PORTFOLIO - IM INTERVIEW: HEINZ STEFFEN, FAIRESEARCH

"Nur die Anleger bleiben staunend auf der Strecke"

Anleihenexperte über Willi Balz, Windreich, Mittelstandsanleihen und das Emissionsverhalten an den Bondsegmenten für Mittelständler - Kritische Bilanz

"Nur die Anleger bleiben staunend auf der Strecke"

Rund drei Jahre gibt es nun Segmente für Mittelstandsanleihen in Deutschland. Heinz Steffen, Partner beim Analysehaus Fairesearch, hat bereits früh vor Verfehlungen in diesem Bereich gewarnt. Im Interview der Börsen-Zeitung zieht er abermals eine recht kritische Bilanz und macht auf unglückliche Entwicklungen aufmerksam.- Herr Steffen, das Unternehmen Windreich bzw. Windreich-Chef Willi Balz sorgen im Segment der deutschen Mittelstandsanleihen wieder einmal für Aufsehen. Wie schätzen Sie die Entwicklung rund um Windreich bzw. Balz ein?Ich habe mehrfach vor der Gesellschaft und vor allem vor dem Vorstandsvorsitzenden Balz gewarnt. Der schnelle Niedergang des Unternehmens und des Unternehmers hat mich dann aber doch überrascht. Die häufigen personellen Wechsel im Aufsichtsrat und im Vorstand deuteten bereits auf finanzielle Schwierigkeiten des Unternehmens hin. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Kapitalanlagebetrug, Kreditbetrug, Bilanzmanipulation sowie Insolvenzverschleppung, die damit einhergehenden Durchsuchungen von Büro- und Privaträumen der Manager, die verzögerten Zinszahlungen für die bis 2015 laufende Anleihe, das Darlehen des schottischen Lords Laidlaw zu exorbitanten Zinsen von gut 20 % und das nicht veröffentlichte Rating lassen wirklich nichts Gutes erahnen.- Was glauben Sie, wie es bei Windreich nun weitergehen wird?Wie die Ermittlungen auch ausgehen, das Thema Windreich ist meiner Ansicht nach beendet. Willi Balz wird in die Geschichte als begnadeter Selfmademan bzw. Selbstdarsteller eingehen. Dabei war der wirtschaftliche Erfolg nur von kurzer Dauer und hat nicht nur einen Reputationsschaden für die gesamte Windenergiebranche, sondern auch für das Segment der Mittelstandsanleihen und speziell für die Börse Stuttgart hinterlassen. Das Kapital der Privatinvestoren ist wohl zu einem erheblichen Teil als verloren anzusehen, die Anleihen notieren noch bei 28,00 % bzw. 21,80 % des Nominalwertes. Damit bleibt die Frage, wer neben Balz dafür verantwortlich ist. Neben dem Management des Unternehmens sind auch kritische Fragen an die Berater, hier die FMS AG, und die Börse Stuttgart zu richten. Die Börse Stuttgart hat, wenn auch verspätet, mit personellen Veränderungen auf diese Entwicklung reagiert.- Es handelt sich bei Windreich um eine AG. Diese hat ein Kontrollorgan, den Aufsichtsrat (AR). Hat der AR im Hinblick auf die Entwicklungen auf unternehmerischer Ebene und insbesondere mit Blick auf die Finanzlage nicht eingegriffen?Für mich ist das auch wieder so ein Coup des Willi Balz. Am 18. Januar dieses Jahres gewann er die Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen als stellvertretende AR-Vorsitzende für Windreich. Die erste AR-Sitzung war meines Wissens für Februar geplant. Die notwendigen Beschlüsse für einen Formwechsel von einer AG in eine GmbH wurden laut Balz aber bereits im Februar getroffen. Diese Argumentation ist für mich nicht nachvollziehbar: Während man im Januar den AR noch neu besetzt, beginnt man bereits im Februar, den Rechtsformwechsel vorzubereiten?- Was ist Ihre Einschätzung?Der wahre Grund ist für mich ein anderer. Mit dem Rechtsformwechsel hat man sich einen peinlichen Rückzug vor allem von Frau Christiansen aus dem AR erspart. Bei einer GmbH kann ein AR freiwillig eingerichtet werden. Zwingend ist ein AR bei einer GmbH nur dann, wenn die Gesellschaft mehr als 500 Arbeitnehmer hat. Auf diese Art und Weise hat Balz die gesamte Angelegenheit für sich und den AR recht elegant gelöst. Nur die Anleger bleiben staunend auf der Strecke.