Langsameres Wachstum, aber keine globale Rezession
Das Jahr klingt für die Weltwirtschaft mit einer etwas weniger optimistischen Note aus als vor zwölf Monaten, aber doch in mancher Hinsicht zuversichtlicher als noch zur Mitte dieses Jahres. Auf jeden Fall ist der makroökonomische Hintergrund stärker fragmentiert als zuvor: In den vergangenen Monaten ist es schwieriger geworden, die globale Wirtschaftsentwicklung zu beurteilen, da sich verschiedene Regionen in unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus befinden.Die Furcht vor einer weltweiten Rezession, die etwa in der Mitte des vergangenen Jahres aufgekommen war, hat sich beispielsweise als deutlich zu pessimistisch herausgestellt – mit Ausnahme von Europa. Die Eurozone rutschte im dritten Quartal tatsächlich in die Rezession. Das schwache Wachstum der Volkswirtschaften betraf zwar vor allem die Länder in der Peripherie, weitete sich aber zunehmend auch auf Deutschland und Frankreich aus. Im Gegensatz dazu war das Wachstum der US-Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte stark zurückgegangen, sprang aber in der zweiten Hälfte wieder an. Mit einer annualisierten Wachstumsrate von etwa 2,5 % blieb die wirtschaftliche Dynamik im zweiten Halbjahr eher verhalten. Sie war aber immerhin ausreichend stark, um die Rezessionssorgen zu zerstreuen. Erholung in JapanDie japanische Wirtschaft konnte sich im dritten Quartal 2011 ebenfalls deutlich erholen. In den Schwellenländern zeigte sich ein durchwachsenes Bild, auch wenn diese Länder das Jahr mit einem deutlich höheren Wachstum als die entwickelten Nationen begonnen hatten. Das Wachstum Chinas und Brasiliens verlangsamte sich in der zweiten Jahreshälfte weiter, während Russland und auch Indien Zeichen größerer Stabilität zeigten. Ein etwas einheitlicherer Eindruck ergab sich bei der Inflation, wo die Teuerungsrate in den entwickelten Märkten und in den Schwellenländern generell höher lag als die von den Zentralbanken vorgesehenen Toleranzgrenzen. Diese Überschreitung war größtenteils den im Vergleich zum Vorjahr höheren Rohstoffpreisen geschuldet.Dieses wechselnde Muster wirtschaftlichen Wachstums unterstreicht die Bedeutung zweier Faktoren, welche die Weltwirtschaft auch im Jahr 2012 prägen werden: zum einen ist dies die Wirtschaftspolitik, zum anderen die Entwicklung der Nachfrage. Herausforderung Euro-KriseEs besteht Einigkeit darüber, dass die Eurozone eine kurze und flache Rezession erleben wird. Das Ergebnis könnte jedoch ungleich schlimmer sein, wenn etwa ein Staat ausfällt, die Eurozone auseinanderbricht oder es nicht gelingt, die Finanzmärkte der Region zu “enteisen”. Obwohl wir nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine lang anhaltende und tiefe Rezession sehen, bleibt diese immer noch unangenehm hoch.Sollte sich die Rezession in Europa tatsächlich als besonders bösartig erweisen, muss sie den Rest der Welt nicht zwingend mit nach unten ziehen. Die Eurozone steht nur für etwa 15 % des weltweiten Bruttosozialprodukts und hat in den vergangenen Jahren einen weitaus kleineren Beitrag zum globalen Wachstum geleistet. Auch hat die Erfahrung der vergangenen Monate gezeigt, dass eine Rezession in Europa nicht automatisch zu vergleichbaren Verhältnissen anderswo führt. Je gravierender jedoch eine Rezession in der Eurozone wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auch in anderen Regionen auswirkt. Dies gilt besonders dann, wenn die Rezession entweder eine schwere Finanzkrise in der Eurozone auslöst oder aber von ihr ausgelöst wird. Dies sehen wir als die wichtigste einzelne Herausforderung für die Weltwirtschaft im Jahr 2012. Monetäre LockerungIn den größeren Schwellenländern hat die Straffung der Geldpolitik deutlichen Einfluss auf die Verlangsamung des Wachstums gehabt. Dieser Effekt scheint sich jedoch seinem Höhepunkt anzunähern. Bei moderatem Wachstum und zurückgehender Inflation halten wir die monetäre Lockerung in vielen Schwellenländern für eines der wichtigen Themen im kommenden Jahr. Der Umfang dieser künftigen Lockerungen wird von den tatsächlichen Wachstums- und Inflationsraten in den wichtigsten Nationen abhängen.Die Politik der Vereinigten Staaten geht immer deutlicher in Richtung eines Mix von strengerer Fiskalpolitik, die von lockeren monetären Bedingungen ausgeglichen wird. Der Umfang der fiskalischen Straffung ist noch nicht ganz deutlich, es könnten aber bis zu 2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sein, was wiederum einen starken Gegenwind für das Wachstum darstellen würde. Die Geldpolitik ist deutlich hilfreicher. Die größte Unsicherheit resultiert aus der Frage, bis zu welchem Umfang niedrige Zinsen spürbare Wachstumsimpulse geben können. Schlüsselfaktor NachfrageDie private Nachfrage ist der zweite Schlüsselfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr. Ihre Entwicklung wird davon abhängen, in welchem Ausmaß sich das Deleveraging fortsetzen wird. Von diesem Prozess könnten die verschiedenen Länder und Sektoren unterschiedlich stark betroffen sein. So verfügt beispielsweise der globale Unternehmenssektor über ungewöhnlich hohe Barreserven. Sollten diese investiert werden, könnte das Wachstum überraschend positiv ausfallen. Allerdings könnten die Unternehmen ihre Barbestände weiter horten, sollten Unternehmen Schwierigkeiten bekommen, sich bei den Banken zu refinanzieren. In vielen Ländern sind die Ausgaben der Unternehmen bereits sehr niedrig. Das Risiko einer Rezession ist somit begrenzt. Es ist wahrscheinlich, dass die Unternehmen ihre Ausgaben weiterhin stark kontrollieren. Aber es existiert Potenzial für eine positive Überraschung.Beim privaten Konsum ist die Unsicherheit hingegen um einiges größer. In den USA ist die Sparquote seit dem Jahr 2007 substanziell gestiegen. Eine Reduzierung der Sparquote ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr besteht das Risiko, dass der private Konsum noch weiter sinkt, wenn sich der Prozess des Deleveraging beschleunigen sollte. Gleiches gilt übrigens für Großbritannien. Wachstum unter TrendVor diesem Hintergrund erwarten wir, dass das globale Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr unter seinem langfristigen Trend liegen wird. Es wird signifikante regionale Wachstumsunterschiede geben, wobei die Rezession in der Eurozone das eine Extremszenario darstellt. Das Risiko einer extremen Verschärfung der Krise in Europa bleibt weiterhin hoch. Die Inflation wird zurückgehen, weil sich die Rohstoffpreise stabilisieren und das schwächere Wirtschaftswachstum inflationsdämpfend wirkt. Wir werden in den Schwellenländern deshalb einen klaren Schwenk zu niedrigeren Zinsen sehen. In den Industrieländern werden die Zinsen niedrig bleiben.