Recht und Kapitalmarkt

"Living Will" - ein Plan für die Krise

"Patientenverfügung" für Banken international in der Diskussion - Strategische Verantwortung muss bei den Unternehmen bleiben

"Living Will" - ein Plan für die Krise

Von Marc Benzler *) Wie kaum ein zweites Stichwort beflügeln die “Living Wills” derzeit die internationalen Diskussionen über die Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise. Wörtlich übersetzt bedeutet “Living Will” Patientenverfügung, also die selbständige Entscheidung, inwieweit lebensverlängernde Maßnahmen erwünscht sind. Im Kontext der aktuellen Vorschläge zur Vermeidung systemischer Krisen sollen sich Institute bereits jetzt mit den möglichen Folgen einer instituts- oder systemgefährdenden Krise auseinandersetzen und einen “Krisenplan”, “Living Will”, für den Fall der Fälle in der Schublade haben.Im Grunde genommen geht es bei der Diskussion um die Suche nach einem “dritten Weg” zur Vorbeugung vor zukünftigen Krisen: Dieser sollte haushaltsschonender als staatliche Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen und flexibler als ein Insolvenzverfahren sein. Vorgaben der AufsichtWie in anderen G 20-Staaten ist auch für Deutschland mit besonderen aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu rechnen. So ist insbesondere zu klären, ob ein solcher Krisenplan nur für systemrelevante Institute erforderlich ist und welche Institute überhaupt systemrelevant sind. Ist die Vorbereitung auf die Auswirkungen einer möglichen Krise durch sorgfältige Planung zunächst Aufgabe der Institute, so sind zur Umsetzung der Krisenpläne auch gesetzgeberische Begleitmaßnahmen erforderlich.Dazu zählt der Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Reorganisationsplanverfahrens für systemrelevante Kreditinstitute und zur Abwehr von Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems, der derzeit gemeinsam von Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium weiter ausgearbeitet wird. Der erste Entwurf sieht ein Reorganisationsplanverfahren vor, das es bei systemrelevanten Banken den Beteiligten ermöglichen soll, in Anlehnung an das Insolvenzplanverfahren die Schieflage des Instituts einvernehmlich auf dem Verhandlungswege zu beseitigen. Ein alternatives aufsichtsrechtliches Verfahren (auch als “Good-Bank-Modell” bezeichnet) soll die BaFin ermächtigen, systemrelevante Unternehmensteile auf eine andere Gesellschaft zu übertragen und dadurch auch gegen den Willen der Beteiligten für die Stabilisierung und Sanierung erforderliche Maßnahmen durchzusetzen.Notfallplanung und Stresstests sind keine neuen Themen für Banken, jedoch gehen die derzeit diskutierten Vorschläge weit über solche Szenarien hinaus. “Living Wills” beschäftigen mittlerweile zahlreiche internationale Gremien. Erwähnt werden sollen hier jedoch nur die im September zur Konsultation veröffentlichten Empfehlungen der Cross- Border Bank Resolution Group des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht sowie der im Oktober durch die britische Finanzaufsicht FSA veröffentlichte Diskussionsentwurf anlässlich der Turner-Review-Tagung.So empfiehlt der Baseler Ausschuss, dass international tätige systemrelevante Institute entsprechend ihrer Größe und Komplexität sowohl den Erhalt des Instituts in Krisenzeiten als auch die Aufrechterhaltung von Schlüsselfunktionen (gemeint sind insbesondere Teilfunktionen der Finanzmarktinfrastruktur wie Zahlungsverkehr oder Wertpapierabwicklung) und, wenn nicht vermeidbar, die zügige Abwicklung und Liquidation des Instituts in ihre Planungen einbeziehen sollen. Informationssysteme sollen es der Geschäftsleitung ermöglichen, jederzeit die aktuelle Struktur und Organisation der weltweiten Tätigkeit zu erfassen (“know your bank”). Ein Zugriff der Aufsicht auf diese Informationssysteme ist ausdrücklich gewünscht.Nach den Vorstellungen der FSA sollen die Krisenpläne Vorschläge zum Risikoabbau enthalten, auch ob und inwieweit einzelne Konzerngesellschaften oder Geschäftsbereiche an Dritte veräußert werden können. Etwaige praktische und rechtliche Hindernisse sollen identifiziert und Lösungen entwickelt werden. Weitere Überlegungen betreffen die Sicherstellung von