Recht und Kapitalmarkt

Koalition entfacht mit Entflechtungsinstrument Fantasie

Zunächst Arbeitsergebnisse des Kartellamts abwarten - Energie im Fokus - Zerschlagung ist wirtschaftspolitische Gestaltungsaufgabe

Koalition entfacht mit Entflechtungsinstrument Fantasie

Von Johannes Zöttl *) Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP enthält einen Satz mit großer Sprengkraft: “In das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird als Ultima Ratio ein Entflechtungsinstrument integriert.” Wird das Projekt Realität, könnte dem deutschen Kartellrecht ein fundamentaler Systemwechsel bevorstehen.Mit der Entflechtung will die neue Koalition offenbar in erster Linie die Auflösung beherrschender Marktstellungen ermöglichen. Die Begleitmusik der Koalitionsverhandlungen legt nahe, dass primär an die “Zerschlagung” von Unternehmen, also die eigentumsrechtliche Entflechtung, gedacht ist. Um es vorweg zu sagen: Die Zerschlagung ist eine wirtschaftspolitische Gestaltungsaufgabe. Sie soll volkswirtschaftlich wünschbare Marktstrukturen herbeiführen, in denen der Wettbewerb seine Funktionen erfüllen kann. Weder ist es ihr Zweck, Marktmacht zu bestrafen, noch dient sie der Entlastung des Endverbrauchers. Bisher für FusionskontrolleKonkret: Die Entflechtung ist eine Strukturmaßnahme, die das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) derzeit nur für die Fusionskontrolle vorsieht. Ob das Bundeskartellamt auch auf Grundlage des allgemeinen Kartellrechts entflechten darf, ist umstritten. § 32 GWB spricht allgemein davon, dass die Behörde die Abstellung einer “Zuwiderhandlung” anordnen kann. Bei Einführung dieser Norm stand der Gesetzgeber zwar auf dem Standpunkt, dass § 32 GWB strukturelle Maßnahmen “bis hin zu Entflechtungen” nicht ausschließe. Er gab aber zu bedenken, dass das Wettbewerbsrecht aus eigener Kraft gewachsene Marktmacht nicht missbillige.Ein Grund für diese Zurückhaltung ist das ordnungspolitische Credo des GWB. Verschafft sich ein Unternehmen durch externe Ressourcen Marktmacht, greift die Fusionskontrolle ein. Übt es Marktmacht missbräuchlich aus, kommen die Missbrauchsverbote zur Anwendung. Verboten sind etwa Behinderung von Wettbewerbern (zum Beispiel durch überlange Bezugsverpflichtungen der eigenen Kunden) und Ausbeutung von Geschäftspartnern (etwa durch überhöhte Preise).Im Übrigen nimmt das deutsche Kartellrecht Marktmacht hin. Auch mit dem Ziel, wettbewerblich erwünschte Impulse in Richtung Innovation und Investition zu setzen. Das US-Kartellrecht hingegen erlaubt die Zerschlagung eines Monopols, wenn es mit unredlichen Mitteln erlangt ist (“monopolization”). Die Ergebnisse sind wettbewerblich allerdings zweifelhaft – von Standard Oil bis AT & T.Vor diesem Hintergrund könnte man das Vorhaben, ein Entflechtungsinstrument einzuführen, lediglich als Klarstellung zu § 32 GWB verstehen. Etwa in Anlehnung an das europarechtliche Pendant der Vorschrift, das ausdrücklich auch Strukturmaßnahmen erlaubt. Vermutlich gehen die Pläne der neuen Regierung aber sehr viel weiter. Der neue Wirtschaftsminister wurde mit dem Satz zitiert, dass die Möglichkeit der Zerschlagung in der Energiewirtschaft “das Schlimmste an Monopolen verhindern” würde.Aus dem Koalitionsvertrag ergeben sich zwei Dinge. Erstens will die Koalition auf ein Entflechtungsinstrument hinaus, das im allgemeinen Kartellrecht (dem GWB) verankert ist. Dies überrascht. Die Entflechtung wurde in den vergangenen Jahren nur in Bezug auf bestimmte Industriesektoren diskutiert – insbesondere für die Energiewirtschaft. Der Energiesektor ist reguliert, und verschiedene Formen der Entflechtung sind dort seit Jahren Realität. Die EG-Kommission hatte für das dritte Energiebinnenmarktpaket eine Verschärfung des Instrumentariums vorgeschlagen, bis hin zur eigentumsrechtlichen Entflechtung (“ownership unbundling”). Hierfür erntete sie große Kritik aus Deutschland. Es hieß, die geplanten Maßnahmen gingen zu weit und gäben zu erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken