ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Investmentprozesse im Umbruch

Börsen-Zeitung, 21.6.2011 Noch in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre waren Investmentprozesse im Kern durch wenige, signifikante Rahmenbedingungen gekennzeichnet. Ausfallrisiken waren unbekannt, Zinsen folgten einem disinflationären Basistrend,...

Investmentprozesse im Umbruch

Noch in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre waren Investmentprozesse im Kern durch wenige, signifikante Rahmenbedingungen gekennzeichnet. Ausfallrisiken waren unbekannt, Zinsen folgten einem disinflationären Basistrend, Abweichungen von diesen nachhaltigen Bewegungen waren Kaufchancen. Dieses Muster hat sich nicht verändert. Idiosynkratische Ereignisse (Enron, Worldcom, US-Autobauer) wurden als genau solche bewertet und hatten geringe Auswirkungen auf das systematisch getriebene Marktumfeld. Die negative Preiskorrelation zwischen Aktie und Rente, deren erste Werttreiber die zukünftigen Inflationserwartungen sind, funktionierte.Diese zu einfach wirkende Formel hat das Handeln im Asset Management gekennzeichnet. Der Grundgedanke einer normal verteilten Welt, also vereinfacht gesprochen einer sich immer wieder findenden, sich selbst heilenden Welt, ist Urglaube und Triebfeder aller Handlungen, auch in der Vorgehensweise an den Kapitalmärkten. Ein Umdenken findet stattDie Mitte 2007 beginnende Kredit- und Finanzkrise hat diesen zutiefst verankerten Glauben beschädigt, aber erst jetzt, mit der Staatsfinanzenkrise, findet ein Umdenken statt. Die Hypothese ist, dass mehr denn je Regulierung, Politik und Zentralbanken Märkte beeinflussen und damit auch Investmentprozesse verändern. Die Implikationen sind nicht zu unterschätzen, sowohl für die Investmentbanken als auch für die Asset Manager.Die Fondsbranche unterliegt, zum Teil selbst verschuldet, einem immensen Preisdruck in einem Umfeld abnehmender Mittel unter Management. Das Niedrigzinsniveau, das in den saturierten Märkten wahrscheinlich auf Jahre hinaus ein Phänomen bleiben wird, fordert zunehmend seinen Tribut und führt zu unausweichlich abnehmenden Deckungsbeiträgen. Somit entsteht ein zunehmender Legitimierungszwang gerade aktiver Handelsstrategien.Diese Konzepte sollten zumindest neben dem (noch) risikolosen Zins die Kosten des Produktes verdienen. Die Statistik zeigt leider andere Ergebnisse, wenngleich die Autoren Verfechter aktiver Strategien sind. Konzepte ohne ausreichende Skalierungseffekte sind unerklärbar, zumal deren Komplexität ein Hindernis in der Transformation zum Anleger darstellt. “Keep it simple, stupid”, heißt es im Angelsächsischen. Die Interaktion zwischen Produktion und Vertrieb ist eine der wesentlichen Herausforderungen in der Überlebensstrategie vieler Fondsanbieter.Hinzu kommt: Die Sekundärmarktliquidität eines in erster Linie regulatorisch getriebenen Marktumfeldes nimmt ab und verändert die Asset Allocation. Hierzu bedarf es nur des Hinweises auf die unterschiedlichen Zielfunktionen der beiden Risikosysteme Basel III und Solvency II. Ein Beispiel ist die Kapitalanlage von Versicherern für Bank- und Unternehmensanleihen mit langen Laufzeiten und Ratings schlechter als “A” (im aktuellen Standardmodell) sowie Mezzaninetranchen von Verbriefungen. Die Gewinner sind Staatsrisiken und Covered Bonds, fordern sie doch die geringste Kapitalunterlegung.Gleichzeitig verändert sich der herkömmliche Begriff des