- Abgesehen von Windreich und Balz – welche Entwicklungen registrieren Sie bei Mittelstandsanleihen noch, die Anleger genauer im Blick behalten sollten?Anleihen werden via Tochtergesellschaften an den Markt gebracht, und das ist eine bevorzugte Variante, wenn die Emission mit wenig Aufwand und Veröffentlichungspflichten ablaufen soll. Das muss schlichtweg missfallen. Das beste Beispiel dafür ist die Anleihenemission der Tochtergesellschaft MAG IAS. Mittlerweile gehen aber auch andere Unternehmen diesen Weg.- Wie sieht es bei MAG IAS aus?Die MAG IAS GmbH bildet aufgrund enger finanzieller Verpflichtungen mit der MAG Europe GmbH einen gemeinsamen Risikokreis. Die MAG Europe ist gegenüber der MAG IAS GmbH hochverschuldet. Durch die bilanzielle Überschuldung der Muttergesellschaft sind aufgrund offener Forderungen der Tochtergesellschaft MAG IAS GmbH erhebliche Risiken vorhanden. Die Anleihe notiert aktuell bei 100,75 %, und das Rating vom 24. Januar liegt bei “B +”. Irgendetwas läuft hier aus dem Ruder.- Wie sieht es generell bei der Beurteilung der Mittelverwendung aus?Prinzipiell habe ich als Anleihezeichner eine schlechte Ausgangsposition bei der Beurteilung der Mittelverwendung. In der Regel begibt die Tochtergesellschaft die Anleihe, und das Geld wird dann für den Gesamtkonzern eingesetzt. Dies kann dazu führen, dass bei einer Insolvenz der Muttergesellschaft das Kapital aus der Anleihe ebenfalls nicht mehr vorhanden ist. Für den Anleihegläubiger ist es wichtig, die Geschäftszahlen des Gesamtkonzerns und nicht nur die einer Tochtergesellschaft einsehen zu können. Erst mit dem konsolidierten Konzernabschluss wird deutlich, in welche Richtung sich die Gruppe bewegt und wie hoch das Insolvenzrisiko einzustufen ist. Bei der Karlsberg Brauerei ging die Tochtergesellschaft mit einer Anleihe an die Börse, konsolidierte Zahlen für den Gesamtkonzern liegen aber nicht vor.- Gibt es noch ein anderes Emissionsverhalten, was zumindest genau beobachtet werden sollte?Ja, das sind die Aufstockungen, die bei traditionellen Corporate Bonds ja nichts Ungewöhnliches oder Kritisches sind. Dies hat sich nun auch bei den Mittelstandsanleihen bereits nach kurzer Zeit etabliert, sollte hier aber mit Vorsicht angegangen werden. Es sind zwei Varianten von Aufstockungen zu unterscheiden. Bei der ersten Variante konnte das Unternehmen mangels Interesse das angepeilte Gesamtvolumen nicht platzieren. Erst in der zweiten Phase konnte Vertrauen bei den Anlegern gewonnen werden. Die zweite Variante der Aufstocker sind Unternehmen, deren Platzierungsvolumen mehrfach überzeichnet war. Die gute Nachfrage macht man sich im zweiten Schritt zunutze, um von der positiven Resonanz aus der Vergangenheit profitieren zu können. Auffallend ist die schlechte wirtschaftliche Entwicklung nach der Erstemission.- Können Sie ein Beispiel nennen?Bei dem Konsumgüterproduzenten Zamek sind wir bei Alarmstufe Rot angekommen. Am 4. Februar 2013 berichtete das Unternehmen von einer erfolgreichen Platzierung der um 10 Mill. Euro aufgestockten Anleihe bei institutionellen Investoren. Über den Jahresabschluss 2011/12 per Ende Juni 2012 wurde vorher, und zwar am 14. Januar 2013 berichtet. Der entscheidende Halbjahresbericht per Stichtag 31. Dezember 2012 für das Geschäftsjahr 2012/13 war erst am 18. März 2013, also nach der Aufstockung einsehbar. Dies geschah wohl aus gutem Grund, wenn man sich die Entwicklung des Eigenkapitals genauer ansieht. Das Eigenkapital fiel von 12,49 Mill. Euro auf nur noch 1,6 Mill. Euro bzw. von 35 % auf 2,9 % gemessen an der Bilanzsumme. Hier ist durchaus die Frage berechtigt, ob die Anleihe nicht irgendwann einmal notleidend werden könnte. Da kam die Aufstockung gerade noch rechtzeitig.