Recht und Kapitalmarkt

Neue Vergütungsregeln greifen in Vertragsfreiheit ein

Risiken und Transparenz im Fokus - Erweiterte Befugnisse für die BaFin - Zusätzliche Kriterien aus der Anlageberatung?

Neue Vergütungsregeln greifen in Vertragsfreiheit ein

Von Markus Langen und Henning Berger *)Deutschland gehört nach dem Ergebnis einer Ende März 2010 veröffentlichten Überprüfung durch das Financial Stability Board, welches im Auftrag der G 20 auf internationaler Ebene die Prinzipien und Standards für solide Vergütungspraktiken entwickelt, zu den führenden Ländern bei der Schaffung neuer regulatorischer Rahmenbedingungen für Vergütungssysteme.Jüngst legte die Bundesregierung den Entwurf des Gesetzes über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen vor, der die Vergütung im Banken- und Versicherungsbereich neu regeln wird. Ende März nahm der Bundesrat Stellung. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, Fehlentwicklungen im Bereich der Vergütung entgegenzuwirken und ein einheitliches internationales Vorgehen zu gewährleisten. Dreistufiges PaketDas Gesetz ist der letzte Teil eines dreistufigen Maßnahmenpakets der Bundesregierung zur Neuregelung der Vergütung in der Finanzindustrie und soll spätestens im Oktober 2010 in Kraft treten. Im Dezember des Jahres 2009 verpflichteten sich acht große deutsche Kreditinstitute und die drei größten deutschen Versicherungsunternehmen durch Abgabe von Selbstverpflichtungserklärungen dazu, ihre Vergütungssysteme am nachhaltigen Geschäftserfolg auszurichten.Bereits im Sommer 2009 begann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit den überarbeiteten Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), im Bankenbereich die internationalen Vorgaben an die Vergütungssysteme umzusetzen.Kurz vor Weihnachten 2009 löste ein separates Rundschreiben mit Anforderungen an die Vergütungssysteme die Vorgaben der MaRisk ab. Am gleichen Tag stellte die BaFin in einem weiteren Rundschreiben Anforderungen an die Vergütungssysteme im Versicherungsbereich auf. Beide Rundschreiben traten mit Veröffentlichung in Kraft. Sie werden im Herbst 2010, nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfs, in zwei separate Vergütungsverordnungen für den Banken- und Versicherungsbereich überführt.Institute und Versicherungsunternehmen müssen aber wohl grundsätzlich nicht befürchten, dass die späteren Verordnungen inhaltlich von den Rundschreiben abweichen werden. Die Vergütungsregeln der MaRisk und Rundschreiben sind jedoch rechtlich unverbindlich. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den im Anschluss zu erlassenden Rechtsverordnungen sollen die Anforderungen an Vergütungssysteme auf eine verbindliche Grundlage gestellt werden. LangfristorientierungDer vorliegende Gesetzentwurf ergänzt die (Mindest-)Anforderungen an ein angemessenes und wirksames Risikomanagement von Instituten und Versicherungsunternehmen um angemessene und transparente Vergütungssysteme. Ziel ist, die Vergütung am langfristigen Erfolg des Unternehmens auszurichten. Gehen Mitarbeiter Risiken ein, müssen diese bei der Vergütung angemessen berücksichtigt werden.Zur Ausrichtung der Vergütung an der Unternehmensentwicklung gehört auch die Möglichkeit, bei negativen Erfolgsbeiträgen eines Geschäftsleiters oder Mitarbeiters variable Vergütungsbestandteile zu reduzieren. In den jeweiligen Gesetzen sind Vergütungssysteme vorgesehen, die “angemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet sind”.Die abstrakten Vorgaben sollen durch die bereits erwähnten Rundschreiben bzw. zukünftigen Vergütungsverordnungen konkretisiert werden. Dies betrifft insbesondere Ausgestaltung, Überwachung und Weiterentwicklung der Vergütungssysteme, einschließlich der Entscheidungsprozesse, der Zusammensetzung der Vergütung und der Ausgestaltung der Vergütungsparameter, der Leistungszeiträume sowie hinsichtlich der Offenlegung der Ausgestaltung der Vergütungssysteme und der Zusammensetzung der Vergütung.Die Vergütungsverordnungen werden wie die bisherigen Rundschreiben eine flexible Umsetzung ermöglichen, die der heterogenen