RECHT UND KAPITALMARKT

Nachhaltigkeit in Zeiten der Krise

Europäische Zentralbank setzt neue ESG-Anforderungen für Unternehmen des Finanzsektors - Folgen für Kapitalausstattung prüfen

Nachhaltigkeit in Zeiten der Krise

Von Frederik Winter und Alexander van Meegen *) Während vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie zur Entlastung der Marktteilnehmer einige zentrale Vorhaben im Bereich der europäischen Finanzmarktregulierung verschoben wurden, wird die Umsetzung der Sustainable-Finance-Strategie auf europäischer und nationaler Ebene weiterhin mit Nachdruck vorangetrieben. Für die Finanzindustrie bedeutet dies, dass auch im aktuellen Umfeld weiter eine intensive Auseinandersetzung mit den aufsichtsrechtlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit ESG (Environmental, Social and Governance) erfolgen muss. So sind in den letzten Monaten vorwiegend auf europäischer Ebene zahlreiche gesetzgeberische Vorhaben konkretisiert worden. Hervorzuheben sind diesbezüglich insbesondere die Taxonomie-Verordnung und die Transparenz-Verordnung, die für ein europaweit harmonisiertes Verständnis und entsprechende Markttransparenz bezüglich Nachhaltigkeit stehen – nicht zuletzt auch, um ein sogenanntes “Greenwashing” zu verhindern.Daneben werden aber auch die Governance-Anforderungen für Unternehmen des Finanzsektors dahingehend angepasst, dass ESG immer weitergehend zu berücksichtigen ist: von Vergütungsanforderungen bis hin zu den Themen Risikomanagement, Risikosteuerung und Geschäftsstrategie. Letzteres steht auch im Fokus der öffentlichen Konsultation bezüglich eines Leitfadens zu Klima- und Umweltrisiken, die die Europäische Zentralbank (EZB) am 20. Mai eingeleitet hat. In diesem Leitfaden erläutert die europäische Bankenaufsicht, wie Kreditinstitute ihrer Auffassung nach Risiken im Zusammenhang mit Klima und Umwelt steuern und entsprechende Informationen zu diesen Risiken transparent offenlegen sollten. Aus Sicht der EZB ist ein einheitlicher Standard für Banken in der Eurozone erforderlich, da sich diese der potenziellen Bedeutung von Klimarisiken zwar zunehmend bewusst seien, jedoch nur wenige – und dabei sehr unterschiedliche – Risikosteuerungs- und Offenlegungspraktiken entwickelt hätten. Insbesondere fehle es an einheitlichen Instrumenten, mit denen sich die Auswirkungen von Klima- und Umweltrisiken auf die Bankbilanz prüfen ließen. Parallelen zu BaFin-MerkblattIm Einklang mit dem im Dezember 2019 veröffentlichten Action Plan on Sustainable Finance der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA und mit dem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums der Europäischen Kommission vom März 2018 zielt die EZB auf ein frühzeitiges Handeln des Marktes ab, bevor der aufsichtliche Rahmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte voraussichtlich im kommenden Jahr formell erweitert wird. Der Entwurf der EZB legt nahe, dass das finale Papier – nach Beendigung der Konsultationsphase – noch dieses Jahr veröffentlicht wird.Das EZB-Papier weist gewisse Parallelen zu dem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf, das diese am 20. Dezember 2019 veröffentlicht hat. Letzteres gilt nicht nur für systemrelevante bzw. bedeutende Banken der Eurozone, die direkt von der EZB beaufsichtigt werden, sondern auch für andere regulierte Finanzmarktteilnehmer in Deutschland wie u. a. Versicherer, Finanzdienstleistungsinstitute und Kapitalverwaltungsgesellschaften. In der Praxis wird die Frage sein, inwiefern der EZB-Leitfaden Signalwirkung auf die Praxis der nationalen Aufsichtsbehörden und auf andere regulierte Bereiche entfalten wird.EZB und BaFin verfolgen im Grundsatz denselben Ansatz: Die derzeitige Regulierung biete schon jetzt einen guten Rahmen für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken. So gebe das geltende Aufsichtsrecht den regulierten Unternehmen einen risikobasierten Ansatz an die Hand, innerhalb dessen Klima- und Umweltrisiken in Hinblick auf die Festlegung und Umsetzung der Geschäftsstrategie, der Governance wie auch des Risikomanagements berücksichtigt werden. Im Gegensatz zu dem EZB-Entwurf behandelt das BaFin-Merkblatt allerdings den Bereich Nachhaltigkeit in seiner gesamten