RECHT UND KAPITALMARKT

Noch keine Entwarnung vor No-Deal-Brexit

Auch kleinere europäische Finanzdienstleister und Fondsmanager müssen über Notfalllösungen nachdenken

Noch keine Entwarnung vor No-Deal-Brexit

Von Patricia Volhard und Simon Witney*)Banken und Versicherungen haben – soweit möglich – alle Szenarien eines Brexits einschließlich eines No-Deal-Brexit in ihre Planungen und Notfalllösungen einbezogen. Anders zum Teil insbesondere kleinere Finanzdienstleister und Fondsmanager, die in der Regel nicht über die gleichen Mittel verfügen und es daher bislang vorgezogen haben, mit tiefgreifenden Änderungen noch abzuwarten, um dann in Kenntnis der sich abzeichnenden Alternativen für britischen Firmen, eine besser informierte Entscheidung treffen zu können. Zwar konnte man beobachten, dass seit dem Brexit-Referendum Fonds zunehmend in Luxemburg aufgelegt wurden und Fondsmanager zum Teil ihren Sitz nach Luxemburg und Irland verlegt haben. Ein großer Teil des übrigen operativen Geschäfts wie etwa Beratung und Vertriebstätigkeiten blieb aber in Großbritannien. Eine Verlegung dieses Geschäfts wäre für die im Vergleich zu Banken in der Regel personell und oft auch finanziell weniger stark ausgestatteten Finanzunternehmen ein drastischer Einschnitt. Die sich nun in den letzten Monaten abzeichnenden Entwicklungen führen nun aber dazu, dass auch diese Unternehmen über Notfalllösungen für den Fall eines No-Deal-Brexit nachdenken müssen.Die Einigung der Vertreter der EU auf ein Austrittsabkommen im November hätte ein Moment der Sicherheit sein sollen. In Wirklichkeit jedoch würde es nur der Unsicherheit Aufschub gewähren, da langfristige Abkommen zwischen Großbritannien und der EU noch immer verhandelt werden müssen. Dennoch ist der Abkommensentwurf wichtig und gut, denn es sieht eine Übergangsphase vor, die einen ruhigeren Wechsel ins kommende Jahrzehnt sichern soll, wenn es verabschiedet wird.Unglücklicherweise scheint aber die Zustimmung der EU zu dem mit Theresa May ausverhandelten Austrittsabkommen nun einen fast gegenteiligen Effekt entfaltet zu haben. Denn der Entwurf sieht verbindliche Regelungen für Großbritannien in den Punkten vor, die nicht von der Mehrheit des Parlaments in Großbritannien mitgetragen werden. Die EU steht nun aber auf dem Standpunkt, dass eben diese Punkte nicht mehr verhandelbar sind, so dass sich im Ergebnis die Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten No-Deal-Brexit im März kommenden Jahres in Wirklichkeit erhöht hat. Das Misstrauensvotum diese Woche, welches zwar May für sich gewinnen konnte, zeigt, wie angespannt die Lage in Großbritannien ist. Vorbereitungen laufenNatürlich ist noch nicht alles vorbei, längst nicht. Ungeachtet der Verlautbarungen auf Seiten der EU, dass man nicht bereit sei, noch einmal in die Verhandlungen einzusteigen, haben Vertreter der EU nun am Donnerstag die, wenn auch schwache und unverbindliche, Zusicherung gemacht, dass man bei der Auslegungen der Regelungen in der streitigen Irlandfrage Großbritannien entgegenkomme. Diese Zusicherung könnte, wenn sie im Nachgang durch rechtliche Garantien untermauert wird, dass das Irische Protokoll zeitlich limitiert ist, für das UK-Parlament ausreichend sein. Dennoch bleibt das Risiko, dass das UK-Parlament dem Abkommensentwurf auch mit den jüngsten Zusicherungen der EU nicht zustimmt. In den in diesen Tagen anstehenden Diskussionen der EU konzentriert man sich daher auf Vorbereitungen für den Fall eines No-Deal-Brexit. Auf Seiten Großbritanniens ist selbst ein neues Referendum nicht auszuschließen.Gemäß britischem Recht und dem EU-Vertrag wird Großbritannien am 29. März aus der EU austreten, und es bedürfte einer Gesetzesänderung, um das zu verhindern. Firmen können es sich nicht leisten, sich darauf zu verlassen, dass das britische Parlament rechtzeitig eine Entscheidung trifft. Die britische Aufsichtsbehörde hat sich bereits auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet. Sie veröffentlichte im Oktober zwei längere Konsultationspapiere. Eines davon befasst sich mit dem “Temporary Permissions Regime” (eines zeitlich begrenzten Rechtsrahmens, der