RECHT UND KAPITALMARKT

Lösungen für Autozulieferer in der Krise

Rechtliches Rüstzeug für außerinsolvenzliche Ansätze vorhanden - Verhandlungen sollten schon heute über Einzelfälle hinausblicken

Lösungen für Autozulieferer in der Krise

Von Jörn Kowalewski und Hendrik Hauke *)Über die Herausforderungen in der Automobilindustrie ist schon viel geschrieben und noch mehr gesprochen worden. Neben der Vergangenheitsbewältigung – Stichwort Dieselklagen – geht es nach Meinung vieler um nicht weniger als die Zukunft der Gesamtbranche. Denn ein sich veränderndes Nachfrageverhalten und der technologische Fortschritt werden in naher Zukunft das Endprodukt Auto nachhaltig verändern. Diese Veränderung wird auch die Zuliefererbranche vor enorme Herausforderungen stellen – vor allem dann, wenn Teile produziert werden, die im Rahmen des technologischen Wandels nicht mehr benötigt werden, also insbesondere Teile des sogenannten Antriebsstrangs. Noch recht stabilAber was genau bedeutet “in naher Zukunft”? Es gibt eine Reihe von Marktschätzungen, die von einem recht stabilen Markt für Fahrzeuge mit klassischen Verbrennermotoren bis circa 2030 (mit einer Spitze 2021) ausgehen, da zwar Marktanteile in den führenden Industrienationen zugunsten der neuen E-Mobilität verloren gehen, aber durch höhere Nachfrage in anderen Ländern kompensiert werden.Zudem gibt es eine Reihe guter Argumente, warum der technologische Wandel nicht so schnell flächendeckend vollzogen werden kann. Dies lässt erwarten, dass die Auswirkungen auf die Zulieferindustrie noch etwas auf sich warten lassen, so dass den einzelnen Unternehmen noch Zeit für eine strategische Neuausrichtung bleibt.Tatsächlich sind indes die Abrufe der großen Automobilhersteller (OEM) in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres gegenüber ihren Zulieferern zum Teil erheblich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen – bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl kriselnder Zulieferer. Und während in einigen größeren Fällen – zum Beispiel IFA, Borgers und Huf – außerinsolvenzliche Lösungen erreicht werden konnten, hat die Zahl der Insolvenzen auch größerer Anbieter deutlich zugelegt; Beispiele sind etwa Weber Automotive, die Eisenmann-Gruppe und die ehemalige Halberg-Guss.Dies ist eine alarmierende Entwicklung. Denn trotz einer deutlichen Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland ist die Insolvenz – von besonderen Konstellationen abgesehen – immer noch die für die Beteiligten im Zweifel deutlich schlechtere Alternative. Deshalb gilt es, die Chancen auf eine außerinsolvenzliche Lösung weiter zu verbessern.Auch wenn der Umsatzrückgang im laufenden Jahr wenig mit dem künftig zu erwartenden Strukturwandel zu tun hat, spielt dieser in heutigen Krisensituationen bereits eine zunehmend wichtige Rolle. Denn die wesentlichen Stakeholder – zuvorderst die OEM und die finanzierenden Banken – suchen nach einer Positionierung in der sich abzeichnenden Restrukturierungswelle. Operativ und finanziell Auf den ersten Blick eint beide Gruppen das Interesse an langfristig stabilen Zulieferern. Tatsächlich liegt das Hauptaugenmerk der OEM aber auf operativer Stabilität ihrer Lieferanten, während es den Banken wichtig ist, dass ihre Kunden nicht nur über die Jahre verlässlich Zinsen auf die Darlehen zahlen, sondern auch am Ende der Vertragslaufzeit zur Rückzahlung der Kredite in der Lage sein werden.Die beginnende Diskussion wird dabei zurzeit noch überlagert durch die unterschiedlichen Interessen im Einzelfall. Dies ist auch nicht verwunderlich. Die OEM sehen sich schon heute einem doppelten Marktdruck ausgesetzt. Zum einen sinkende Margen im alten Kerngeschäft. Hohe InvestitionenZum anderen gibt es zu hohe Investitionsausgaben, um im Wettbewerb der künftig margenträchtigen Geschäftsbereiche Schritt halten zu können mit den großen Software- und Mobility-Anbietern, deren Technik in Pkw verbaut sein wird. Umgekehrt haben die Banken keinen Grund, unnötige Zugeständnisse zu machen.Diese Fixierung auf den Einzelfall muss Schritt für Schritt