RECHT UND KAPITALMARKT

Klarheit bei der Streubesitzdividende steht aus

Die Praxis benötigt Transparenz und Verlässlichkeit - Hoffentlich steht am Ende des Gesetzgebungsprozesses eine Erstattungslösung

Klarheit bei der Streubesitzdividende steht aus

Von Götz Wiese *)Es wird noch dauern, bis Klarheit über die steuerliche Behandlung von Streubesitzdividenden herrscht. Das Thema kommt jetzt auf den Vermittlungsausschuss zu. Zwar hat die Bundesregierung den richtigen Weg aufgezeigt. Aber der Streit nicht nur zwischen den politischen Lagern, sondern auch zwischen Bundestag und Bundesrat besteht fort. Am Thema vorbeiAm 25. Oktober hat der Bundestag das Jahressteuergesetz 2013 und das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung des Unternehmenssteuerrechts beraten. Das Parlament debattierte jedoch an wichtigen Themen vorbei. Es ist aber auch wirklich kompliziert. Der Vertreter der Unionsfraktion im Finanzausschuss holt seine Kollegen thematisch ab und sagte: “Organschaft. Wenn man das Stichwort hört, könnte man denken, dass es irgendetwas mit Unterleibsproblemen zu tun hat.” Bei der Aussprache zum Jahressteuergesetz wird das in Fachkreisen heiß umstrittene Thema Streubesitzdividende mit keinem Wort erwähnt. Erst später wagt es ein Abgeordneter der Grünen, dieses Thema anzusprechen, und fragt die Koalition: “Warum lösen Sie es nicht jetzt?” um dann, nach eigenen Lösungsvorschlägen gefragt, auszuführen: “Wir haben einen Vorschlag, aber darüber rede ich jetzt nicht.” Man überlässt das Thema lieber Verbänden und Ministerialbeamten. Dabei sind Streubesitzdividenden ein völlig alltäglicher Sachverhalt: Es handelt sich um Gewinne, die Investoren (Kapitalgesellschaften) mit Minderheitsbeteiligungen erwirtschaften.Tatsache ist: Im Bundestag wurde die sogenannte “kleine” Organschaftsreform beschlossen. Das ist prinzipiell gut, aber bei Weitem nicht ausreichend. Die Streubesitzdividende kommt nun vor den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Das ist schlecht und sorgt für Verunsicherung. Die Nutzung von Cash-GmbHs im Erbschaftsteuerrecht soll unterbunden werden, aber zielgenau und später.Kleine Organschaftsreform heißt zunächst: An die Neuordnung der Gruppenbesteuerung hat sich die Bundesregierung, entgegen den Ankündigungen im Zwölf-Punkte-Plan aus dem Februar 2012, nicht herangewagt. Die Gruppenbesteuerung steht, gerade auch aus europarechtlichen Gründen, auf der Tagesordnung der nächsten Bundesregierung. Allerdings gibt es zeitnah im Kleinen wichtige Erleichterungen für die Praxis. Bei Organgesellschaften, auf die das Aktiengesetz nicht unmittelbar anwendbar ist, muss die Verlustübernahme durch die Organträgerin mit einem dynamischen Verweis auf § 302 AktG in seiner jeweils aktuellen Fassung sichergestellt werden. Ziel ist die Vermeidung von Unsicherheiten bei der Formulierung der Verlustübernahme. FeststellungsverfahrenBei Fehlern im handelsrechtlichen Jahresabschluss, die auch unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht hätten erkannt werden können, wird die tatsächliche Durchführung des Vertrages angenommen, wenn der Jahresabschluss wirksam festgestellt wurde und der Fehler später so korrigiert wird, dass das richtige Ergebnis abgeführt oder ausgeglichen wird. Wichtig für Praktiker: Die Nichterkennbarkeit wird fingiert, wenn der qualifizierte Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers vorliegt.Für die Praxis kann zudem das neue Feststellungsverfahren eine echte Verbesserung bringen: Das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft und andere Besteuerungsmerkmale werden künftig gesondert festgestellt. Es wäre wünschenswert, dass das Finanzamt im Rahmen dieses Feststellungsverfahrens auch verbindlich feststellt, dass die Organschaft als solche steuerlich vorliegt. Wenn insoweit die Sachverhaltsprüfung in die Betriebsprüfung geschoben würde, wäre nichts gewonnen. Hier sollte das Bundesfinanzministerium schnell ein BMF-Schreiben nachschieben.Für die Streubesitzdividende braucht es dagegen mehr Entscheidungskompetenz, und so rüsten sich jetzt die Parlamentarier. Es geht darum, eine finanzpolitische Lösung für das Dilemma zu finden, das Wissenschaft und Rechtsprechung seit längerer Zeit adressieren: Die Abgeltungswirkung der deutschen Kapitalertragsteuer