Recht und Kapitalmarkt

Profi-Aktionäre sprechen nicht mehr mit einer Stimme

Aktuelle Entwicklungen in der Hauptversammlungssaison - Vorbereitungen immer besser - Opponenten bauen Drohkulissen auf

Profi-Aktionäre sprechen nicht mehr mit einer Stimme

Von Hans-Ulrich Wilsing *) Immer mehr Aktionäre nehmen ihr Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung (HV) großer notierter Aktiengesellschaften wahr. Damit sind 2008 im dritten Jahr in Folge die Präsenzzahlen gestiegen. Ungebrochen ist der Trend zur gezielten Provozierung von Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen durch Profi-Aktionäre. Diese Gruppe hat sich zunehmend mit verschiedenen Interessen differenziert, was Vorbereitung und Durchführung der HV noch komplexer werden lässt. Steigende PräsenzDie noch vor einigen Jahren stetig sinkenden Teilnehmerzahlen waren für die Gesellschaften mit zum Teil weitreichenden Konsequenzen verbunden. Insbesondere drohten bei Abstimmungen Zufallsmehrheiten. Dies ist nicht nur aus Sicht der Verwaltung misslich, sondern auch für die Aktionäre – vor allem dann, wenn die sich zur Mehrheit aufschwingende Minderheit nicht am langfristigen Unternehmenserfolg, sondern vorrangig an der Befriedigung kurzfristiger Renditeerwartungen interessiert ist. Dies wird umso bedeutender, als der Trend zur gezielten Provozierung von Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen in der Hauptversamm lung ungebrochen ist, vor allem wenn über eintragungspflichtige Strukturmaßnahmen zu beschließen ist. Hier nutzen einige wenige, meist nur in geringem Umfang beteiligte Aktionäre ihre gesetzlichen Rechte dazu, mit einer Flut von Fragen und Anträgen die Verwaltung zu Informationsfehlern und unverhältnismäßigen Ordnungsmaßnahmen zu verleiten. Durch die Blockadewirkung von Beschlussmängelklagen soll die beklagte Gesellschaft in einen für die klagenden Aktionäre wirtschaftlich attraktiven Vergleich gedrängt werden. Der die Kläger allein interessierende Ersatz ihrer außergerichtlichen Kosten wird dabei regelmäßig nicht nach dem wahren Streitwert, sondern anhand eines von den Parteien “frei” vereinbarten Vergleichs(mehr)werts bestimmt. Altmeister und NachwuchsAllerdings hat die abgelaufene HV-Saison auch gezeigt, dass die in der Vergangenheit meist einheitlich agierende Gruppe der Profi-Aktionäre längst nicht mehr mit einer Stimme spricht. Vielmehr ist eine zunehmende Aufspaltung in “Altmeister” und “Nachwuchskräfte” zu beobachten, die insbesondere bei den Sanierungshauptversammlungen im Zuge der Kreditkrise offen zutage getreten ist. Beispielhaft hierfür steht die (Bezugsrechts-)Kapitalerhöhung über 1,5 Mrd. Euro der IKB. Zwar waren gegen den von der Hauptversammlung gefassten Kapitalerhöhungsbeschluss nicht weniger als zehn Beschlussmängelklagen bei dem zuständigen Landgericht anhängig gemacht worden. Bezeichnenderweise hatte sich jedoch keiner der etablierten “Altmeister” unter den Klägern befunden. Das lässt sich wohl nur mit deren Gespür für die politische Brisanz der Sanierung erklären.Erkennbar rückläufig ist die Zahl der Geschäftsordnungsanträge, die seit Jahren zum Standardrepertoire eines jeden Profi-Aktionärs gehören. Dies gilt vor allem für den lange Zeit beinahe obligatorischen Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters zu Beginn der HV. Der Grund: Die Hauptversammlungen vieler Gesellschaften werden immer umfassender vorbereitet und professionell begleitet. Dies führt dazu, dass die Versammlungsleiter sehr gut auf Geschäftsordnungsspielchen vorbereitet sind und wissen, wie hierauf zu reagieren ist. Zudem haben die Gerichte in den vergangenen Jahren viele der den Profi-Aktionären in die Hände spielenden rechtlichen Unsicherheiten beseitigt und damit den Gesellschaften klare Handlungsanweisungen an die Hand gegeben. Schließlich führen Geschäftsordnungsanträge aber auch kaum mehr zu spürbaren Verzögerungen im Ablauf der Hauptversammlung, seit mittels