es EU-Firmen erlaubt, für eine begrenzte Zeit nach dem Brexit weiterhin in Großbritannien aktiv zu sein). Im vergangenen Monat hat die FCA dem Berg an Material, den die Firmen und deren Berater abarbeiten müssen, weitere 986 Seiten hinzugefügt: Sie hat ein zweites Konsultationspapier veröffentlicht, das sich mit Änderungen des bestehenden Regelwerks für britische Unternehmen für den Fall eines No-Deal-Brexit befasst.Danach soll für UK-Unternehmen bestehendes Recht mit so wenigen Änderungen wie irgend möglich beibehalten werden, um sicherzustellen, dass Rechtsvorschriften und die Regelbücher der FCA in einer Welt nach dem Brexit noch funktionieren. Dennoch werden Konsequenzen eintreten, die sich daraus ergeben, dass andere EU-Mitgliedstaaten nach britischem Recht als “Drittländer” verstanden werden müssen. Zum Beispiel wird der Erwerb von kontrollierenden Beteiligungen an EU-Portfoliounternehmen durch britische Private-Equity-Fonds nicht länger von dem durch die europäische AIFM-Richtlinie eingeführten “Ausschlachtungsverbot” abgedeckt werden.Auch wenn danach die Rechtslage im Falle eines harten Brexit in Großbritannien jedenfalls übergangsmäßig einen einigermaßen unbehinderten Fortlauf des Geschäfts zu ermöglichen scheint, bleibt die Rechtslage für Tätigkeiten in der EU für britische Unternehmen weiterhin ungesichert. Übergangsregelungen gibt es derzeit nicht.In Großbritannien ansässige Finanzdienstleister und Fondsmanager müssen daher unbedingt bedenken, ob ihre Aktivitäten außerhalb Großbritanniens Gegenstand zusätzlicher Zulassungsvoraussetzungen sein werden, da ein ungeordneter Brexit den sofortigen Verlust jeglicher Passportregelungen bedeuten würde. Das setzt eine Analyse der in der EU durchgeführten und an in der EU ansässige Kunden und Investoren erbrachten Dienstleistungen und angebotenen Finanzprodukte voraus, und könnte Firmen dazu zwingen, in der EU eine Präsenz aufzubauen und eine Erlaubnis zu erwerben, um weiterhin in der EU tätig zu sein.Daraus ergeben sich komplizierte Fragen, insbesondere vor dem Hintergrund dessen, dass unter den EU-Mitgliedstaaten nicht immer eine einhellige Auslegung zu den geltenden Regelungen des EU-Rechts für Finanzdienstleister besteht. Das kann so weit gehen, dass selbst die Frage der Erlaubnispflicht einzelner Tätigkeiten unterschiedlich gehandhabt wird. Folglich ist eine gründliche Analyse der unterschiedlichen Rechtsrahmen und Auslegungen (einschließlich der Frage des geografischen Anwendungsbereichs) für jeden einzelnen Mitgliedsstaat notwendig.Und jeder, der noch Hoffnungen hegt, dass die EU-Mitgliedstaaten oder die einzelnen Aufsichtsbehörden zu ihrer Rettung herbeieilen werden, wird vermutlich irren: Derzeit scheinen nur wenige Mitgliedstaaten über Übergangsregelungen für einen Fall des ungeordneten Brexit nachzudenken. In Deutschland wurde jüngst der Entwurf eines Brexit-Gesetzes veröffentlicht, welches im Falle eines No-Deal-Brexit für die Übergangszeit Erleichterungen für britische Firmen ins Auge fasst; dies allerdings nach dem derzeitigen Entwurf in einem sehr beschränkten Maße. So wird der Vertrieb von Fonds durch Fondsmanager von den Übergangsregelungen nach diesem Entwurf gar nicht erst erfasst. Hoher finanzieller AufwandRealität ist, dass die Auswirkungen eines No-Deal-Brexit für die meisten europäischen Finanzdienstleister und Fondsmanager abgemildert werden können – vorausgesetzt, dass sie gründlich vorbereitet sind. Manche Firmen waren bereits gezwungen, beträchtliche Summen in ihre Notfallpläne zu investieren und andere – besonders jene, die sich mitten im Vertrieb befinden – werden in den kommenden Monaten gründlich bedenken müssen, wie sie sicherstellen können, dass ein No-Deal-Szenario sich nicht allzu schädlich auswirkt.Es gibt nach wie vor gute Gründe zu hoffen, dass eine unsanfte Landung vermieden werden kann, diese sind aber mittlerweile für jedes grenzüberschreitend agierende Unternehmen nicht mehr ausreichend, um sich darauf auch verlassen zu können.—-*) Patricia Volhard ist Partner bei Debevoise & Plimpton in London und Frankfurt, Dr. Simon Witney Special Counsel der Kanzlei in London.