Recht und Kapitalmarkt

Neue Wege gegen Missbrauch von HV-Beschlüssen nötig

Arbeitskreis präsentiert Vorschläge zur Neufassung der aktienrechtlichen Vorschriften: Geschmeidigere, effizientere und flexiblere Reaktion

Neue Wege gegen Missbrauch von HV-Beschlüssen nötig

Von Roger Kiem *) Das geltende Recht gewährt bekanntlich jedem Aktionär unabhängig von seiner Beteiligungsquote das Recht, Hauptversammlungsbeschlüsse durch Erhebung einer Anfechtungsklage auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Gerade bei Strukturmaßnahmen wie Verschmelzungen oder Unternehmensverträgen, aber auch bei Kapitalmaßnahmen, führt die Erhebung einer Anfechtungsklage zu teilweise beträchtlichen Verzögerungen bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahme. Dadurch baut sich ein enormes Erpressungspotenzial auf, das die Anfechtungskläger nicht selten auszunutzen wissen. Es besteht daher weitgehend Einigkeit, dass das Beschlussmängelrecht in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung zu reformieren ist: Es ist anfällig für Missbrauch und bietet daher keinen funktionsfähigen Rahmen für die Rechtmäßigkeitskontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen. Dieser Befund ist dabei keineswegs neu. Seit JahrzehntenSeit Jahrzehnten wird die Missbrauchsanfälligkeit der Beschlusskontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen börsennotierter Unternehmen – mit unterschiedlicher Intensität – beklagt. Der Gesetzgeber ist dabei nicht untätig geblieben. So wurde in den neunziger Jahren das Freigabeverfahren für bestimmte Strukturmaßnahmen eingeführt, um beispielsweise Verschmelzungen und Spaltungen trotz anhängiger Anfechtungsklagen vollziehen zu können. Mit der letzten Reform des Aktiengesetzes durch das UMAG 2005 wurde der Anwendungsbereich für das Freigabeverfahren ausgeweitet und die Anfechtung wegen Informationsmängeln eingeschränkt. Die vom Gesetzgeber in die Wege geleiteten Schritte haben die Unzulänglichkeiten indessen nicht beseitigen können, weil nur die Symptome, nicht aber der Kern des Problems angegangen wurden. Außerdem ist die Zielrichtung der gesetzgeberischen Maßnahmen in ihrer Konsequenz bedenklich: Sie laufen im Ergebnis auf eine faktische Aushöhlung des Klagerechts der Aktionäre hinaus, ohne eine andere Form der Rechtmäßigkeitskontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen vorzusehen. Zu kurz gegriffenEs besteht also Handlungsbedarf, und nicht wenige Stimmen haben sich mit Vorschlägen zur Änderung des Beschlussmängelrechts zu Wort gemeldet. Auch das Bundesjustizministerium hat die anstehende Umsetzung der Aktionärsrichtlinie zum Anlass genommen, mit dem vorgelegten Entwurf des ARUG das Beschlussmängelrecht nachzubessern. Allerdings ist eine wirklich tiefgreifende Reform erforderlich, die die seit langem beklagten Missstände abstellt und zugleich ein in sich stimmiges Konzept der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle liefert. Dazu greifen die bislang vorgestellten Reformvorschläge indessen zu kurz.Die bisherigen Überlegungen zur Reform des Beschlussmängelrechts erscheinen einerseits nicht weitgehend genug, andererseits sind sie inkonsistent. Denn sie zielen vor allem auf die weitere Effektuierung des Freigabeverfahrens, und zwar in der Weise, dass es für die bestandskräftige Eintragung auf die Rechtswidrigkeit (bzw. Rechtmäßigkeit) des Beschlusses im Ergebnis gar nicht mehr ankommen soll, sofern das wirtschaftliche Interesse der Gesellschaft, wie regelmäßig, dasjenige des einzelnen Klägers überwiegt. Die in ihrer Reichweite im Einzelnen umstrittene Bestandskraft ist überdies gegenwärtig so ausgestaltet, dass “Mängel des Beschlusses seine Durchführung unberührt” lassen und die Beseitigung dieser Eintragungswirkung auch nicht im Wege des Schadensersatzes verlangt werden kann. Zugleich ist der – nominell bestehende – Schadensersatzanspruch praktisch wertlos, weil er auf den Ausgleich einer individuellen Vermögenseinbuße beim klagenden Aktionär beschränkt ist. Diese Regelung ist deshalb inkonsistent, weil sie die Anfechtungsbefugnis als solche unberührt lässt, die Wirkungen aber in einer Weise beschneidet, die nur als verdeckter materieller Ausschluss – oder jedenfalls erhebliche inhaltliche Beschränkung – des Anfechtungsrechts im