Polens Aktienmarkt ist von Deutschland abhängig
Händler an der polnischen Börse in Warschau dürften derzeit eher neidisch gen Westen blicken. Während der Dax auf neuen Höhen notiert, ist das polnische Aktienbarometer, der Wig 20, noch lange davon entfernt, seine alten Höchststände wieder zu sehen. Mehr als fünf Jahre muss der Investor dafür zurückblicken: Am 29. Oktober 2007 beendete der polnische Leitindex den Handel mit 3 917,18 Punkten auf seinem bisherigen Allzeithoch. Derzeit wird für die 20 größten polnische Werte ein Indexstand um die 2 350 Punkte gemessen. Das sind 40 % unter dem Allzeithoch. Nun mag das Bild etwas überzeichnet sein, da der Wig 20 als reiner Preisindex konstruiert ist. Im Index sind eine ganze Reihe von dividendenstarken Werten enthalten, sodass eine Berechnung als Performanceindex – so wie auch der deutsche Aktienindex ermittelt wird – den Abstand zum Allzeithoch verringern würde. Dennoch muss klar festgestellt werden: Das Jahr 2013 hat für polnische Werte schwierig begonnen. Während 2012 der Wig 20 einen Anstieg von 20,5 % verzeichnen konnte, steht für das erste Quartal unter dem Strich ein deutlicher Rückgang um 8,2 % in lokaler Währung. Hohe ExportverflechtungDie Gründe liegen weniger auf Unternehmensebene als auf der makroökonomischen Seite. Polen ist mit seiner relativ hohen Exportverflechtung insbesondere in die anderen EU-Staaten mit Deutschland an der Spitze von der wirtschaftlichen Entwicklung der EU abhängig. Verglichen mit anderen osteuropäischen Ländern wie Ungarn, Tschechien oder der Slowakei erscheint die polnische Wirtschaft aber durchaus stärker vom Inlandskonsum getrieben zu sein.Die dauernden Turbulenzen um die Staatsschuldenkrise, insbesondere die um Zypern, haben Investoren verunsichert und zu Mittelabflüssen geführt. Positiv zu erwähnen ist, dass von der Inflationsseite keine Gefahr droht. Die Inflation ist mit Werten knapp über 1 % unter Kontrolle, und viele Makrodaten Polens stehen im internationalen Vergleich gut da. Sorgen bereitet die angespannte Lage am Arbeitsmarkt (Arbeitslosenquote: rund 10 %) und die Tatsache, dass der Inlandskonsum welcher als wichtige Stütze gilt, rückläufig ist.In diesem Umfeld steht nun für die Zukunft eine Reihe von Privatisierungen an. Der Staat plant, sich von Unternehmensanteilen im Wert von rund 5 Mrd. Zloty, umgerechnet rund 1,2 Mrd. Euro, zu trennen. Zu den Firmen, die sich auf der Privatisierungsliste finden und die bereits gelistet sind, zählen Chemieunternehmen (Ciech, ZA Pulawy, Grupa Azoty Tarnow), Energieunternehmen (ENEA, PGE),Finanzadressen (PKO BP, PZU, Warsaw Stock Exchange) und Rohstoffunternehmen (JSW). Darüber hinaus will der polnische Staat sich auch von noch nicht gelisteten Unternehmen trennen. Hierzu zählen Energa, Kompania Weglowa, Katowicki Holding Weglowy und Weglokoks.Eine wichtige Rolle bei den Privatisierungsbemühungen dürfte die inländische Nachfrage spielen. Polnische Pensionsfonds halten derzeit eine Aktienquote von rund 38 %. Im gegebenen polnischen Rechtsrahmen dürfen sie diese Quote bis auf 47,5 % erhöhen. Hier ist also noch Potenzial, um die Privatisierungen gelingen zu lassen, selbst wenn die ausländische Nachfrage verhalten bleiben sollte. Derzeit halten polnische Pensionsfonds Aktien über rund 272 Mrd. Zloty. Die derzeitigen Privatisierungspläne der Regierung könnten somit problemlos von den Pensionsfonds absorbiert werden. Wir erwarten in diesem Umfeld in Zukunft auch eine Erhöhung der M & A-Aktivitäten in Polen. Aus vielen Gesprächen mit Unternehmen vor Ort haben wir gelernt, dass hier Chancen gesehen werden. Die Konsolidierung eröffnet somit Wachstumschancen. Eine HerausforderungDas Jahr 2013 wird für den polnischen Aktienmarkt und damit für die Investoren eine Herausforderung bleiben. Wir halten das Upside für kurzfristig eher überschaubar, sind aber mittel- und langfristig positiv gestimmt. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 halten wir die Bewertung im Wig 20 für fair. Nicht zu unterschätzen ist die relativ hohe Dividendenrendite von erwarteten 4,9 % für 2013. Darüber hinaus sind die langfristigen Treiber für Osteuropa und damit auch für Polen intakt: Die Konvergenz-Story ist nicht zu Ende, die Währungen haben weiterhin Aufwertungspotenzial gegenüber dem Euro, und ausländische Direktinvestitionen werden unverändert für Beschäftigungszuwachs und Know-how-Transfer sorgen. Ob und in welchem Maße in die Märkte wieder verstärkt Liquidität fließen wird, hängt auch von der Gesamtsituation im Euroraum ab. Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Staatsschuldenkrise bewältigt wird und die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank positive Wirkungen beibehalten, desto größer ist auch das Erholungspotenzial für die polnische Wirtschaft.Eine besondere Rolle wird in diesem Zusammenhang Deutschland spielen. Durch die relativ hohe Exportabhängigkeit der polnischen Wirtschaft von Deutschland ist es von besonderer Wichtigkeit, dass die deutsche Konjunktur stabil bleibt. Wenn sie dies tut, kann der polnische Aktienmarkt überproportional profitieren. So gesehen ist eine Investition in den polnischen Aktienmarkt wie eine Option auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Aber auch unabhängig von den großen Rahmenbedingungen: Die richtige Einzeltitelselektion wird für den Erfolg eines Fonds maßgeblich sein. Und Investoren in Osteuropa sollten mindestens einen Anlagehorizont von fünf bis zehn Jahren mitbringen.—-Ernst Mosser, Fondsmanager bei Generali Capital Management, Wien