RECHT UND KAPITALMARKT

Neue Phänomene in der Hauptversammlung

Aktivistische Kampagnen nehmen zu - Stimmrechtsberater gewinnen an Einfluss - Auseinandersetzung mit kritischen Aktionären

Neue Phänomene in der Hauptversammlung

Von Lars-Gerrit Lüßmann *)Die laufende Hauptversammlungssaison erweckt den Eindruck, als seien die Zeiten sozialistischer Abstimmungsergebnisse vorbei: Dem Vorstand von Bayer wurde die Entlastung verweigert und die Entlastungsvoten für Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bank fielen deutlich schlechter aus als in der Vergangenheit. Institutional Shareholder Services (ISS) hatte den Aktionären zuvor empfohlen, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. Anderen erging es ähnlich.In der Tat scheint sich hier ein neuer Trend abzuzeichnen, der sich zugleich auch verstetigt. Zwar gab es unzufriedene Aktionäre und turbulente Hauptversammlungen auch in der Vergangenheit, aber die diesjährige Saison präsentiert mehrere Phänomene, die im Auge zu behalten sich für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Aktiengesellschaften lohnt. Das sind zum einen die sogenannten aktivistischen Investoren, die mittlerweile auch in Europa zur Normalität gehören. 2018 gab es laut Lazard Shareholder Activism Report 56 Kampagnen auf dem europäischen Kontinent. Tendenz weiterhin steigend. Zum anderen zeigt die Entwicklung, dass auch traditionelle und langfristig ausgerichtete Fondsgesellschaften, die früher Zurückhaltung übten, sich heute stärker zu Wort melden.Aktivistische Kampagnen sind nicht mehr nur von den “üblichen Verdächtigen” zu erwarten. Vielmehr greifen auch klassische Long-only-Häuser vermehrt in den Instrumentenkasten aktivistischer Investoren: 96 % der deutschen Investoren sagen laut dem Edelman Trust Barometer Institutional Trust, einer jährlichen Studie zu Vertrauen in Regierungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Wirtschaft und Medien, die in diesem Jahr von der Kommunikationsagentur Edelman zum 19. Mal durchgeführt wurde, dass sie einen aktiveren Ansatz im Dialog und Umgang mit ihren jeweiligen Beteiligungen verfolgen wollen und werden. Die Zeit, in der von dieser Gruppe Kritik allenfalls in One-on-Ones geäußert wurde, ist offenbar vorbei. Und ein weiterer Punkt sollte zu denken geben: 93 % der hiesigen Asset Manager sind der Studie zufolge bereit, aktivistische Investoren und deren Forderungen zu unterstützen, wenn sie der Meinung sind, Wandel wäre in ihrem jeweiligen Portfoliounternehmen notwendig. Neue PflichtenHinzu kommt der Einfluss der Stimmrechtsberater, der auch in dieser Saison deutlich wird: Viele internationale institutionelle Investoren folgen den Empfehlungen von ISS oder anderen Stimmrechtsberatern. Diese beeinflussen damit die Corporate Governance und die Hauptversammlungsbeschlüsse deutscher Unternehmen erheblich. Dieser Einfluss wird daher zum Teil sehr kritisch gesehen. Das ARUG II schafft zwar nun einen gewissen rechtlichen Rahmen für die Tätigkeit von Stimmrechtsberatern. So müssen diese künftig jährlich erklären, ob und inwieweit sie den Vorgaben eines Verhaltenskodex entsprechen und welche Maßnahmen sie gegebenenfalls stattdessen treffen. Ferner umfassen die Transparenzpflichten jährliche Veröffentlichungen etwa zu Informationsquellen sowie zu Art und Weise der Berücksichtigung nationaler Markt- und unternehmensspezifischer Bedingungen. Schließlich sind die zur Vermeidung und Behandlung möglicher Interessenkonflikte eingesetzten Verfahren offenzulegen – über potenzielle und konkrete Interessenkonflikte und diesbezügliche Gegenmaßnahmen sind jedoch nur die betreffenden Kunden zu informieren. Eine grundsätzliche Eignung zu mehr Transparenz ist diesen Regelungen nicht abzusprechen, es bleibt aber abzuwarten, wie Stimmrechtsberater und Marktteilnehmer den Umgang mit diesen Pflichten tatsächlich leben. Und die Tatsache, dass hier eine weitere Gruppe erheblichen Einfluss erlangt hat, die aber im Organisationsgefüge des Aktiengesetzes nicht vorgesehen und deren Interessenlage möglicherweise eine andere ist als die der “klassischen” Stakeholder der deutschen Aktiengesellschaft, wie Anteilseigner, Vorstand, Aufsichtsrat, Arbeitnehmer, wird dadurch