ASSET MANAGEMENT - ALTERSVORSORGE IM VERGLEICH: DIE SCHWEIZ - SERIE: ALTERSVORSORGE IM VERGLEICH (TEIL 1)

Nur gemächliches Reformtempo in der Schweiz

Die hohe Solidität des Rentensystems lässt lange Diskussionen über nötige Anpassungen immer noch zu

Nur gemächliches Reformtempo in der Schweiz

Die Erhöhung des Renteneintrittsalters und andere Leistungskürzungen in der Altersvorsorge haben in der Schweiz politisch noch keine Chance. Denn das helvetische Rentensystem stehtfinanziell immer noch zu gut da, als dass es schon jetzt die Entstehung einer reformwilligen Mehrheit zulassen würde. DieseVogel-Strauß-Politik könnte die jüngeren Generationen aber bald teuer zu stehen kommen.Von Daniel Zulauf, ZürichIn der Schweiz lässt es sich gut alt werden. Die mittlere Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten schneller gestiegen als in vielen anderen Industrieländern, und mit 82 Jahren wird sie derzeit nur von Japan übertroffen. Zwar bringen die Schweizer Frauen seit einigen Jahren wieder etwas mehr Kinder zur Welt, doch die Geburtenrate von 1,54 Kindern pro Frau ist bei weitem noch nicht hoch genug, um der Überalterung der Bevölkerung Einhalt zu gebieten. Selbstredend wird diese Entwicklung auch in der Schweiz in absehbarer Zeit zu einer Überbelastung des Rentensystems führen, sofern sich am Leistungsniveau nichts ändert. Davon wollen die Schweizer zumindest vorläufig aber noch gar nichts wissen.Nach einer sechs Jahre währenden Diskussion verwarf das Schweizer Parlament im vergangenen Jahr die Pläne der Regierung, das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre zu erhöhen. Obwohl die Frauen im Durchschnitt vier Jahre länger leben als die Männer, gehen sie weiterhin ein Jahr früher in Pension. Mit der Maßnahme hätte die staatliche Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) jährlich 800 Mill. sfr (670 Mill. Euro) einsparen beziehungsweise die Leistungen für frühverrentete Versicherte mit niedrigen Einkommen verbessern können.Dass die nach dem Umlageverfahren finanzierte staatliche Sozialversicherung irgendwie und wohl in nicht allzu ferner Zukunft ihre Leistungen an den demografischen Trend anpassen muss, wird zwar von niemandem bestritten. Doch der Handlungsdruck ist offensichtlich noch nicht stark genug, sodass die politischen Parteien dieses delikate Thema noch etwas vor sich herschieben können. Zuwanderung hilftDie starke Zuwanderung gut qualifizierter und dementsprechend gut bezahlter Arbeitskräfte – vor allem aus Deutschland – spült dem AHV-Ausgleichsfonds derzeit so viele Mittel in die Kasse, dass dieser nach den jüngsten Berechnungen der Regierung erst ab dem Jahr 2020 zu schmelzen beginnen dürfte. Die kritische Grenze, bei der der Fonds nur noch 50 % dessen in der Kasse hat, was binnen eines Jahres ausgegeben wird, wird gemäß der aktuellen Prognose erst 2025 erreicht.Noch besser als um die AHV steht es um die zweite Säule im Schweizer Rentensystem: die obligatorische private berufliche Vorsorge. 2 351 Pensionskassen verwalteten 2009 ein Vermögen von rund 600 Mrd. sfr, auf das 3,6 Millionen Erwerbstätige und knapp 1 Million Rentner Anspruch haben.Doch auch die zweite Säule ist nicht frei von Problemen. Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus und der schwierigen Verhältnisse an den Finanzmärkten wirft das Kapital längst nicht mehr genügend Rendite ab, um die hohen Erwartungen der Bevölkerung an die finanzielle Sicherheit im Alter garantieren zu können. Schon seit mehreren Jahren sind die Kassen gezwungen, die vom Gesetzgeber festgelegten Rentenleistungen durch Beiträge der aktiven Bevölkerung zu subventionieren.Dennoch hat die schweizerische Bevölkerung in einer Volksabstimmung im vergangenen Frühjahr eine von der Regierung vorgeschlagene Leistungssenkung in Bausch und Bogen abgelehnt. Alle Mitte-Parteien und Wirtschaftsverbände, die in der Schweiz normalerweise komfortable Mehrheiten mobilisieren können, setzten sich dafür ein, dass der gesetzlich festgelegte Zinssatz, zu dem das angesparte Alterskapital in Zukunft in Renten umzuwandeln ist, mit Blick auf die demografische Entwicklung nach unten angepasst wird. Doch ebenso wie das Parlament im Herbst die Reform der AHV auf die lange Bank geschoben hatte, war der Handlungsbedarf bei den Pensionskassen auch für die Bevölkerung nicht offensichtlich.Das Verhalten der Schweizer Politiker und Bürger mögen manche Beobachter als nicht sehr weitsichtig kritisieren. Irrational ist das Verhalten aber nicht. Immerhin befindet sich die Schweiz mit ihrem dreisäuligen Rentensystem in einer im internationalen Vergleich immer noch außerordentlich komfortablen Lage. Der “Melbourne Mercer Global Pension Index”, der sich das hohe Ziel setzt, die Vorsorgesysteme in so unterschiedlichen Ländern wie Amerika, Australien, Brasilien, China, Chile, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Niederlande, Singapur, Schweden und der Schweiz zu vergleichen und zu bewerten, setzte die Eidgenossenschaft nach der jüngsten Auswertung zum zweiten Mal in Folge auf einen Spitzenplatz. Nur das Rentensystem der Niederländer erhielt in der Gesamtbewertung eine leicht bessere Note als jenes der Schweizer.Anhand von 29 Kriterien untersuchte das Beratungshaus Mercer die Qualität der Vorsorgesysteme auf deren Finanzierung, ihre erbrachten Leistungen und ihre Integrität. Überall war die Schweiz weit vorne zu finden, am besten aber fiel das Teilergebnis “Finanzierung” aus. Eine Überraschung ist das nicht, denn die Schweiz setzt in der Altersvorsorge schon seit 1972 stark auf die Kombination zwischen der umlagenfinanzierten staatlichen Versicherung und der kapitalgedeckten privaten beruflichen Vorsorge. Damals wurde das sogenannte Dreisäulensystem nach einer langen öffentlichen Diskussion vom Volk in der Verfassung verankert.Im Unterschied zu vielen anderen westeuropäischen Ländern, in denen die Altersvorsorge der breiten Bevölkerung immer noch hauptsächlich von den umlagenfinanzierten staatlichen Kassen abhängt, stellt die kapitalgedeckte berufliche Vorsorge in der Schweiz auch für kleinere Einkommen die tragende Säule der Altersvorsorge dar.Das Ziel des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG, 2. Säule) besteht darin, dass die arbeitende Bevölkerung im Alter mit einer Rente von mindestens 60 % des früheren Erwerbseinkommens in Pension gehen und die gewohnte Lebensweise fortsetzen kann. Diese Leistung wollte und konnte die staatliche AHV allein nie erbringen.Erst 1948, rund 70 Jahre später als Deutschland, rang sich die Schweiz überhaupt zur Einführung einer Altersversicherung durch, um der Bevölkerung eine minimale Existenzsicherung für das Alter garantieren zu können. An diesem Auftrag hat sich bis heute nichts geändert. Die kapitalgedeckte berufliche Altersvorsorge leistet selbst bei niedrigen Einkommen rund 60 % zur gesamten Rentenleistung. Bei höheren Einkommen von über 60 000 sfr im Jahr ist die Bedeutung der privaten Vorsorge noch deutlich größer. Breite AbdeckungDas Schweizer Rentensystem zeichnet sich nicht nur durch seine hohe Kapitalisierung aus. Dank der frühzeitigen, generellen Einführung der beruflichen Vorsorge vermag das System auch eine breite Abdeckung zu leisten. Die Spannungen, die nun allenthalben mehr oder weniger deutlich zum Vorschein kommen, lassen indes erahnen, dass die nötigen Anpassungen zur Wahrung einer gerechten Verteilung der Anwartschaften unter den Generationen ebenso viel Weitsicht und politischen Willen voraussetzen wie einst die Implementierung des Systems.