RECHT UND KAPITALMARKT

Kodex-Reform lässt Mehraufwand befürchten

Konzerne sollen sich zu Grundsätzen verantwortungsvoller Unternehmensführung äußern - Vergütungsregeln werfen Fragen auf

Kodex-Reform lässt Mehraufwand befürchten

Von Lucina Berger und Daniela Favoccia *)Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat sich mutig den Kodex vorgenommen und ihn kräftig entschlackt. Der Kodex ist im neuen Entwurf deutlich kürzer, strukturierter und lesbarer geworden. Die wörtliche Wiedergabe von Gesetzestexten ist 30 kurzen prägnanten “Grundsätzen” gewichen, die aus wesentlichen rechtlichen Vorgaben und elementaren Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung abgeleitet sind.Ihrem Anspruch, dem Kodex neuen Schub zu geben, ist die Kommission mit der erfreulichen Konzentration auf bestimmte wesentliche Grundsätze schon sehr nahegekommen. Im Konsultationsverfahren muss jetzt kritisch geprüft werden, ob die Verschlankung des Kodex nicht noch konsequenter umgesetzt werden kann und wie ein Mehr an Verwaltungsaufwand vermieden wird. Das gilt insbesondere für Themen, bei denen schon die Umsetzung der geänderten Aktionärsrechterichtlinie zu gesteigerten Berichtspflichten führen wird. Inhaltlich sollte diskutiert werden, ob die neu eingeführten Empfehlungen tatsächlich die für eine gute Corporate Governance richtigen Maßstäbe setzen. Gesteigerte BerichtspflichtenDie bemerkenswerteste Änderung ist der Vorschlag, den bisherigen Comply-or-explain-Ansatz um einen sogenannten Apply-and-explain-Ansatz zu ergänzen. Unternehmen sollen künftig nicht nur jährlich erklären, ob sie den Empfehlungen des Kodex entsprochen haben und gegebenenfalls erläutern, wenn dies nicht der Fall ist. Vielmehr sollen sie auch darlegen, wie sie die Grundsätze anwenden. Ausweislich der Entwurfsbegründung geht es nicht nur um die Grundsätze, sondern insbesondere um die Art und Weise, wie den die Grundsätze betreffenden Empfehlungen und Anregungen des Kodex gefolgt wird.Standardtexte genügen dafür ausweislich der Entwurfsbegründung nicht. Individuelle Aussagen zu 30 teils sehr komplexen Grundsätzen bedeuten einen erheblichen Aufwand. Bei Unterstellung grundsätzlich gesetzeskonformen Verhaltens lässt sich dieser zumindest in Bezug auf diejenigen Grundsätze, die lediglich gesetzliche Regelungen wiedergeben, kaum mit gesteigerter Transparenz rechtfertigen.Die zusätzliche Erläuterungspflicht wird die in den letzten Jahren bereits enorm gesteigerte Berichtslast absehbar weiter erhöhen. Der Mehraufwand wird nicht dadurch kompensiert, dass die Kommission den separaten Corporate Governance-Bericht erfreulicherweise abschaffen und die Erklärung zur Unternehmensführung als zentrales Berichtsmedium verankern möchte. Schon bisher wurden beide Berichte häufig verbunden. Eine Erläuterung zu Grundsätzen, Empfehlungen und Anregungen führt zu einer Doppelung von Berichtspflichten. Über vieles muss schon andernorts zwingend berichtet werden. Es darf hinterfragt werden, ob sich in der Praxis eine standardisierte Bearbeitung tatsächlich vermeiden lässt oder ob diese nicht sogar umgekehrt durch die zusätzlichen Berichtspflichten begünstigt wird.Die neue Ordnung des Kodex orientiert sich nicht mehr wie bisher am Aktiengesetz und damit an den einzelnen Organen der Aktiengesellschaft. Vielmehr richtet sich die Gliederung nach den einzelnen “Funktionen der Leitung und Überwachung des Unternehmens”. Dabei hat die Kommission die Bereiche “Leitung und Überwachung”, “Zusammensetzung des Aufsichtsrats”, “Besetzung des Vorstands” und “Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat” als zentrale Themen guter Corporate Governance identifiziert. Regelungen zur Hauptversammlung und zu Aktionärsrechten wurden in die Präambel verschoben. Nicht in allen Punkten erschließt sich die neue Gliederung. Der funktionsbezogene Aufbau führt dazu, dass Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat nach nicht unmittelbar ersichtlichen Kriterien unter einzelne Grundsätze zusammengefasst werden. Auch in sich sind die Abschnitte nicht immer trennscharf geordnet. So irritiert etwa die Verortung der eher organisatorisch relevanten Grundsätze zu den Ausschüssen des