allenfalls am Rande adressiert.Hinzu kommt, dass viele börsennotierte Gesellschaften auf diese Entwicklungen nicht vorbereitet zu sein scheinen. Laut dem Edelman Trust Barometer Institutional Investors denken 89 % der institutionellen Anleger hierzulande, dass die Unternehmen überrascht würden, wenn ein aktivistischer Investor sich bei ihnen engagiert. Die Hauptversammlungssaison hat jedoch gezeigt, dass börsennotierte Gesellschaften sich ihrer Sache nicht mehr sicher sein können. Einerseits führen die gezeigten Phänomene zu einem größeren Einfluss kritischer Investoren. Die Bereitschaft zum Trittbrettfahren bei aktivistischen Kampagnen und zur deutlicheren Artikulation von Kritik, wenn nicht gar Annäherung der Methoden aktivistischer und bislang traditioneller Investoren, und der Einfluss der Stimmrechtsberater verändern die Verhältnisse auf der Hauptversammlung.Selbstverständlich ändert dies zunächst nichts am Organisationsgefüge der deutschen Aktiengesellschaft. Aktionäre haben auch weiterhin rechtlich keinen unmittelbaren Einfluss auf die Unternehmensführung; diese bleibt ausschließlich Aufgabe des Vorstands. Eine Ausnahme bilden lediglich die in engen Grenzen der Hauptversammlung spezifisch zugewiesenen Kompetenzen, die es ihr auch erlauben, in diesem Rahmen dem Vorstand Weisungen zu erteilen, beispielsweise zur Vorbereitung von Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz.Es zeigt sich aber, dass die Schlachten der Aktivisten nicht auf rechtlichem Terrain geschlagen, jedenfalls nicht unbedingt gewonnen werden. Das klassische Aktivisten-Instrumentarium wie Verweigerung der Entlastung, Bestellung von Sonderprüfern vermittelt Lästigkeitswert aber keinen Einfluss. Anders stellt sich die Lage in Sondersituationen wie M&A- oder Restrukturierungsszenarien dar. Hier verschaffen die aktienrechtlichen Minderheits- und Abwehrrechte aktivistischen Aktionären einen Hebel. Sie können durch ihre Ablehnung Maßnahmen verhindern oder auf Erhöhung von gesetzlich vorgesehenen Abfindungszahlungen klagen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen sind aktivistische Strategien in diesen Situationen oft erfolgreich und bringen zügig Rendite ein.Ansonsten ist die Auseinandersetzung mit kritischen Aktionären vielfach im Kern ein Kommunikations- und vor allem Reputationsthema, das gerade vor einer Hauptversammlung an Brisanz gewinnt. Die öffentliche Auseinandersetzung über die Unternehmensführung und deren Strategie sowie gegebenenfalls bestehende Corporate Governance-Defizite und die zum Teil scharf vorgebrachte Kritik sind ein Kernproblem für Vorstand und Aufsichtsrat. Sind die Kritikpunkte erst einmal publik, bleiben Vorwürfe oft haften – selbst wenn sie aus Sicht des Managements nicht berechtigt sind. Dieser Effekt wird durch die eingangs geschilderten Phänomene maßgeblich verstärkt. Der damit verbundene Erdrutscheffekt bei Abstimmungen in der Hauptversammlung erhöht nicht den direkten Einfluss auf die Unternehmensführung, steigert aber den Signaleffekt öffentlich vorgetragener Kritik und trägt so zum Reputationsschaden maßgeblich bei. Im Unternehmensinteresse Hinzu kommt: Sachliche Kritik an der Unternehmensführung ist im Prinzip ein legitimer Ausdruck von Aktionärsdemokratie. Der Verteidigung sind rechtlich und kommunikativ Grenzen gesetzt. Vorstände und Aufsichtsräte sollten daher die angesprochenen Kritikpunkte ernst nehmen und eingehend prüfen. Aktienrechtlich müssen Vorstand und Aufsichtsrat stets ausschließlich im Gesellschaftsinteresse handeln. Abwehr darf nicht um der Abwehr willen erfolgen. Wie bei der Verteidigung in Übernahmesituationen gilt auch hier: Vorrangig ist das Unternehmensinteresse.Wirksamste Präventionsmaßnahmen gegen aktivistische Angriffe oder kritische Auseinandersetzungen auf der Hauptversammlung bleiben daher die regelmäßige Auseinandersetzung mit der eigenen strategischen Ausrichtung, aus rechtlicher Sicht eine den Standards entsprechende “gute Corporate Governance” sowie die regelmäßige und offene Kommunikation mit allen Stakeholdern, nicht zuletzt den Stimmrechtsberatern – ignorieren ist jedenfalls keine Alternative. *) Dr. Lars-Gerrit Lüßmann ist Partner von Taylor Wessing in Frankfurt.