Bereich besonders wichtiger Entscheidungen bezeichnet werden kann. Die EckpunkteVor diesem Hintergrund schlägt der Arbeitskreis Beschlussmängelrecht vor, das geltende Beschlussmängelrecht grundsätzlich neu auszurichten. Er hat dazu Vorschläge zur Neufassung des Beschlussmängelrechts der AG ausgearbeitet, die Anfang September, also rechtzeitig vor dem Deutschen Juristentag in Erfurt, publiziert werden. Der Vorschlag basiert auf den folgenden Eckpunkten, die dem Juristentag zur Abstimmung gestellt werden sollen.Die Fehlerkategorie der Nichtigkeit eines Beschlusses, also die Nichtigkeit von Anfang an, wird beibehalten. Allerdings werden die im Gesetz aufgeführten verfahrensbezogenen Nichtigkeitsgründe klarer gefasst. Vor allem die ärgerlichen Einberufungsfehler sollen nicht mehr zur automatischen Nichtigkeit führen, wenn für den verständigen Aktionär klar ist, was in der Einberufung gemeint war. Außerdem wird die inhaltliche Nichtigkeit auf wirklich gravierende Fälle beschränkt, die eine Tolerierung durch die Rechtsordnung nicht dulden. Es geht mithin um Verstöße gegen die tragenden Strukturprinzipien des Aktienrechts, also beispielsweise die Abschaffung des Aufsichtsrats, die die zwingende Nichtigkeit begründen, und nicht mehr um schlichte Nichteinhaltung von Ordnungsvorschriften. Nur bei schweren MängelnDie rückwirkende Vernichtung des Beschlusses – in der herkömmlichen Denkart die Kategorie der Anfechtbarkeit – kommt nur noch bei besonders schweren Beschlussmängeln in Betracht. Stattdessen erfolgt die Sanktionierung weniger schwer wiegender Beschlussmängel durch andere – nicht zuletzt im Hinblick auf die Möglichkeit einer kumulativen Anordnung – hinreichend wirksame Maßnahmen. Dazu zählt die Möglichkeit, der Gesellschaft ein Rügegeld aufzuerlegen. Zudem kann das Gericht anordnen, dass die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt gemacht wird, also eine gewisse “Pranger-Wirkung” erzielt wird.Schließlich kann das Gericht die Beschlusswirkungen bei festgestellter Fehlerhaftigkeit des Beschlusses auch für die Zukunft aufheben. Ein geschaffenes genehmigtes Kapital könnte dann nicht mehr ausgeübt werden; soweit es bereits ausgeübt wurde, bleibt die Kapitalerhöhung wirksam. Die Möglichkeit der Differenzierung bei den Rechtsfolgen eines festgestellten Beschlussmangels beseitigt einen Kardinalfehler des geltenden Rechts: die zwingende Kassation eines fehlerhaften Beschlusses. Bei leichteren und mittelschweren Fehlern, den in der Praxis am häufigsten anzutreffenden, ist eine solche harsche Sanktion nicht angezeigt, zumal, wenn diese Klagemöglichkeit jedem Aktionär offen steht. Mit einem Katalog möglicher Sanktionen lässt sich viel geschmeidiger und effizienter auf Beschlussfehler reagieren.Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Verfahrensbeschleunigung. Sie wird zum einen erreicht durch die Begründung der Zuständigkeit der Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz für Beschlussmängelklagen und zum anderen durch eine Entscheidung in der Hauptsache innerhalb von drei Monaten im Regelfall. Schließlich wird das Freigabeverfahren in seiner gegenwärtigen Form durch eine nach drei Monaten ergehende Zwischenentscheidung des Prozessgerichts über die Eintragung des Beschlusses im Handelsregister ersetzt, falls in der Hauptsache ausnahmsweise nicht innerhalb von drei Monaten entschieden werden kann. Anders als nach dem geltenden Recht im Freigabeverfahren wird dabei nicht mehr auf die Interessen von Gesellschaft und Anfechtungskläger abgestellt. Entscheidend ist allein, ob schwer wiegende Beschlussmängel vorliegen, die eine rückwirkende Aufhebung erfordern. Das lässt sich vergleichsweise einfach innerhalb von drei Monaten feststellen, jedenfalls wenn ein erfahrener OLG-Senat mit der Sache befasst ist. *) Dr. Roger Kiem ist Rechtsanwalt bei Shearman & Sterling.Dem Arbeitskreis Beschlussmängelrecht gehören ebenfalls an: Volker Butzke, Syndikus, Deutsche Bank; Prof. Dr. Mathias Habersack, Tübingen; Dr. Peter Hemeling, Syndikus, Allianz; Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Mainz; Prof. Dr. Ulrich Noack, Düsseldorf; Prof. Dr. Carsten Schäfer, Mannheim; Eberhard Stilz, Präsident des OLG Stuttgart und Dr. Jochen Vetter, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller.