RECHT UND KAPITALMARKT

Nach der Saison ist vor der Saison

ARUG II und Kodexreform bringen umfangreiche Änderungen für kommende Hauptversammlungen

Nach der Saison ist vor der Saison

Von Günter Seulen *)In diesen Wochen geht die diesjährige Hauptversammlungssaison zu Ende. In Erinnerung bleibt insbesondere die gewachsene Opposition aktivistischer Investoren gegen die Organe krisenbefangener Gesellschaften. Genau in diesem Bereich stehen wesentliche Reformen an.Dabei ist es nicht neu, dass die Aktionäre in der Hauptversammlungsdebatte kein Blatt vor den Mund nehmen. In diesem Jahr haben sie ihren Ärger aber auch bei den Abstimmungen ausgedrückt, indem sie in großer Zahl gegen die Entlastung der Organmitglieder gestimmt haben. Dies traf Ende April die Organe von Bayer: Angesichts des Kursverfalls nach der Monsanto-Übernahme wurde dem Vorstand die Entlastung klar verweigert, der Aufsichtsrat erhielt magere 66,4 % Zustimmung. Bei der krisengeschüttelten Deutschen Bank waren die Ergebnisse mit 71,6 % für den Aufsichtsratsvorsitzenden Achleitner und 75,2 % für Vorstandschef Sewing ebenfalls schlecht. Immerhin wurden sie entlastet und eine Abwahl von Achleitner abgelehnt – angesichts sonst üblicher Zustimmungsquoten von deutlich über 95 % ein schwacher Trost. Auch bei weiteren Gesellschaften, etwa dem Gesundheitskonzern FMC, gab es weniger Zustimmung als sonst.Hintergrund ist das wachsende Engagement aktivistischer Investoren bei deutschen Unternehmen. Dabei unterstützen auch klassische Finanzinvestoren zunehmend aktivistische Kampagnen, wenn sie Defizite in der Corporate Governance ihrer Portfoliounternehmen wahrnehmen. Nicht zuletzt gilt dies für Indexfonds, die auf Fehlentwicklungen nicht mit einem Verkauf der Aktien reagieren können. Weil solche Investoren ihre vielen Beteiligungen nur mit großem Aufwand selbst managen könnten, wächst schließlich der Einfluss von Stimmrechtsberatern wie ISS und Glass Lewis – sie hatten bei Bayer die Entlastungsverweigerung empfohlen. Auf das neue Selbstbewusstsein der Aktionäre sind manche Unternehmen offenbar schlecht vorbereitet.Dass die jeweilige Hauptversammlung mehr oder minder erfolgreich erledigt ist, gibt den Unternehmen daher kaum Gelegenheit zum Durchatmen. Dies gilt umso mehr, als am Horizont bereits zwei – miteinander verknüpfte – Reformvorhaben stehen, welche exakt die Themen betreffen, die zu den diesjährigen Hauptversammlungsturbulenzen geführt haben. Verstärkte MitspracheZum einen steht die – verspätete – Umsetzung der zweiten EU-Aktionärsrechte-Richtlinie in das deutsche Recht an, mit der die Mitwirkung der Aktionäre verbessert und die grenzüberschreitende Information sowie die Ausübung von Aktionärsrechten erleichtert werden sollen. Bis zur Sommerpause konnte das Gesetzgebungsverfahren nicht mehr abgeschlossen werden, so dass nun mit einem Inkrafttreten im Herbst 2019 gerechnet wird.Inhaltlich betrifft die Reform, die überwiegend nur für börsennotierte Aktiengesellschaften gilt, vier Kernbereiche:Erstens werden die Mitspracherechte der Hauptversammlung hinsichtlich der Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat gestärkt (“say on pay”). Für den Vorstand hat der Aufsichtsrat ein “klares und verständliches” Vergütungssystem festzulegen, über das mindestens alle vier Jahre sowie bei wesentlichen Änderungen die Hauptversammlung beschließen muss – bisher war die Befassung der Aktionäre freiwillig. Das Aktionärsvotum ist aber weiterhin nicht verbindlich. Der Gesetzentwurf nutzt damit ein in der Richtlinie gewährtes Wahlrecht und vermeidet einen stärkeren Eingriff in die Kompetenzen des Aufsichtsrates und damit in den Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsgremium. Über die Aufsichtsratsvergütung wird künftig ebenfalls mindestens alle vier Jahre beschlossen. Außerdem wird künftig jährlich ein detaillierter Vergütungsbericht erstellt, der ebenfalls der Aktionärsversammlung zur Billigung vorzulegen ist. Der Bericht wird erstmals für 2021 gefordert; Beschlüsse über die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat stehen bei den meisten