- Die Aufstockung könnte also negative Signale senden?Die Aufstockung könnte als Zeichen dafür gewertet werden, dass das Unternehmen Schwierigkeiten sieht, die Zinszahlungen noch leisten zu können. Um auf der sicheren Seite zu sein, wurde deshalb eine weitere Anleihe aufgelegt. Mit der Aufstockung erreicht das Unternehmen, dass die liquiden Mittel für eine anstehende oder absehbare Zinszahlung ausreichend sind und der Weg für die Emission weiterer Anleihen geebnet wird. Spannend wird es also vor allem im Jahr 2015 werden, wenn zahlreiche Anleihen auslaufen.- Gibt es darüber hinaus noch Emissionsgebaren, die sie als kritisch empfinden?Die verschärfte Variante des Aufstockers sehe ich in dem Kaskadenmodell. Hier wird es für den Anleger noch um einiges undurchsichtiger und damit auch riskanter. Erst nimmt beispielsweise die eine Gesellschaft Kapital auf und stellt es zur Verfügung. Wenn das nicht mehr reichen sollte, steht die Tochtergesellschaft oder aber eine ausgegliederte ehemalige Tochtergesellschaft für eine Anleihenemission bereit.- Haben Sie ein Beispiel?Interessierte können sich KTG Agrar/KTG Energie und jetzt neu Ekosem-Agrar/Ekotechnika ansehen. So hat die Ekoniva-Agrar über ihre deutsche Tochtergesellschaft Ekosem-Agrar zwei Anleihen begeben. Mit der ehemaligen Tochtergesellschaft Ekoniva, die jetzt rechtlich selbständig ist, wird am 29. April über die Holding Ekotechnika im Marktsegment Bondm eine Anleihe über 60 Mill. Euro platziert.- Was fällt hier sonst noch auf?Sowohl bei der Ekosem-Agrar als auch bei der Ekotechnika ist Wolfgang Bläsi Finanzvorstand. Vor seiner Tätigkeit war er Finanzvorstand bei KTG Agrar. Die Kopie des Kaskadenmodells von KTG Agrar ist mehr als gelungen. KTG Agrar bzw. KTG Energie machen in Boden und Bioenergie und Ekosem-Agrar bzw. Ekotechnika in Tieren und Landmaschinenhandel. Wenn nichts mehr geht, könnten zu guter Letzt beide Unternehmen miteinander verschmolzen werden. Die Synergien wären enorm. Beide Unternehmensgruppen sind in Russland mit einem sich ergänzenden Produktprogramm aktiv. Landwirtschaft verspricht außerdem ein solides Investment in Grund und Boden bzw. Tiere in unruhigen Zeiten. Beide Gruppen verfügen außerdem über eine hohe Verschuldung und einen negativen Cash-flow. Man kann Anlegern nur abraten, sich bei diesen Unternehmen als Gläubiger zu engagieren.- Was ist ihr Resümee nach rund drei Jahren Mittelstandsbondssegmenten in Deutschland?Es sind wahrlich nicht alle Unternehmen schlecht in diesen Segmenten. Beispiele für solide Namen sind Dürr, Nabaltec oder Bastei-Lübbe. Aber die Geschäftsmodelle einiger Unternehmen sind noch nicht ausgereift und erinnern sehr stark an die Anfänge des Neuen Marktes. Vorreiter in dieser Hinsicht ist zweifelsohne das Unternehmen Windreich, das wir von Anfang an als nicht kapitalmarktfähig eingestuft haben. Hier wurde leider sehr viel verbrannte Erde hinterlassen.- Und was ist zu den Privatanlegern zu sagen?Es ist festzuhalten, dass der Privatinvestor seine Rolle als Anleihegläubiger noch nicht richtig wahrgenommen hat, auch wenn sich diese Anleger verstärkt mit der Thematik auseinandersetzen. Nach Aussage der DSW ist geplant, neben der Watchliste für Aktien auch eine Watchliste für Anleihen aufzustellen, denn bereits die Hälfte der jährlich 30 000 Anfragen befasst sich nicht mehr mit Aktien. Darüber hinaus sollte auch über die Bestellung eines gemeinsamen unabhängigen Vertreters für die Anleiheinvestoren in den Anleihebedingungen in diesen Segmenten nachgedacht werden. Dieser gemeinsame Vertreter würde nicht erst im Sanierungsfall, sondern bereits zum Zeitpunkt der Emission die Interessen der Anleihegläubiger geltend machen. Die Börsen, Ratingagenturen und Berater sind dafür aber die falschen Ansprechpartner. Wir fordern dringend mehr Transparenz und mehr Qualität von den Marktteilnehmern, da sonst die Mittelstandsanleihen zum Markt für Schrottanleihen verkommen. Es ist bereits fünf nach zwölf und mit dem Segmentwechsel von DIC Asset könnte bereits ein Umdenkungsprozess eingesetzt haben.—-Das Interview führte Kai Johannsen.