Recht und Kapitalmarkt

Neue Spielregeln für die Anlageberatung

Umfangreiche Dokumentationspflichten - Haftungsrisiko der Banken steigt deutlich - Längere Verjährungsfristen

Neue Spielregeln für die Anlageberatung

Von Markus Langen *)Am 18. Februar 2009 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung vorgelegt. Erklärtes Ziel ist, das parlamentarische Verfahren noch vor der Bundestagswahl abzuschließen. Der Gesetzentwurf sieht umfangreiche neue Dokumentationspflichten vor, die bei Banken und Sparkassen einen erheblichen organisatorischen Aufwand nach sich ziehen. Gleichwohl sind Umsetzungsfristen zugunsten der Banken und Sparkassen nicht vorgesehen. Sie müssen sich darauf einstellen, dass die neuen Spielregeln für die Anlageberatung bereits in wenigen Monaten verbindlich gelten. BeratungsprotokollDer Gesetzentwurf verankert mit einem neuen 34 Abs. 2a Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) und einer Änderung des 14 Abs. 6 der Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (WpDVerOV) zusätzliche Dokumentationspflichten für die Beratung zu Finanzinstrumenten im Sinne des WpHG. Künftig muss der Anlageberater über jede Anlageberatung ein schriftliches, vom ihm zu unterzeichnendes Beratungsprotokoll fertigen.In das Protokoll aufzunehmen sind insbesondere “vollständige Angaben” über den Anlass der Anlageberatung, die Dauer des Beratungsgesprächs, die der Beratung zugrunde liegenden Informationen über die persönliche Situation des Anlegers und die Wertpapieranlagen, die Gegenstand der Beratung sind, die vom Anleger im Zusammenhang mit der Anlageberatung geäußerten wesentlichen Anliegen und deren Gewichtung, die im Verlauf des Beratungsgesprächs erteilten Empfehlungen sowie die für diese Empfehlungen maßgeblichen Gründe. Das Beratungsprotokoll ist dem Anleger vor Geschäftsabschluss zu übergeben. Die Bundesregierung verspricht sich hiervon eine gesteigerte Sorgfalt des Anlageberaters, wodurch die Qualität der Anlageberatung insgesamt erhöht werde.Für Banken ist das Beratungsprotokoll äußerst haftungsträchtig. Das Protokoll ist mit höchster Sorgfalt anzufertigen. Insbesondere ist peinlich genau darauf zu achten, Unstimmigkeiten zum Inhalt des der Wertpapieranlage zugrunde liegenden Prospekts zu vermeiden. Das Protokoll darf nicht den Eindruck erwecken, der Anlageberater habe Risiken abgemildert oder Renditechancen übertrieben. Dies würde eine fehlerhafte Anlageberatung – und damit eine Haftung der Bank – indizieren. Hinsichtlich des Protokollinhalts gilt: Weniger ist mehr.Der Gesetzentwurf sieht, trotz Empfehlung des Bundesrates, nicht vor, dass auch der Kunde das Protokoll unterzeichnet. Die Unterschrift des Kunden, so die Bundesregierung, habe keine anlegerschützende Funktion und könne sich “sogar nachteilig für den Kunden auswirken”. Warum? Bereits heute entspricht es teilweise der Gerichtspraxis, Beratungsprotokollen, die eine richtige und vollständige Anlageberatung indizieren und für den Anleger prozessual nachteilig sind, einen Beweiswert abzusprechen. Mangels Unterschrift des Anlegers sei die Richtigkeit des Protokollinhalts zweifelhaft.Banken ist daher dringend anzuraten, sich das Protokoll unterzeichnen zu lassen. Durch die Unterschrift des Anlegers steigt die Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit und damit der Beweiswert des Protokolls in einem möglichen späteren Prozess. Ebenso sollte das Protokoll Angaben dazu enthalten, ob das Beratungsgespräch mit dem Anleger allein geführt wurde oder ob Zeugen zugegen waren. Auch bei der telefonischen Beratung ist zukünftig das beschriebene Beratungsprotokoll anzufertigen. Der Geschäftsabschluss ist erst durchzuführen, wenn der Kunde das Protokoll erhalten hat. Dies kann aufgrund der zeitlichen Verzögerung durch die Übermittlung des Protokolls unpraktisch sein.Nach dem Gesetzentwurf darf das Geschäft vor Erhalt des Protokolls durchgeführt werden, wenn das Beratungsgespräch