Risikos. Ausfallfreies Risiko ist eine (berechtigte) Annahme der Vergangenheit. Staatsrisiken wurden durch die Hoheit des Staates und des Steueraufkommens als ausfallfrei bezeichnet. Die aktuelle Diskussion um Griechenland wird die Marktteilnehmer vielleicht eines Besseren belehren. Zumindest haben die Märkte schon einen großen Teil einer möglichen Umstrukturierung vorweggenommen.Die These lautet daher: Gut diversifizierte Unternehmens- (und nachhaltig übersicherte gedeckte) Risiken können auf Sicht teurer gegenüber systematischen Sovereign (Staats-)Risiken handeln. Die relativen Beziehungen der Kurven zueinander werden neu festgelegt. Die Kreditanalyse wird neben der Top-down-Betrachtung – um makroökonomische Einflüsse zu quantifizieren – der wichtigste Bestandteil.Basell III ist der nächste Einschränkungsparameter. Bankbilanzen werden weiter “gesundgeschrumpft”, der Kampf um Bilanzsumme in den Handelsabteilungen wird scharf geführt. Somit hat die Risikotragfähigkeit einer jeden Bankbilanz, nicht nur in Europa, extrem stark abgenommen. Große Institute können diesen unter den Banken darwinistisch anmutenden Wettbewerb aufnehmen.In der Summe bleibt festzuhalten: Investmentprozesse werden wieder vermehrt “buy and hold” getrieben. Jenseits von kurzfristigen Overlay-Strategien gilt es die “großen” Bewegungen zu identifizieren, die oftmals regulatorisch getrieben sind oder – wie im Fall von Quantitative Easing seitens der Notenbanken. Zudem ist der Anleger nach Jahren der mitunter enttäuschenden Fondsperformance zusehends unwillig, für Benchmark-gekoppelte Fonds teuer zu bezahlen. Nicht umsonst stehen Hedgefonds global gut da und weisen Vermögen auf Rekordniveau auf. Antworten der IndustrieDie Fondsindustrie muss antworten und bietet richtigerweise mit Multi-Asset-Strategien eine ausgelagerte Vermögensverwaltung, in der die Allokationsentscheidung zum kritischen Baustein in der Wertschöpfungskette wird. Selbstverständlich erfolgt die Umsetzung nur im Rahmen eines funktionierenden Risiko- und Positionsmanagementprozesses. Inwieweit dieser Rahmen unabhängig von regulatorischen Zwängen genutzt wird, obliegt der Einschätzung und Risikotragfähigkeit einer jeden Kapitalsammelstelle. Liquiditäts- oder Tradingbücher bei Banken agieren aus sich heraus anders als Versicherer im Rahmen der ALM-Steuerung oder Fonds im Publikums- oder Spezialfondsbereich. Diese Betrachtung eint aber dennoch die Einsicht über einen neu geordneten Investmentprozess, und wenn er regulatorisch getrieben sein sollte.Die Investmentbanken müssen aus dieser einem Paradigmenwechsel gleichkommenden Erkenntnis ihren Betreuungsauftrag neu definieren. Von der alten Formel, dass gute Preise viel Umsatz und damit Ertrag generieren, gilt es sich zu verabschieden. Preise sind Service und müssen “kompetitiv” sein. Investmentbanken, die aufgrund mangelnder Plattform nicht liefern, werden im Wettbewerb verlieren. Investoren vergeben Umsatz inzwischen einem Punktesystem gleichend sehr intelligent. Gutes (strukturiertes) Geschäft wird nur bei Lieferung der gesamten Wertschöpfungskette vergeben.Ein wettbewerbsentscheidender Faktor wird die Research-Kapazität sein. Häuser, die mit Primärresearch einen wesentlichen Baustein des Prozesses zur Verfügung stellen, werden im “Tiering” der Investoren nach vorn kommen, da der Input in die adjustierten Investmentprozesse belohnt wird. Diesen Herausforderungen gilt es sich zu stellen.