RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: FLORIAN THAMM

Mieter sollten einvernehmliche Lösungen mit dem Eigentümer suchen

Pandemie trifft Ladenbetreiber und Gastronomen hart - Rechtslage umstritten

Mieter sollten einvernehmliche Lösungen mit dem Eigentümer suchen

Herr Thamm, die Coronakrise führt zu hohen Umsatzeinbußen in Einzelhandel, Gastronomie und Hotelgewerbe. Viele Unternehmen können oder wollen ihre Miete nicht zahlen. Können sie sich auf höhere Gewalt oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen?Abgesehen von Klauseln zur Zerstörung der Mietsache enthalten Mietverträge häufig keine Regelung, welche Auswirkungen Ereignisse höherer Gewalt auf den Vertrag haben. Ebenso wenig gibt es im deutschen Recht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass höhere Gewalt die Parteien stets von ihren Leistungspflichten befreit. Ob sich Mieter aufgrund der Covid-19-Pandemie auf eine Störung oder einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen können, ist im juristischen Schrifttum umstritten. Im Kern geht es um zwei Fragen: Hätten die Parteien die Folgen der Pandemie vertraglich geregelt, wenn sie sie vorhergesehen hätten? Und ist dem Mieter die Mietzahlung unzumutbar geworden? Die erste Frage wird man wohl bejahen müssen. Die zweite Frage ist umstritten. Teilweise wird eine Störung der Geschäftsgrundlage aufgrund der Sperrwirkung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht auch ganz abgelehnt. Mit zunehmender Dauer der Coronakrise finden sich im juristischen Schrifttum aber immer mehr mieterfreundlichere Stimmen. Es wird mit Spannung erwartet, wie Gerichte die Frage einschätzen. Ist die Mietsache durch Covid-19 mangelhaft geworden?Nach verbreiteter Auffassung haften Vermieter nur für Einschränkungen, die unmittelbar mit der Lage oder dem baulichen Zustand der Mietsache zusammenhängen. Mieter tragen dagegen üblicherweise die mit ihrem Betrieb verbundenen Risiken. Einzelne Stimmen im juristischen Schrifttum sehen jedoch auch in behördlichen Ladenschließungen einen Mangel. Auch insoweit gilt es, die Einschätzung der Rechtsprechung abzuwarten. Was bedeutet die Mieterschutzregelung der Bundesregierung?Entgegen der weit verbreiteten Wahrnehmung ergibt sich aus Art. 240 § 2 EGBGB (Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche) keine Stundung der Miete. Vielmehr können Vermieter allein aus dem Grund nicht mehr kündigen, dass Mieter vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht zahlen und die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Müssen Mietstundungen verzinst werden?Soweit eine Stundung vertraglich nicht vereinbart wurde, sind die gesetzlichen Verzugszinsen zu entrichten. Der Verzugszinssatz liegt für Verbraucher derzeit bei 4,12 % p.a., im unternehmerischen Rechtsverkehr bei 8,12 % p.a. Welche Empfehlungen geben Sie für neue Mietverträge?Beim Abschluss neuer Mietverträge, insbesondere über Einzelhandels- oder Gastronomieflächen, empfiehlt sich die Aufnahme einer vertraglichen Regelung, wie mit Ereignissen wie der Covid-19-Pandemie und sonstigen Ereignissen höherer Gewalt zukünftig umgegangen werden soll. In Mietvertragsabschlüssen nach Ausbruch der Coronakrise konnten wir derartige Klauseln für unsere Mandanten bereits durchsetzen. Wie sollten Mieter jetzt handeln?Mieter sollten ihre Rechte prüfen lassen und die Miete zunächst nur noch unter Vorbehalt der Rückforderung zahlen. Parallel sollte das Gespräch mit dem Vermieter gesucht werden. Solange die Rechtslage nicht abschließend geklärt ist, sollten einvernehmliche Lösungen angestrebt werden. Erzielte Lösungen sind zur Einhaltung der gesetzlichen Schriftform in einem Mietvertragsnachtrag festzuhalten. Kann keine einvernehmliche Lösung erzielt werden und ist unklar, ob der Mieter in den Genuss des temporären Kündigungsausschlusses kommt, sollte der Mietrückstand möglichst unterhalb der Schwelle gehalten werden, die den Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigt. Wie eine angemessene Risikoverteilung bei der gewerblichen Miete aussehen könnte, zeigen etwa die Empfehlungen der Verbände HDE und ZIA, die im Regelfall für den Schließungszeitraum eine Mietreduzierung um 50 % und für die folgenden drei Monate um einen geringeren Wert vorsehen. Dr. Florian Thamm ist Partner im Bereich Immobilienrecht von Baker McKenzie. Die Fragen stellte Helmut Kipp.