Eigenmittelausstattung und Liquidität. Die Planung soll gestuft erfolgen, je nachdem wie einschneidend das den Planungen zugrunde liegende Krisenszenario ist. Die Krisenpläne sollen ständig aktualisiert und angepasst werden. Die Umsetzung der Maßnahmen soll entweder allein durch das Institut oder im Zusammenwirken mit Aufsicht oder Einlagensicherung erfolgen.Teilweise werden mit der Forderung nach einer Krisenplanung auch weitergehende Forderungen wie die Aufspaltung von als zu groß empfundenen Banken (“too big to fail” dürfe es nicht geben) oder die nach einem Trennbankensystem mit Geschäfts- und Investmentbanken verbunden. So soll in einer Krise das schützenswerte Einlagengeschäft leichter von dem risikoreicheren Investment Banking getrennt werden können. Ob dies allein durch die (Wieder-)Einführung des Trennbankensystems erreicht werden könnte, ist aber durchaus fraglich.Des Weiteren werden international tätige Banken aufgefordert, ihre lokalen Geschäfte über Tochtergesellschaften und nicht über Zweigniederlassungen zu erbringen. Letztere sind zwar hinsichtlich Eigenkapitalausstattung und aufsichtsrechtlicher Folgepflichten effizienter als Tochterunternehmen, jedoch verfügen Zweigniederlassungen aus ebendiesen Gründen über keine eigene oder eine nur geringe Mittelausstattung zur Erfüllung gegenüber Kunden und Vertragspartnern in ihrem Gastland bestehender Pflichten; zudem sind sie durch die Gemengelage von Heimat- und Gastlandaufsicht schwerer zu überwachen.Solche weitreichenden Reformforderungen gehen über den Grundgedanken der “Living Wills” hinaus und gefährden deren zügige Umsetzung, ganz abgesehen davon, dass die vorgesehenen Einschränkungen der europäischen Niederlassungsfreiheit widersprechen dürften. Ein weiterer Kritikpunkt ist, inwieweit Restrukturierungsvorschläge insbesondere zum De-Risking schon vor einer Krise von der Aufsicht aufgegriffen werden und bereits dann zum Erlass von Einzelmaßnahmen führen sollen. Je nach Sachlage wird man sich fragen müssen, warum ein Institut nicht bereits vor einer Krise entsprechende Reorganisations- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen einleitet und somit zu einer einfacheren Unternehmensstruktur beiträgt.Die Verantwortlichkeit für die Unternehmensstrategie und einzelne Geschäftsentscheidungen muss allerdings bei den Unternehmen bleiben. Eine Herausforderung für die Aufsichtsbehörden wird die Abstimmung der Krisenpläne der systemrelevanten Institute untereinander sein. So müsste vermieden werden, dass bei den einzelnen in die Planung einzubeziehenden Szenarien ein Institut sich allein auf den Fortbestand eines anderen Instituts verlässt. Eine Harmonisierung der Anforderungen auf internationaler Ebene ist daher unerlässlich.Zu klären wäre auch, inwieweit die Krisenpläne bzw. deren Grundbestandteile – auch vor dem Hintergrund erhöhter Transparenzanforderungen insbesondere seit Basel II – veröffentlicht werden sollen. Der Nutzen einer solchen Veröffentlichungspflicht ist fraglich. Zudem ist der Plan Teil der Unternehmensstrategie und damit ein Geschäftsgeheimnis. Es sollte daher ausreichend sein, wenn die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an den Plan öffentlich bekannt sind. Die Pläne sollen konkrete Lösungsvorschläge für den Krisenfall enthalten. Im Idealfall werden die Krisenpläne durch weitere Maßnahmen ergänzt, wie zum Beispiel Maßnahmen zur kurzfristigen Erhöhung der Kernkapitalquote im Wege von Pflichtwandelanleihen (so jüngst bei der englischen Bank Lloyds TSB durch die Begebung einer Pflichtwandelanleihe mit Bezugsrechtsausschluss geschehen). Solche Maßnahmen müssten natürlich weit vor der Krise vorbereitet werden, um Wirkung zu entfalten.Der aktuelle Diskussionsstand in den internationalen Gremien lässt darauf schließen, dass an den “Living Wills” in der einen oder anderen Form kein Weg mehr vorbeiführt. Wünschenswert wäre eine hohe Transparenz der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an diese Krisenpläne. Dann könnte die Tatsache, dass solche Krisenpläne existieren, eine weitere vertrauensbildende Maßnahme werden.—-*) Dr. Marc Benzler ist Partner im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance.