Neue Anforderungen an Aufsichtsräte von Versicherern
Von Wessel Heukamp *) In der letzten Sitzungswoche seiner noch laufenden Wahlperiode hat der Bundestag am 3. Juli das “Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht” verabschiedet, das einige wichtige Neuerungen im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) mit sich bringt. Das Gesetz verfolgt unter anderem das Ziel, die Verantwortung der in den Unternehmen handelnden Personen mit Führungs- und Aufsichtsfunktionen zu stärken. Zu diesem Zweck werden nun erstmals auch konkrete Anforderungen an die Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern in Versicherungsunternehmen formuliert.Solche Anforderungen ergaben sich bisher nur – und in äußerst begrenztem Umfang – aus dem erst kürzlich eingefügten 100 Abs. 5 des Aktiengesetzes und aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex, der aber rechtlich nicht verbindlich ist. Der neue 7a Abs. 4 VAG verlangt nun, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats “zuverlässig” sind und über die “Sachkunde” verfügen, die zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte des jeweiligen Versicherungsunternehmens erforderlich ist. Gleiches gilt für die Aufsichtsratsmitglieder von Versicherungs-Holdinggesellschaften und gemischten Finanzholding-Gesellschaften. Erfüllt ein Mitglied des Aufsichtsrats die genannten Voraussetzungen nicht, kann die BaFin als Aufsichtsbehörde die Abberufung der Person verlangen.Das Merkmal der Zuverlässigkeit dürfte in der Praxis keine größeren Überraschungen hervorrufen oder zu größeren Veränderungen führen. Der Begriff wird schon bisher im VAG verwandt. So ist Zuverlässigkeit eine der Voraussetzungen, um zum Geschäftsleiter eines Versicherungsunternehmens bestellt zu werden. Obwohl es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, sind die Maßstäbe zu seiner Feststellung in Rechtsprechung und juristischer Literatur relativ gefestigt. Diese rechtlichen Maßstäbe dürften auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern übertragbar sein, allerdings mit der Modifikation, dass es hier um Zuverlässigkeit nicht bei der Wahrnehmung des operativen Geschäfts des Versicherungsunternehmens, sondern bei der Aufsicht und Kontrolle des Leitungsgremiums geht. Da bei der Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern die Frage der charakterlichen Zuverlässigkeit in der Praxis schon bisher eine maßgebliche Rolle gespielt haben dürfte, ist kaum davon auszugehen, dass die neue Gesetzeslage insoweit größere praktische Folgen haben wird.Problematischer erscheint die zweite in 7a Abs. 4 VAG genannte Voraussetzung, nämlich die erforderliche Sachkunde zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte des Versicherungsunternehmens. Der Regierungsentwurf hatte noch die “fachliche Eignung” der Aufsichtsratsmitglieder gefordert und dazu die gesetzliche Vermutung aufgestellt, dass diese Eignung regelmäßig anzunehmen sei, wenn zuvor eine leitende Tätigkeit bei einem Versicherungsunternehmen von vergleichbarer Größe und Geschäftsart ausgeübt wurde.Gegen diese Regelungen wandten sich unter anderem die Firmenpensionskassen, bei denen kraft Gesetzes die Hälfte der Vertreter in den obersten Organen durch die Versicherten bzw. Versicherungsnehmer gestellt wird. Zahlreiche Versichertenvertreter hätten die fachlichen Anforderungen nach neuer Definition vermutlich nicht erfüllt. Gleiches hätte für viele Arbeitnehmervertreter gegolten, die aufgrund der Mitbestimmung in den Aufsichtsräten tätig sind. Vor diesem Hintergrund revidierten die Regierungsfraktionen den Gesetzentwurf und ersetzten dabei das Merkmal der Fachkunde durch das der Sachkunde.Den Begriff der erforderlichen Sachkunde definiert das neue Gesetz jedoch nicht weiter, sodass in der Praxis mit Auslegungsschwierigkeiten zu rechnen ist, zumal dieses Tatbestandsmerkmal im Versicherungsaufsichtsgesetz bisher unbekannt ist. Nachdem das neue Gesetz eine intensivere Aufsicht über die Versicherungsunternehmen bewirken soll, erscheint es schwer