Struktur des deutschen Finanzsektors Rechnung trägt. Banken und Versicherungsunternehmen wird daher ein hohes Maß an Eigenverantwortung übertragen.Ein weiteres Ziel des Gesetzes ist, der BaFin stärkere Eingriffsrechte einzuräumen. So soll die BaFin gegenüber Instituten die Möglichkeit erhalten, wegen Verstoßes gegen das neue Vergütungsregime und bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen dem Institut einen Eigenkapitalzuschlag aufzuerlegen. DruckmittelHier dürfte sich die Bundesregierung von der Hoffnung leiten lassen, die BaFin könne bereits durch Androhung eines Eigenkapitalzuschlags ausreichenden Druck ausüben. Überdies soll die BaFin die Möglichkeit erhalten, die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile zu untersagen oder auf einen bestimmten Anteil des Jahresergebnisses zu beschränken.Variable Vergütungsbestandteile sind Bestandteil einer privatrechtlichen Vergütungsvereinbarung zwischen Institut bzw. Versicherungsunternehmen und ihren Geschäftsleitern, Mitarbeitern oder Aufsichtsratsmitgliedern. Soweit die BaFin für künftig abzuschließende Verträge untersagen kann, dass variable Vergütungsbestandteile ausgezahlt werden, oder soweit sie diese auf einen bestimmten Anteil des Jahresergebnisses beschränken kann, liegt ein Eingriff in die Vertragsfreiheit vor.Die Vertragsfreiheit wirkt in zwei Richtungen. Sie gewährleistet dem Einzelnen das Recht, Verträge grundsätzlich so abzuschließen, wie er es wünscht. Darüber hinaus schützt sie den Einzelnen davor, dass die öffentliche Gewalt bereits abgeschlossene Verträge nachträglich einer Änderung unterzieht. VerhältnismäßigkeitAngesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Vertragsfreiheit ist die Rechtfertigung der neuen Eingriffsbefugnisse im Gesetzentwurf überraschend wenig ausgeprägt. Die konkrete Eignung der Befugnisse zur Stärkung der Eigenkapitalausstattung ist nicht näher begründet. In jedem Fall wird die Aufsichtsbehörde im Einzelfall besonders auf die Eignung und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu achten haben.Denn Maßnahmen zur Eigenkapitalstärkung werden nicht jederzeit über die Eingriffe “erzwungen” werden können. Zudem werden oftmals mildere aufsichtsbehördliche Mittel zur Sicherung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen gegeben sein. Die Eingriffsbefugnisse dürfen nicht zu unangemessenen Maßnahmen gegen die Geschäftsleiter eingesetzt werden.Der Bundesrat nahm in seiner Plenarsitzung vom 26. März dieses Jahres zum Gesetzentwurf Stellung. Im Fokus standen dabei insbesondere angebliche Missstände bei der Anlageberatung. Nach Ansicht des Bundesrats sei eine wesentliche Ursache für Falschberatungen, dass Mitarbeiter durch variable Vergütungsanteile dazu verleitet würden, unabhängig vom Kundeninteresse in erster Linie dasjenige Produkt mit der höchsten Provision zu empfehlen. Interesse der KundenDer Bundesrat schlägt daher eine Erweiterung der Vorgaben an die Vergütungssysteme vor. Kundeninteressen sollen bei der Vergütung stärker, etwa durch nichtfinanzielle Parameter wie die Kundenzufriedenheit, berücksichtigt werden. Hierdurch sollen Fehlanreize zulasten der Kunden vermieden werden.Dieser Vorschlag steht im Widerspruch zu der in § 31 d Abs. 4 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) niedergelegten gesetzlichen Vermutung, dass Provisionen die Qualität der Finanzdienstleistung für den Kunden erhöhen. Überdies dürfte die Kundenzufriedenheit maßgeblich vom Erfolg der Anlage selbst und mithin von der Entwicklung der Finanzmärkte abhängen. Dies stellt keinen objektiven und verlässlichen Parameter für die Bemessung der Leistung eines Mitarbeiters dar.Zur Vermeidung unnötiger Belastungen des deutschen Finanzplatzes sollte die Bundesregierung die internationalen Vorgaben lediglich 1:1 umsetzen. Insbesondere eine Umsetzung der Vorschläge des Bundesrats ist nicht angezeigt, zumal die Anlageberatung bereits Gegenstand zahlreicher besonderer gesetzgeberischer Initiativen ist.—-*) Markus Langen, LL.M. (Sydney), und Dr. Henning Berger sind Partner bei White & Case LLP in Frankfurt am Main und Berlin.