RECHT UND KAPITALMARKT

Neue Vorgaben für Kapitalerhöhungen

Änderungen zur EU-Prospektrichtlinie wirken auf Eigenkapitalmaßnahmen - Sonderverjährung entfällt

Neue Vorgaben für Kapitalerhöhungen

Von Laurenz Uhl und Herbert Harrer *)Fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten im Jahr 2003 hat die Europäische Kommission pflichtgemäß die Richtlinie 2003/71/EG überprüft. Im Zentrum der Evaluation der sogenannten EU-Prospektrichtlinie stand der Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist. Die Europäische Kommission identifizierte dabei verschiedene Bereiche zur Überarbeitung, um sowohl den bürokratischen Aufwand für Emittenten und Finanzintermediäre als auch die Klarheit und Effizienz bestimmter Regeln zu erhöhen und den Anlegerschutz zu verbessern. Die geänderte EU-Prospektrichtlinie ist am 31. Dezember 2010 in Kraft getreten und musste bis zum 1. Juli 2012 in nationales Recht umgesetzt werden. Nationale UmsetzungDie Umsetzung in deutsches Recht erfolgte durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes, das in seinen wesentlichen Bestandteilen zum 1. Juli in Kraft trat. Die Anpassungen erforderten die Änderung von Regelungen im Wertpapierprospektgesetz und im Wertpapierhandelsgesetz sowie in damit zusammenhängenden Rechtsverordnungen.Eine der wichtigsten Änderungen im Zusammenhang mit Bezugsrechtskapitalerhöhungen und Prospektpflicht ist, dass durch die neuen, als Erleichterung für bestimmte Fälle gedachten Regelungen das bislang in Deutschland angewandte Privileg der Prospektfreiheit für Bezugsrechtsangebote ohne Bezugsrechtshandel wegfällt. Derartige Angebote gelten zukünftig nicht mehr als nichtöffentliche Angebote im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes. Dies führt dazu, dass in Zukunft das Angebot von Bezugsrechtskapitalerhöhungen nicht mehr prospektfrei möglich ist, auch wenn die neuen Aktien ausschließlich den Altaktionären angeboten werden und kein Bezugsrechtshandel stattfindet.Die neue Regelung zur erleichterten Prospektausgestaltung für Bezugsrechtsemissionen betrifft Emittenten, deren Aktien gleicher Gattung bereits an organisierten Märkten und multilateralen Handelssystemen mit vergleichbaren Transparenzpflichten zugelassen sind, und kleine und mittelständische Unternehmen. Der Hintergrund hierfür ist, dass bei Wahrung des Anlegerschutzes die Erstellung eines “Vollprospekts” für diese Emittenten als zu aufwendig und kostenintensiv und damit als ineffizient angesehen wird. Voraussetzung ist dabei insbesondere, dass das gesetzliche Bezugsrecht oder eine gleichwertige schuldrechtliche Berechtigung, wie zum Beispiel ein mittelbares Bezugsrecht, gewährt wird. Liegen die Voraussetzungen vor, kann unter anderem auf die Aufnahme von ausgewählten Kennzahlen, die Diskussion der Finanzkennzahlen, (Operating and Financial Review) die Darstellung der Entwicklung des Grundkapitals sowie die Ausführungen zur Satzung verzichtet werden. Viele Angaben sind nur noch ab dem Stichtag der letzten geprüften Finanzinformation vorgeschrieben statt wie bisher für die letzten drei Geschäftsjahre. Maßstab unverändertEs bleibt abzuwarten, ob sich mit der neuen Regelung tatsächlich der Aufwand für die Prospekterstellung spürbar reduzieren lässt. Denn insbesondere der Maßstab für die Prospekthaftung bleibt unverändert; d. h. der Prospekt muss nach wie vor vollständig sein und alle für eine Anlageentscheidung wesentlichen Angaben enthalten.Die formale Vollständigkeit durch Aufnahme des Mindestinhalts gemäß den neuen Vorschriften wird entsprechend nicht von der Haftung entlasten, wenn dennoch wesentliche Informationen im Prospekt fehlen.Zumindest vorerst ist deshalb nicht zu erwarten, dass die eine Kapitalmaßnahme begleitenden Banken auf die übliche Due-Diligence-Prüfung und den damit verbundenen Aufwand verzichten werden. Auch wird sich zeigen müssen, ob ein Wegfall der Diskussion der Finanzkennzahlen von den Investoren akzeptiert wird.Im geänderten Wertpapierprospektgesetz wird nunmehr geregelt, dass jeder wichtige neue Umstand oder jede wesentliche Unrichtigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben, die eine Beurteilung der Wertpapiere beeinflussen könnten und erst nach der Billigung des Prospekts, aber vor dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots bzw. einer späteren Handelseinführung auftreten, einen Nachtrag zum Prospekt erfordern. Dies gilt, solange das Angebot noch nicht beendet ist, bzw., falls der Zeitpunkt später liegt, die Wertpapiere noch nicht in den Handel eingeführt sind. Dem (potenziellen) Anleger wird im Falle eines solchen Nachtrags ein Widerrufsrecht eingeräumt, das dieser innerhalb einer Frist von zwei Werktagen nach Veröffentlichung des Nachtrags ausüben kann.Dies hat zur Folge, dass, wenn eine solche Nachtragspflicht kurz vor Ende des Angebots bzw. unmittelbar vor der Handelseinführung der betroffenen Wertpapiere entsteht und der Emittent der Pflicht durch Erstellung eines entsprechenden Nachtrags nachkommt, das Angebot zur Zeichnung der betroffenen Wertpapiere noch widerrufen werden kann, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Wertpapiere bereits geliefert bzw. in den Handel eingeführt sind. Wie eine Rückabwicklung in einem solchen Fall des Widerrufs erfolgen soll, wird vom Gesetz nicht weiter adressiert. Entsprechend steht die Praxis vor der Herausforderung, für die damit verbundenen rechtlichen und praktischen Probleme praktikable Lösungen zu finden.Die bisherige Sonderverjährung des Börsengesetzes, gemäß dem die Ansprüche aus Prospektfehlern nach einem Jahr ab Kenntnis des Fehlers verjähren, längstens nach zehn Jahren, entfällt. Ab dem 1. Juli 2012 gilt die ordentliche Regelverjährung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Somit verjähren zukünftig Haftungsansprüche aus Prospektfehlern drei Jahre ab Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstand und der betroffene Anleger Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände erlangt hat, spätestens nach zehn Jahren. Unverändert bleibt nach wie vor, dass nur der Erwerb von Wertpapieren bis zu sechs Monate nach Einführung der Wertpapiere zum Handel von der Prospekthaftung erfasst ist. Höhere SchwellenwerteDie Änderungen zur Prospektrichtlinie und entsprechend zum Wertpapierprospektgesetz betreffen verschiedene Ausnahmen von der Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Prospekts bei einem Angebot von Wertpapieren. So sind unter anderem Angebote von Wertpapieren ausgenommen, wenn sich das Angebot an weniger als 150 (vormals 100) sogenannte nicht qualifizierte Anleger in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums richtet oder das jeweilige Wertpapier eine Mindeststückelung von 100 000 Euro (vormals 50 000 Euro) aufweist oder Anleger die angebotenen Wertpapiere nur ab einem Mindestbetrag von 100 000 Euro (vormals 50 000 Euro) pro Anleger je Angebot erwerben können. Auch die Ausnahme zur Prospektpflicht bei Angeboten an Mitarbeiter wird erweitert. Ein prospektfreies Angebot ist hier möglich, wenn der Emittent seine Hauptverwaltung oder seinen Sitz in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums hat, die Wertpapiere bereits an einem organisierten Markt (oder einem anerkannten gleichwertigen Markt) zugelassen sind und der Emittent in einem Dokument über die Wertpapiere informiert und die Gründe und Einzelheiten zu dem Angebot darlegt. RisikoverlagerungEs bleibt nun abzuwarten, ob die Neuregelungen ihr Ziel erreichen werden. Die Erweiterung des Widerrufsrechts über den Zeitpunkt der Lieferung der Aktien oder der Einführung in den Handel führt aus unserer Sicht zu einer nicht sachgerechten Verlagerung des Kursrisikos vom Anleger auf die Gesellschaft oder Banken und gewährt wirtschaftlich eine “Putoption”, also eine Verkaufsoption, im Falle einer negativen Kursentwicklung. Auch bei der Möglichkeit der Vereinfachung des Prospekts bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen erfolgt keine Anpassung des Prospekthaftungsregimes. Es ist also anzunehmen, dass diese Möglichkeit in Zukunft jedenfalls bei größeren internationalen Transaktionen hinsichtlich der erheblichen Punkte wenig in Anspruch genommen wird.—-*) Dr. Laurenz Uhl und Dr. Herbert Harrer sind Partner der Rechtsanwaltssozietät Linklaters in Frankfurt.