elektronischer Stimmabgabe über sie in wenigen Minuten abgestimmt werden kann.Neben den Profi-Aktionären hat sich eine weitere Gruppe von aktivistischen Aktionären etabliert. Finanzinvestoren, vor allem Hedgefonds, aber auch vermögende Privatanleger wie Warren Buffett (Münchener Rück, Sanofi Aventis), Guy Wyser-Pratte (Tui, Vossloh, Cewe Color) zählen hierzu. Die Ziele aktivistischer Aktionäre unterscheiden sich grundlegend von denjenigen der Profi-Aktionäre. Letztere geben sich in der Regel damit zufrieden, die Umsetzung eintragungspflichtiger Strukturmaßnahmen durch Beschlussmängelklagen zu blockieren und das aufgebaute Druckpotenzial in Vergleichsverhandlungen gegenüber der Gesellschaft auszuspielen. Aktivistische Aktionäre versuchen dagegen, gezielt Einfluss auf die Verwaltungsorgane und die strategische Ausrichtung der Gesellschaft zu gewinnen. Dabei weist das von diesen Aktionären in den vergangenen Jahren entwickelte Handlungsinstrumentarium eine erstaunliche Bandbreite auf. Es umfasst neben der privaten Kontaktaufnahme mit den Gesellschaftsorganen und der Drohung mit Anteilsveräußerung insbesondere auch die Instrumentalisierung der Presse in Form sogenannter offener Briefe und, wie das Beispiel der Deutschen Börse zeigt, die öffentliche Demontage von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern. Schließlich schrecken aktivistische Aktionäre auch nicht davor zurück, die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung oder die Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen. Mehr SonderprüfungenZunehmend, und hierbei handelt es sich um ein besonders scharfes Schwert, machen aktivistische Aktionäre von der Möglichkeit der Bestellung eines Sonderprüfers oder eines besonderen Vertreters durch die Hauptversammlung Gebrauch. Ziel ist die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder. In der abgelaufenen Hauptversammlungssaison sahen sich unter anderem Volkswagen, Deutsche Bank und Daimler mit einer Fülle von Sonderprüfungsanträgen konfrontiert. Allein auf der ordentlichen Hauptversammlung von Daimler im April 2008 standen neun solcher Anträge zur Abstimmung.Die Antragstellung dient auch hier in vielen Fällen nur dem Aufbau einer Drohkulisse. Damit unterscheiden sich beide Aktionärsgruppen in der Wahl ihrer Mittel im Ergebnis zum Teil nur unwesentlich. Gesellschaften und ihre Organe sollten die negative Außenwirkung solcher Anträge und das hieraus resultierende Druckpotenzial nicht unterschätzen.So sind aktivistische Investoren eine neue Herausforderung für die Gesellschaften und ihre Organe, auf die sie sich insbesondere im Blick auf Organisation und Durchführung von Hauptversammlungen einstellen müssen. Immer entscheidender ist dabei die Kommunikation. Um das Risiko öffentlicher Auseinandersetzungen in den Medien, und vor allem auf Hauptversammlungen, effektiv zu begrenzen, sollten die Organe börsennotierter Aktiengesellschaften frühzeitig einen intensiven und professionellen Kontakt zu ihren Investoren aufbauen. Beim nächsten Mal kritischZiel muss es hierbei sein, nicht nur die eigene Unternehmensstrategie nachvollziehbar und überzeugend zu vermitteln, sondern den Argumenten der Investoren intensiv Gehör zu schenken, um so eine konkrete Vorstellung von ihren Erwartungen entwickeln zu können. Entsteht bei aktivistischen Investoren erst einmal der Eindruck, dass ihre Forderungen ungehört verhallen, so kann die nächste Routinehauptversammlung schnell kritisch werden. Im Übrigen gilt für Hauptversammlungen unter Beteiligung aktivistischer Aktionäre nichts anderes als für sonstige kritische Versammlungen: Deren Erfolg hängt maßgeblich von der sorgfältigen und professionellen Vorbereitung, der Schnelligkeit und Genauigkeit der Fragenbeantwortung sowie von einem souveränen und umsichtigen Handelndes Versammlungsleiters und des Managements der Gesellschaft ab. *) Hans-Ulrich Wilsing ist Partner und Leiter M & A Gesellschaftsrecht bei Linklaters.