Anlass. Nun soll es in Deutschland doch eine Entflechtung geben, und zwar nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern sogar als Abhilfemaßnahme des allgemeinen Kartellrechts.Zweitens spricht der Koalitionsvertrag von der Entflechtung als Ultima Ratio. Offenbar soll der Appell an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die verfassungsrechtlichen Bedenken abfangen, die wegen der Eigentumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz insbesondere im Hinblick auf das “ownership unbundling” bestehen. Zu den Mitteln, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allen Strukturmaßnahmen (wie der Entflechtung) vorgehen, gehört aber insbesondere die Verhaltenskontrolle auf Grundlage der Missbrauchsverbote. Vor einer Entflechtung wäre daher nachzuweisen, dass einem wettbewerblichen Problem mit den Mitteln der §§ 19, 20 beziehungsweise § 29 GWB keineswegs beizukommen ist. So zum Beispiel, dass die Anordnung, bestimmte Preise nicht zu überschreiten, wirksamen Wettbewerb nicht ersetzen kann. Es fällt schwer, sich praktisch relevante Beispiele auszumalen, auch deswegen, weil kein anderer EG-Mitgliedstaat mit konkreten Missbrauchsverboten so reich gesegnet ist wie Deutschland. Bis hin zu neuen EignernAlles Weitere ist der Fantasie des Lesers des Koalitionsvertrags überlassen. Unklar ist zum Beispiel, welche Maßnahmen der Koalition konkret vorschweben. Der Koalitionsvertrag spricht lapidar von “einem” Entflechtungsinstrument. Denkbar ist die Separierung unternehmensinterner Informationen, der Buchhaltung oder des Managements. Entflechtungsmaßnahmen können bis zu der rechtlichen Entflechtung (“legal unbundling”) und dem “ownership unbundling” in Gestalt der Veräußerung oder Aufteilung unter den bisherigen Eigentümern reichen. Neuerdings gibt es zudem den sogenannten dritten Weg (in Gestalt des unabhängigen Netzbetriebs), den die alte Bundesregierung der EG-Kommission für das dritte Energiebinnenmarktpaket abgetrotzt hat, um eine Verpflichtung zur Zerschlagung vertikal integrierter Energiekonzerne abzuwenden.Offen ist, welche Merkmale ein Markt aufweisen muss, um sich der Entflechtung zu empfehlen. Es gibt eine Vielzahl von Märkten, die von einem oder mehreren Unternehmen beherrscht werden. Für die Sektorregulierung ist die Antwort politisch komplex, aber rechtlich einfach. Der Gesetzgeber entscheidet über die Grundsätze. Dies hat die EG-Kommission vielfach getan. Sie arbeitet zurzeit daran, den Umfang der Regulierung in der Telekommunikationsbranche abzubauen und in der Energiewirtschaft auszubauen. Im allgemeinen Kartellrecht des GWB gibt es derartige politische Direktiven nicht. Daher müsste die Exekutive abwägen, wo die Wiederherstellung wettbewerblicher Marktstrukturen geboten und wo eine Marktvermachtung hinzunehmen ist. Es stellt sich die verfassungsrechtliche Frage, ob ein allgemeines Entflechtungsinstrument überhaupt so formuliert werden kann, dass es dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes Genüge tut.Die konkreten Auswirkungen eines Entflechtungsinstruments wird man erst auf Grundlage eines Gesetzentwurfs beurteilen können. Welche Wirtschaftsbereiche besonders exponiert sind, lässt sich daher noch nicht abschätzen. Ein Kandidat ist aber sicherlich der Energiesektor. Für ihn wurde 2007 bereits ein eigenständiges Missbrauchsverbot geschaffen. § 29 GWB verbietet es marktbeherrschenden Anbietern von Strom beziehungsweise Gas, Entgelte zu fordern, die ihre Kosten unangemessen überschreiten.Man würde gut daran tun, zunächst weitere Arbeitsergebnisse des Kartellamts abzuwarten. Die Erfahrungen legen nahe, dass die Rechtsanwendung hier überaus komplex ist und die Resultate, die sich die Politik aus außerkartellrechtlichen Gründen erhoffen mag, weder erbringt noch erbringen kann. Es ist nicht ersichtlich, warum dies ausgerechnet bei der Entflechtung, dem deutlich komplexeren Verfahren, anders sein sollte.—-*) Dr. Johannes Zöttl ist Partner bei Jones Day.