Aufsichtsrats im Abschnitt “Leitung und Überwachung”.Inhaltlich bildet die Vorstandsvergütung einen erklärten Schwerpunkt der Reform. Sechs Grundsätze, 17 Empfehlungen und eine Anregung sind allein diesem Thema gewidmet. Zum Vergleich: Für den Gesamtkomplex der Leitung und Überwachung gibt es demgegenüber insgesamt nur 23 Empfehlungen bzw. Anregungen.Dass die Kodexreform die fraglos aktuelle und wichtige Diskussion rund um angemessene Vorstandsvergütung aufgreift, ist nicht verwunderlich. Dabei sollte aber nicht außer Acht gelassen werden, dass auch der Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Änderung der Aktionärsrechterichtlinie aktiv geworden ist. Im Sinne des ansonsten vom Kodexgeber stringent verfolgten Ziels, den Umfang reiner Gesetzeswiedergaben zu reduzieren, sollte sich die Kommission auch bei der Vorstandsvergütung auf eine schlanke Darstellung beschränken. Das gilt insbesondere für die Mindestbestandteile der Vergütungspolitik und die Berichterstattung dazu. Dies wird im Rahmen der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie detailliert geregelt.Die Kodexreform führt zu einem schwer vermittelbaren Nebeneinander ähnlich gelagerter Berichtspflichten. Immerhin sieht bereits der in den Neuregelungen zum Aktiengesetz vorgesehene Vergütungsbericht weitreichende Transparenz über Vergütungsthemen vor. Zumindest sollte klargestellt werden, dass der Apply-and-explain-Empfehlung auch durch einen Verweis auf den Vergütungsbericht entsprochen werden kann.Die neuen Bestimmungen werfen auch in der Sache Fragen auf. Die Empfehlung, langfristige variable Vergütungen (ausschließlich) in Aktien der Gesellschaft zu gewähren, kurzfristige Vergütungsbestandteile dagegen bar auszuzahlen, kann durchaus kritisch gesehen werden. So ist kein Grund ersichtlich, warum nicht auch Mischformen (etwa aktienbasierte STI-Programme oder virtuell aktienbasierte LTI-Programme) vergleichbar positive Anreizfunktionen entfalten sollen.Andere Fragen, wie etwa die nach dem “richtigen” Verhältnis variabler Vergütungselemente zur Festvergütung, bleiben auch nach der Reform offen. Die Empfehlung, dass das Verhältnis beider Vergütungsbestandteile “die unterschiedlichen Anforderungen an die Aufgaben der jeweiligen Vorstandsmitglieder berücksichtigen” soll, ist bestenfalls unklar. Rein praktisch sollte auch die Terminologie des Kodex an diejenige der ARUG-II-Gesetzgebung angepasst werden. Vor dem Hintergrund der überbordenden Ausführungen zum Vergütungssystem ist positiv zu vermerken, dass der Entwurf das in der politischen Debatte ähnlich kontrovers behandelte Thema der Related Party Transactions weitgehend dem Gesetzgeber überlässt: Nur in einem Grundsatz wird die wesentliche Aussage des Gesetzes wiedergegeben.Der geänderte Kodex sieht ferner eine Reihe weiterer Präzisierungen vor. Zu begrüßen sind dabei etwa die neuen Leitlinien zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Der Kriterienkatalog gibt hilfreiche Anhaltspunkte, um die Unabhängigkeit der Anteilseignervertreter beurteilen und angemessen abgrenzen zu können. Unklare MotiveAndere Neuerungen schränken den gesetzlichen Handlungsrahmen dagegen ein, ohne dass sich die Motive dafür aus der Begründung hinreichend erschließen lassen. Das gilt etwa für die Begrenzung der Amtszeit von Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseignerseite auf drei Jahre. Es darf bezweifelt werden, dass sich in so kurzer Amtszeit eine effektive Aufsichtstätigkeit ausüben lässt. Auch bleibt offen, warum für die Anteilseignerseite andere Regeln gelten sollen als für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.Die künftig als Selbstbeurteilung des Aufsichtsrats bezeichnete Effizienzprüfung soll im Abstand von höchstens drei Jahren extern unterstützt werden. Auch wenn Art und Umfang der externen Unterstützung offenbleiben, scheint die Kodexreform für Unternehmen auch hier eher zu einem Mehr an Verwaltungsaufwand zu führen.Aus Beraterperspektive mögen sich dadurch neue Tätigkeitsfelder erschließen. Effizienter wird die Arbeit des Aufsichtsrats dadurch aber nicht.—-*) Dr. Lucina Berger und Dr. Daniela Favoccia sind Partnerinnen von Hengeler Mueller in Frankfurt.