Breite, sprich: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Der Fokus der EZB liegt hingegen auf Umwelt- bzw. Klimarisiken. Um Umweltaspekte fokussierte sich auch die Nachhaltigkeitsdebatte der letzten Monate, wenngleich im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie eine leichte Verschiebung – insbesondere im Zusammenhang mit Lieferketten – zu den weiteren Nachhaltigkeitsaspekten stattgefunden hat.Der seitens der EZB vorgestellte Leitfaden geht jedoch über die Empfehlungen der BaFin bezüglich Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten hinaus, indem die europäische Bankenaufsicht unter anderem von den Instituten erwartet, dass diese ihre Transparenz durch eine verbesserte Offenlegung von Informationen zu Klima- und Umweltthemen steigern. Unter Verweis auf die “Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen: Nachtrag zur klimabezogenen Berichterstattung der Europäischen Kommission” vom 20. Juni 2019 sollen bedeutende Banken bei ihren regulatorischen Offenlegungen zumindest Informationen und Kennzahlen zu Klima- und Umweltrisiken veröffentlichen, die sie als wesentlich erachten, bzw. sich entsprechend erklären, wenn sie Klima- und Umweltrisiken für unwesentlich halten. Darüber hinaus fordert das EZB-Papier, dass die letztgenannte Einschätzung mit qualitativen und quantitativen Informationen untermauert werden muss. Banken müssen sich demnach intensiver mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen und auch dann, wenn sie bisher zu dem Schluss gekommen sind, ihr Geschäftsmodell sei diesbezüglich nicht (wesentlich) anfällig, im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung entsprechende Ausführungen vornehmen.Betrachtet man die von der EZB geplanten Anforderungen im Detail, so sind diese zudem um einiges konkreter und verbindlicher als die “Orientierungshilfe” der BaFin. Letztere betont in ihrem Merkblatt, dass die Inhalte lediglich Good Practice darstellen. Systemrelevante bzw. bedeutende Institute mit Sitz in Deutschland, die durch die EZB direkt beaufsichtigt werden, müssen sich hingegen im Hinblick auf die EZB-Leitlinien frühzeitig auf eine entsprechende Anpassung ihrer Strukturen und einen diesbezüglichen Dialog mit den Joint Supervisory Teams (JST) einstellen. Spätestens mit Jahresende 2020 sind bedeutende Banken laut EZB dazu aufgefordert, diese über jegliche Abweichungen ihrer Vorgehensweisen von den in dem Leitfaden beschriebenen aufsichtlichen Erwartungen in Kenntnis zu setzen. Das bedeutet konkret: Jede geplante Divergenz zu den Vorgaben der EZB erfordert bereits jetzt die Vorbereitung einer entsprechenden Verteidigungslinie im Hinblick auf den aufsichtlichen Dialog mit dem JST.Ein Aspekt, der für die betroffenen Banken zweifellos von besonderer Bedeutung sein wird, ist die Forderung, sich mit Klima- und Umweltrisiken im Rahmen des bankinternen Prozesses zur Sicherstellung einer angemessenen Kapitalausstattung (Internal Capital Adequacy Assessment Process – ICAAP) auseinanderzusetzen. Das bedeutet, dass Banken prüfen müssen, welche qualitativen und quantitativen Auswirkungen der Klimawandel – vor allem die Energiewende – auf die Angemessenheit ihrer Kapitalausstattung haben könnte. Brisant ist dieser Teil der EZB-Leitlinien insofern, als der ICAAP im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP) der Aufsichtsbehörden berücksichtigt wird. Äußerungen zu den Auswirkungen von Klima- und Umweltrisiken könnten im Rahmen des SREP zur Festsetzung erhöhter Eigenkapitalanforderungen führen. Ausstrahlungswirkung Schließlich stellt sich die Frage einer Ausstrahlungswirkung auf andere regulierte Unternehmen, insbesondere auf die nicht direkt von der EZB beaufsichtigten Banken. Die EZB betont in ihrem Entwurf deutlich, dass die nationalen Aufsichtsbehörden prüfen sollten, inwiefern man die Leitlinien – stets unter Wahrung der Proportionalität – auf kleinere Institute übertragen sollte. Dies könnte in der Praxis dazu führen, dass auch kleinere Banken in den Fokus strengerer Vorgaben geraten, zumal die EZB in ihrem Leitfaden als Rechtsgrundlage auf solche Regelwerke verweist, die auf sämtliche Banken im Euroraum Anwendung finden. *) Dr. Frederik Winter ist Partner und Alexander van Meegen Managing Associate im Frankfurter Büro von Linklaters.