mit Zustimmung des Kunden technisch aufgezeichnet wird bzw. der Kunde auf die technische Aufzeichnung verzichtet. Jedoch ist diese Alternative für die Banken wirtschaftlich kaum vertretbar. Je nach Ausrichtung der Bank finden 30 bis 70 % der Anlageberatungen telefonisch statt.Die Einführung der technischen Aufzeichnungspflicht zwingt die Banken zum Vorhalten entsprechender technischer Anlagen. Der Bundesverband deutscher Banken geht in seiner Folgenabschätzung davon aus, dass für die gesamte Kreditwirtschaft einmalige Anschaffungskosten von mindestens 632 Mill. Euro und jährliche Betriebskosten von mindestens 332 Mill. Euro anzusetzen sind. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob eine telefonische Aufzeichnung der Beratung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu rechtfertigen ist.Bei Wertpapieranlagen gilt gegenwärtig für Schadenersatzansprüche wegen Falschberatung eine Sonderverjährungsfrist. Nach 37a WpHG verjährt der Schadenersatzanspruch des Anlegers kenntnisunabhängig in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist, also regelmäßig drei Jahre nach Vertragsschluss. Der Gesetzentwurf sieht die Streichung des 37a WpHG vor. Zukünftig sollen die allgemeinen Verjährungsvorschriften der 195 ff. BGB gelten, die eine regelmäßige Verjährung von drei Jahren seit Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände oder unabhängig von dieser Kenntnis eine Verjährung in zehn Jahren vorsehen. Hauptunterschied beider Regelungen ist, dass die dreijährige Verjährungsfrist des BGB erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anleger die Falschberatung erkennt oder erkennen musste.Hier entsteht das Dilemma. Sieht man einmal davon ab, dass die subjektive Kenntnis des Geschädigten ein klassischer “Zankapfel” in der gerichtlichen Praxis des Schadensrechts ist, lässt sich durch diese Voraussetzung der Fristbeginn hinauszögern. Über eine falsche Beratung wird sich der Anleger erst bei stärkeren Wertverlusten seiner Anlage Gedanken machen. Die kurze Sonderverjährung verhindert derzeit, dass später als drei Jahre nach Vertragsschluss der wirtschaftliche Misserfolg des Anlegers über Schadenersatzleistungen der beratenden Bank auf diese abgewälzt werden kann.Mit der Anbindung der Verjährung an die subjektive Kenntnis kann der Anleger sich nun ab Kenntnis drei Jahre seinen “persönlichen Risikoschirm” (die Haftung der Bank) aufspannen. In einem positiven Marktumfeld wird der Anleger zunächst abwarten, ob der Markt seine Verluste ausgleicht; ein sich weiter verschlechterndes Marktumfeld muss er nicht fürchten. Er kann schließlich seine Verluste durch die Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs gegenüber seiner beratenden Bank ausgleichen, wobei die Schadenssumme proportional zu seinen Verlusten steigt. Im Ergebnis führt die Aufhebung der kurzen Sonderverjährungsfrist zu einer ab Kenntnis auf drei Jahre befristeten und der Wertpapieranlage immanenten “Put-Option” des Anlegers zulasten seiner beratenden Bank. QualitätsverbesserungZufriedene Kunden und vertrauensvolle Kundenbeziehungen sind für eine nachhaltige Kundenbindung der Banken essenziell. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des Gesetzentwurfes, die Qualität der Anlageberatung zu verbessern, zu begrüßen. Jedoch stellen die beabsichtigte Einführung eines Beratungsprotokolls und die Änderung des Verjährungsrechts für die Banken eine deutliche Erweiterung ihres Haftungsrisikos dar. Bei der Verjährung ist dies nicht interessengerecht. Die gegensätzlichen Interessen könnten mit einer angemessenen Verlängerung der Sonderverjährung ausgewogener ausgeglichen werden.Das Erfordernis, die telefonische Beratung technisch aufzuzeichnen, schafft für den Anlegerschutz keinen erkennbaren Mehrwert. Vielmehr führt es bei minimaler Zielerreichung zu maximalen Mehrkosten für die deutsche Kreditwirtschaft.—-*) Markus Langen ist Rechtsanwalt bei White & Case in Frankfurt.