostenexplosionen an den Pranger gestellt, denn die Hauptursache von Problemen ist oft ein unrealistisches Budget. Leider ist es gängige Praxis, dass bei Auftragsvergaben der Preis ausschlaggebend ist und die übrigen Kriterien zu wenig Gewichtung erfahren.Im Gegensatz zu diesem Billigstbieterprinzip fließen beim Bestbieterprinzip auch bedeutende Qualitätskriterien in die Entscheidung ein. Darunter verstehe ich beispielsweise technische Lösungen zur Bauzeitverkürzung sowie zur Minimierung von Risiken, das Logistikkonzept oder die Wiederverwertung von Ausbruchsmaterial. Eine Vergabepraxis nach dem Bestbieterprinzip hätte erhebliche Vorteile für Bauzeit, Qualität und in der Folge auch auf der Kostenseite. Zu langsame EntscheidungenEin grundlegendes Problem ist der Umstand, dass im Vorfeld von großen Infrastrukturprojekten von Politik und öffentlicher Hand manchmal viel zu langsam entschieden wird. Ich nenne nur das Beispiel Stuttgart 21. Das Projekt wurde der Öffentlichkeit im Jahr 1994 erstmals vorgestellt. Heute schreiben wir das Jahr 2020 und bauen gerade. Wenn also ein Vierteljahrhundert nach der ersten Präsentation immer noch keine Züge unter Stuttgart hindurchrollen, macht das schon nachdenklich. Allein von der Projektvorstellung bis zum Abschluss der Finanzierungsvereinbarung 2009 sind 15 Jahre vergangen. Wenn Terminpläne derart ausufern, dann darf man sich nicht wundern, dass auch die Kosten entsprechend steigen.Ein Hochbau-Projekt der Porr für BMW in München hat gezeigt, dass es auch anders geht: Der ursprüngliche Entwurf des Architekten für ein Bürogebäude, das 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Platz bietet, überstieg das Budget um 10 Mill. Euro. Mittels Value Engineering wurden Optimierungspotenziale identifiziert, so dass der vorgegebene Kostenrahmen eingehalten und zudem der Zeitplan um sechs Monate unterschritten werden konnte. Ein Erfolgsfaktor war die partnerschaftliche Bestleistung aller Projektbeteiligten.Partnerschaft ist generell ein wichtiger Erfolgsfaktor. Bei nahezu jedem großen Projekt kommt es während dessen Verlauf zu Änderungen beziehungsweise Adaptierungen, die aus unterschiedlichen Gründen notwendig werden. Hier ist ein konstruktiver Dialog zwischen Bauherren und Auftragnehmern gefragt, um gemeinsam die beste, das heißt zeit-, qualitäts- und kosteneffizienteste Lösung zu finden. Es zahlt sich immer aus, wenn die Partner miteinander reden und nicht gleich ihre Anwälte ins Gefecht schicken.Erfreulicherweise hat die Politik manche Defizite erkannt und arbeitet mit Hochdruck an Lösungen. So kommt ein von der Bundesregierung erstelltes Gutachten zu dem Ergebnis, dass Planungs-, Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren bei Infrastrukturvorhaben zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb sollten die Chancen der Digitalisierung konsequent genutzt werden. Denn dies schafft auch gegenüber den Auftraggebern hohe Planungssicherheit und maximale Transparenz. Lean Design & Construction und BIM sind mehr als Schlagworte, sondern bei der Porr bereits heute gelebte Praxis, um die Wertschöpfung signifikant zu erhöhen.Bereits 2015 hat die Reformkommission “Bau von Großprojekten” Empfehlungen ausgesprochen und deren Umsetzung initiiert. Beispielhaft möchte ich die frühzeitige Einbindung der Baupartner mit dem Stichwort “Kooperatives Planen im Team” nennen. Eine weitere erhebliche strukturelle Verbesserung ist die Aufhebung der strikten Trennung von Planung und Ausführung durch “integrierte Projektabwicklung mit Mehrparteienverträgen”. Das Ziel dieses innovativen Ansatzes besteht im Systemwechsel und Kulturwandel für die Realisierung komplexer Bauvorhaben.Das zeigt auf, dass die Problemlage von den Entscheidungsträgern zumindest erkannt wird. Somit besteht die berechtigte Hoffnung, dass die beschlossenen Maßnahmen und künftige Ausschreibungen nach dem Bestbieterverfahren zu einer signifikanten Kosten- und Terminverbesserung führen. Auf diese Weise lassen sich in Zukunft selbst hochkomplexe Infrastrukturvorhaben innerhalb der vorgegebenen Zielmarken realisieren. Karl-Heinz Strauss, CEO der Porr AG