überwunden werden. Die strukturellen Herausforderungen der Branche brauchen auch strukturelle Lösungen. Wie die erfolgreichen außerinsolvenzlichen Lösungen zeigen, ist das rechtliche Rüstzeug zu deren Implementierung grundsätzlich vorhanden. Aber es braucht insgesamt verstärkt eine gemeinsame Analyse, die über den Einzelfall hinausblickt. Dies dürfte die vom Technologiewandel betroffenen Zulieferer etwas typisierend in drei Gruppen ordnen.Bei der ersten Gruppe dürfte es sich um solche Zulieferer handeln, die bei einer strategischen Neuausrichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit künftig hinreichende Erträge generieren werden, um das für die Neuausrichtung, Anpassung oder Verkleinerung notwendige (Fremdfinanzierungs-)Kapital zurückzahlen zu können. Insbesondere sollten dabei mögliche Konsolidierungen im Markt durch M&A-Aktivitäten, auch internationale Joint Ventures oder partnerschaftliche Zusammenschlüsse ins Auge gefasst werden. Zusätzlich dürften durch betriebswirtschaftlich sinnvolle – und insolvenzsicher ausgestaltete – Aufspaltungen, aber auch Buy-and-Build-Strategien neue, zukunftsfähige Unternehmensgruppen geschaffen werden. Mit TreuhandplattformenAls zweite Gruppe dürften sich Zulieferer entwickeln, bei denen die Neuausrichtung “aus eigener Kraft” nicht ohne weiteres gelingt, aber eine Lösung – gestützt durch OEM und (Kredit-)Finanzierungspartner – außerhalb einer Insolvenz gelingt. Eine solche Möglichkeit wird sich für solche Zulieferer anbieten, bei denen eine Neuausrichtung des Geschäftsmodells zu kostenintensiv im Verhältnis zu den künftig zu erwartenden Erträgen erscheint oder aus anderen Gründen nicht möglich ist. In rechtlicher Hinsicht bieten sich während des “Ausproduktionszeitraums” Treuhandplattformen und Zusammenschlüsse operativ vergleichbar ausgerichteter Unternehmen an. Maßgeblich für den Erfolg einer außerinsolvenzlichen Lösung wird sein, dass sowohl bei den OEM als auch den Kreditfinanzierern die Bereitschaft besteht, für eine Stabilisierung während der Ausproduktionsphase zu sorgen und ein angemessener Verteilungsschlüssel betreffend Kosten, Risiko und Ertrag gefunden wird.Als dritte Gruppe dürften sich diejenigen Zulieferer herauskristallisieren, bei denen ein Insolvenzantrag die nicht vermeidbare Lösung ist. Idealerweise sollte dies nur notwendig werden, wenn eine Lösung außerhalb der Insolvenz als deutlich kostenintensiver erscheint. Gleichwohl ist zu erwarten, dass es auch eine Reihe von potenziellen Kandidaten für die Gruppe 2 treffen wird. Übertragende SanierungAufgrund der in vielen Fällen weiterhin bestehenden operativen Relevanz der Zulieferer für die OEM bedarf die Ausproduktion auch in der Insolvenz neuer Ideen und Umsetzungen, da eine übertragende Sanierung, das heißt die Übertragung der operativ wesentlichen Vermögenswerte auf eine neue Gesellschaft, und deren Verkauf an einen anderen Investor aufgrund der mangelnden langfristigen Renditeerwartungen zumeist nicht funktionieren dürfte. Deshalb kommen auch hier Treuhand- und Plattformmodelle in Betracht, die über Insolvenzpläne und unter Ausnutzung der operativen Restrukturierungs-Werkzeuge eines Insolvenzverfahrens implementiert werden können.Es ist offensichtlich, dass es Antworten für die skizzierten Gruppen 2 und 3 nur gemeinsam geben kann und dass es Zeit braucht, um solche Antworten zu entwickeln. Verhandlungen sollten deshalb schon heute über den Einzelfall hinausblicken. Nur wenn es gelingt, konsensual und partnerschaftlich über langfristig tragfähige Strukturen zu sprechen, wird es auch nachhaltige Lösungen geben und genügend Vertrauen entstehen, in derartige Lösungen zu investieren. Damit dies gelingt und die Gruppe 3 möglichst klein gehalten wird, braucht es also weitere intensive Kommunikation gerade auch zwischen den wesentlichen Stakeholdern. Mit anderen Worten: Über die Herausforderungen in der Automobilbranche ist schon viel geschrieben, aber noch lange nicht genug gesprochen worden.*) Dr. Jörn Kowalewski ist Partner, Dr. Hendrik Hauke Associate von Latham & Watkins.