vorstellbar, dass dazu, wie derzeit vereinzelt gefordert, für neu bestellte Aufsichtsratsmitglieder ein kürzerer Lehrgang ausreichen soll, um die notwendige Sachkunde zu erlangen.Umgekehrt will der Gesetzgeber die Anforderungen aber wohl auch nicht überspannen. Darauf deutet schon die gegenüber der Entwurfsfassung vorgenommene Absenkung der qualitativen Anforderungen hin. Zudem sieht das Gesetz nach der Änderung durch die Regierungsfraktionen vor, dass hinsichtlich der Sachkunde die Komplexität des betriebenen Versicherungsgeschäfts berücksichtigt werden muss. Offen bleibt vorläufig, welche Versicherungszweige die Versicherungsaufsicht als weniger komplex qualifizieren wird. Außerdem soll bei Prüfung der Sachkunde wegen der beschriebenen Repräsentanz von Versicherungsnehmern den Besonderheiten bei den Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge Rechnung getragen werden. Im Ergebnis würden hier wohl nur geringe Anforderungen an die Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern gestellt werden.Angesichts der überwiegend unbestimmt gefassten Rechtsbegriffe im Zusammenhang mit dem Sachkundeerfordernis wird wohl die BaFin als Aufsichtsbehörde bei der praktischen Anwendung der Vorschriften eine wichtige Rolle spielen. Eine gerichtliche Kontrolle dürfte dagegen schon deswegen kaum stattfinden, weil ein betroffenes Aufsichtsratsmitglied oder ein entsprechender Kandidat die bei einem solchen Verfahren bestehende Gefahr einer Reputationsschädigung kaum eingehen wird.Praktisch wird künftig vor Nominierung und Wahl von Aufsichtsrats-Kandidaten zu prüfen sein, ob diese ausreichend sachkundig sind. Da es nicht um allgemeine unternehmerische Sachkunde, sondern um Sachkunde hinsichtlich der jeweiligen Versicherungsgeschäfte geht, wird insbesondere bei Kandidaten ohne Branchenbezug, beispielsweise bei Gewerkschaftsvertretern oder Repräsentanten aus anderen Wirtschaftszweigen oder der öffentlichen Hand, sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls im Einzelfall mit der Aufsichtsbehörde im Vorfeld abzustimmen sein, ob die vorgesehenen Personen die Anforderungen des Gesetzes erfüllen. Kein Hindernis für die Bestellung von Arbeitnehmervertretern zu Mitgliedern des Aufsichtsrats stellt deren fehlende Leitungserfahrung dar. Dieses Erfordernis stellt der Gesetzgeber zwar für die Geschäftsleiter auf, er hat es sinnvollerweise aber nicht auf Aufsichtsratsmitglieder übertragen.Schwierigkeiten dürften in der Praxis auch dort auftauchen, wo das Gesetz dazu verpflichtet, der Aufsichtsbehörde gegenüber die Sachkunde des potenziellen Aufsichtsratsmitglieds zu belegen. So müssen dem Antrag auf Neuzulassung eines Versicherungsunternehmens Angaben beigefügt werden, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit und Sachkunde der Mitglieder des Aufsichtsrats wesentlich sind. Gleiches gilt, wenn sich die Zusammensetzung des Gremiums ändert. Dieser Vorgang muss der Aufsichtsbehörde von den Versicherungsunternehmen angezeigt werden, und dabei müssen Informationen vorgelegt werden, die für die Beurteilung der Sachkunde wesentlich sind. Vorgaben nötigDie ersten, teilweise sehr durchwachsenen Erfahrungen bei der Anwendung der neuen Vorschriften zur Inhaberkontrolle haben gezeigt, wie wertvoll in der Praxis konkretisierende Hinweise auf Tiefe und Detailgrad der geforderten Informationen sind. Es ist zu hoffen, dass die Aufsichtsbehörden, wie schon mit Blick auf die Zuverlässigkeit der Geschäftsleiter, zügig entsprechende Vorgaben für die Aufsichtsratsmitglieder erarbeiten und veröffentlichen.Zusammenfassend dürften die neu eingeführten Anforderungen an die Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern in Versicherungsunternehmen in der Praxis nur zu relativ begrenzten Änderungen führen. Am ehesten ist dies hinsichtlich des künftig erforderlichen Nachweises der Sachkunde zu erwarten. Hier ist mit einigen Auslegungs- und Umsetzungsschwierigkeiten zu rechnen.—-*) Dr. Wessel Heukamp ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in München.