Gesellschaften aber bereits 2020 auf der Tagesordnung.Das zweite Thema des ARUG II ist die Kontrolle von wesentlichen Geschäften der Unternehmen mit nahestehenden Personen (“related party transactions”), die laut EU-Richtlinie künftig der Zustimmung bedürfen. Auch insoweit sieht der Gesetzentwurf von einer Verlagerung in die Hauptversammlung ab und belässt es bei der Zuständigkeit des Aufsichtsrats. Allerdings enthält das deutsche Recht insoweit schon umfassende Schutzbestimmungen, so dass die Schwelle für die Neuregelung relativ hoch angesetzt wird: Sie greift erst, wenn die Geschäfte mit einer nahestehenden Person in einem Geschäftsjahr 2,5 % der Summe des (Konzern-)Anlage- und Umsatzvermögens übersteigen.Weitere Neuregelungen sollen die Identifikation und Information von Aktionären erleichtern. Das ARUG II regelt Informationsrechte und -pflichten zwischen Gesellschaft, Aktionären und Intermediären (Depotbanken, Kreditinstituten, Zentralverwahrern), die sich auch auf die Vorbereitung der Hauptversammlung auswirken. Insbesondere kann eine börsennotierte Gesellschaft künftig von den Depotbanken Auskunft über ihre Aktionäre verlangen (“know your shareholder”). Diese Vorgaben, die ab September 2020 gelten sollen, stellen die Intermediäre vor erhebliche organisatorische Herausforderungen.Schließlich werden mit dem ARUG II neue Transparenzpflichten für institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater begründet, um deren gewachsenem Einfluss – siehe Bayer – Rechnung zu tragen und ihr Handeln stärker auf Anlegerinteressen und eine nachhaltige Unternehmensführung auszurichten. Institutionelle Anleger und Vermögensverwalter müssen eine “Mitwirkungspolitik” veröffentlichen, in der sie Grundsätze zur Einflussnahme auf und Kommunikation mit ihren Portfoliogesellschaften festlegen. Über die Umsetzung müssen sie jährlich berichten. Stimmrechtsberater müssen sich – “comply or explain” – jährlich dazu erklären, inwieweit sie den Vorgaben eines Verhaltenskodex entsprechen, wobei kein bestimmter Kodex vorgegeben wird.Das zweite Reformvorhaben betrifft den Deutschen Corporate Governance Kodex. Im Mai 2019 hat die zuständige Regierungskommission nach einem Konsultationsverfahren eine umfassende Reform beschlossen. Weil darin die ARUG- II-Änderungen berücksichtigt werden, tritt der neue Kodex erst mit der Gesetzesänderung in Kraft. Textlich wurde der Kodex grundlegend überarbeitet und trennt nun klarer zwischen gesetzlichen Vorgaben und daraus abgeleiteten Empfehlungen. Inhaltlich betreffen die Änderungen auch hier zunächst die Vorstandsvergütung. Über die ARUG- II-bedingten Änderungen hinaus gibt der Kodex nunmehr Empfehlungen zur konkreten Ausgestaltung der Vergütungsstruktur. Des Weiteren legt er erstmals Indikatoren fest, wann ein Aufsichtsratsmitglied nicht als unabhängig gilt. Für die Zahl der Aufsichtsratsmandate eines Mitglieds werden strengere Höchstgrenzen empfohlen als vom Aktiengesetz gefordert. Dagegen entfällt der jährliche separate Corporate Governance-Bericht – die Angaben werden Teil der Erklärung zur Unternehmensführung. Dialog suchenVerworfen wurde auch der kontroverse Vorschlag, die Amtszeit von Aufsichtsratsmitgliedern entgegen der gesetzlichen Höchstfrist (fünf Jahre) auf drei Jahre zu beschränken – aktivistische Investoren hatten das befürwortet, weil es die Umbesetzung des Gremiums erleichtert hätte. Auch der Ansatz, von den Gesellschaften eine individuelle Erläuterung zu verlangen, wie das Unternehmen konkret die Kodex-Empfehlungen umsetzt (“apply and explain”), hat es nicht in den beschlossenen Text geschafft. Gleichwohl werden die börsennotierten Gesellschaften ihre jährlichen Entsprechenserklärungen zum Kodex gründlich überprüfen und überarbeiten müssen.Die Reformen bringen also reichlich Arbeit für die betroffenen Gesellschaften. Über die Umsetzung des Regelwerks sollten die Akteure aber nicht vergessen, auch mit denjenigen aktiven Investoren einen frühzeitigen Dialog zu suchen, die sich konstruktiv einbringen wollen. *) Dr. Günter Seulen ist Partner von Oppenhoff & Partner in Köln.