ist eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung ausländischer Dividendenempfänger und verstößt damit gegen Unionsrecht. Denn ausländische Körperschaften können bei Beteiligungen, die nicht in den Anwendungsbereich der MutterTochter-Richtlinie fallen (das bedeutet Beteiligungen von unter 10 %), keine Freistellung von der deutschen Kapitalertragsteuer verlangen und auch nicht wie deutsche Körperschaften eine Erstattung im Rahmen eines Veranlagungsverfahrens betreiben.Die Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers liegen auf dem Tisch des Vermittlungsausschusses. Bundesregierung und Bundestag sind bereit, Steuerausländern unter bestimmten Voraussetzungen die Kapitalertragsteuer zu erstatten, während der Bundesrat die Steuerfreistellung von Beteiligungserträgen aus Streubesitz einschränken will, nicht nur für Dividenden, sondern ebenso für Veräußerungsgewinne. VerwerfungenGeht es nach dem Bundesrat, sollen künftig auch für deutsche Körperschaften Doppelbesteuerungseffekte in Kauf genommen und deren Beteiligungserträge aus Streubesitzbeteiligungen der Körperschaftsteuer unterworfen werden. Natürlich muss der Gesetzgeber seine Optionen abwägen. Es wäre daher erstaunlich, wenn am Ende eines solchen Prozesses die Benachteiligung von Steuerinländern stehen sollte: Bei tiefer gestaffelten (deutschen) Beteiligungsstrukturen kann es zu einer prohibitiven Mehrfachbesteuerung kommen. Aus Sicht der Steuerplanung wäre eine ausländische Holding gegenüber dem deutschen Pendant deutlich vorzugswürdig. Gerade bei Minderheitsbeteiligungen, wie sie z. B. im Markt für Wachstumsfinanzierung üblich sind, würden sich Verwerfungen ergeben. Die Steuerausfälle in der Zukunft werden bei der von der Regierung favorisierten Lösung auf rund 0,5 Mrd. Euro im Jahr geschätzt. Hinzu kommen Steuerausfälle für die Vergangenheit in Höhe von (einmalig) 1,2 Mrd. Euro, aber insoweit lässt sich eine Besteuerung ohnehin nicht mehr bewerkstelligen, da verschärfende Steuergesetze nicht rückwirkend angewandt werden dürfen.Dass sich die Bundesregierung in ihrem Kabinettsbeschluss vom 30. Oktober dem pawlowschen Reflex verweigert hat und – man möchte fast sagen: Unterleibsschmerzen bekommt beim Gedanken an eine systemwidrige, deutsche Unternehmen benachteiligende, kapitalvertreibende Lösung, ist ihr hoch anzurechnen. Hoffentlich steht am Ende des Gesetzgebungsprozesses eine Erstattungslösung, die auch die Zukunft umfasst. Deutsche Kapitalertragsteuer würde dann an beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften, die in der Europäischen Union oder im EWR ansässig sind, erstattet, wenn in deren Heimatstaat keine Anrechnung der Kapitalertragsteuer erfolgt. Europäische Strukturen würden damit deutschen Strukturen gleichgestellt. Es dürfen aber keine EU- bzw. EWR-Gesellschaften missbräuchlich zwischengeschaltet werden. Wenn die von der Regierung vorgeschlagene Erstattungslösung das Vermittlungsverfahren nicht übersteht, wäre der Praxis zu raten, ihre Gruppenstrukturen zu überprüfen. Wenn die Erstattung für die Vergangenheit versagt wird, muss der Rechtsweg beschritten werden. EinzelregelungenAnsonsten halten die Steuergesetze zum Jahreswechsel verschiedene Einzelregelungen bereit: So wird zum Beispiel der Verlustrücktrag auf 1 Mill. Euro erhöht. Die Unterbindung der zur Vermeidung von Erbschaftsteuer vielfach genutzten Cash-GmbHs soll gründlich bedacht werden. Hier wird es, wenn es nach der Bundesregierung geht, zunächst keine Gesetzeskorrektur geben, aber unabhängig von der politischen Couleur steht die Erbschaftsteuer auf dem verfassungsrechtlichen und politischen Prüfstand. Offen ist auch die Zukunft sogenannter “Blocker-Strukturen” zur Vermeidung von Grunderwerbsteuer bei der Übertragung von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften.Der Bundesrat befasst sich mit den Änderungsgesetzen am 23. November. Dann kommt der Vermittlungsausschuss dran. Natürlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Kompromiss im Vermittlungsverfahren auch Regelungen enthält, die die Bundesregierung zurzeit noch ablehnt. In jedem Fall braucht die Praxis Klarheit und Verlässlichkeit.—-Dr. Götz Wiese ist Rechtsanwalt und Steuerberater sowie Leiter der Steuerabteilung von Latham & Watkins in Deutschland.