RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: TIM SCHAPER

Kartellanten droht schärfere Haftung

EuGH-Generalanwalt für effektivere Durchsetzung von Schadenersatz

Kartellanten droht schärfere Haftung

– Herr Schaper, ein EuGH-Verfahren könnte drastische Auswirkungen auf Kartellschadensersatzprozesse haben. Welches Ungemach droht Kartellanten?Bisher können Geschädigte nur die an einem Kartellverstoß beteiligte Gesellschaft in Anspruch nehmen. Jetzt plädiert der EuGH-Generalanwalt dafür, die Haftung von Kartellanten durch die Übertragung des kartellrechtlichen Unternehmensbegriffs auf Kartellschadensersatzverfahren auszuweiten. Damit müssten künftig sämtliche Gesellschaften eines Konzerns für Schäden haften, die eine Konzerngesellschaft zu verantworten hat.- Worum geht es im Ausgangsverfahren?Im finnischen Asphalt-Kartell hat die Stadt Vantaan drei Unternehmen als Rechtsnachfolger von am Kartell beteiligten Gesellschaften auf Schadensersatz verklagt. Der Oberste Gerichtshof Finnlands will nun vom EuGH wissen, ob der EU-kartellrechtliche Unternehmensbegriff auch in Kartellschadensersatzverfahren angewendet werden kann. Folgt der EuGH dem Generalanwalt – was zumeist der Fall ist – haften die Rechtsnachfolger der in Liquidation befindlichen Kartellanten, obwohl sie selbst nicht an dem Verstoß beteiligt waren. Ohne die kollektive Haftung von Konzerngesellschaften ginge die Stadt leer aus.- Ist das ein rein finnisches Thema?Im Gegenteil! Die Auslegung des Generalanwalts liegt auf einer Linie mit dem jahrelangen Bemühen auf europäischer Ebene, Schadenersatzklägern effektivere Instrumente zur Durchsetzung etwaiger Ansprüche an die Hand zu geben. Zudem entspricht sie der verbreiteten Lesart der EU-Schadensersatzrichtlinie. Der deutsche Gesetzgeber hat hier bisher allerdings sehr zurückhaltend agiert.- Wie ist die Rechtslage in Deutschland?Bei der Umsetzung der Richtlinie im Rahmen der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahr 2017 wurde der EU-rechtliche Unternehmensbegriff vom Gesetzgeber nicht in das deutsche Kartellschadensersatzrecht überführt. Vielmehr wurde diese Frage offengelassen und deren Entscheidung den Gerichten überlassen.- Welche Folgen hätte das EuGH-Urteil?Mit einer Konzernhaftung im Schadensersatzrecht, für die der Generalanwalt plädiert, würde der haftende Adressatenkreis deutlich erweitert. Damit könnten verschuldensunabhängig die Muttergesellschaft oder andere verbundene Gesellschaften für Kartellverstöße einer Tochtergesellschaft in Haftung genommen werden.- Was bedeutet das für die Geschädigten?Ihnen würde künftig eine weitaus effektivere Durchsetzung etwaiger Ansprüche ermöglicht. Kläger könnten nicht nur den Kartellanten in Anspruch nehmen, sondern jede mit diesem im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit verbundene Gesellschaft. Das wäre etwa in Fällen vorteilhaft, in denen die Vollstreckung gegen eine am Kartell beteiligte Tochtergesellschaft unsicher – oder wie im Fall des Asphaltkartells unmöglich – ist. In Anspruch genommene Gesellschaften können einer Haftung insbesondere nicht mehr durch etwaige Liquidierungen oder Umstrukturierungen entgehen. Im Bereich der Kartellbußgeldverfahren war diesen aus dem Wurstkartell als “Wurstlücke” bekannten Ausweichmanövern mit der 9. GWB-Novelle bereits ein Riegel vorgeschoben worden.- Droht also ein schärferes Haftungsregime für Kartellanten?Aus Sicht von Klägern würden vielfach behauptete Defizite bei der Rechtsdurchsetzung abgebaut. Dies dürfte zu einer erhöhten Abschreckungswirkung des Kartellrechts führen. Allerdings kennt das deutsche Zivilrecht eine solche Art “Sippenhaft” bislang nicht. Sie widerspricht dem Trennungs- und Rechtsträgerprinzip. Daher gehe ich davon aus, dass aus dem zu erwartenden EuGH-Urteil resultierende Auslegungsfragen auch den Bundesgerichtshof beschäftigen werden. Dann wird sich zeigen, ob Karlsruhe im Sinne einer effektiveren Kartellrechtsdurchsetzung entscheidet oder – wie zuletzt etwa im Schienenkartell – zu einer kritischeren Haltung neigt.—-Dr. Tim Schaper ist Of Counsel in der Kartellrechtspraxis von Norton Rose Fulbright in Hamburg. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.