Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Oliver Sieg

Prozessflut infolge der Finanzkrise folgt erst noch

Kein Fall bekannt von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaften selber gegen deren Organmitglieder

Prozessflut infolge der Finanzkrise folgt erst noch

– Herr Dr. Sieg, die Finanzkrise muss eine wahre Prozessflut nach sich gezogen haben.Erstaunlicherweise ist das bisher nicht der Fall. Zu beobachten sind vor allem Prozesse gegen oder zwischen Banken und Finanzdienstleistern, insbesondere wegen des Vorwurfs unzureichender Aufklärung über Finanzgeschäfte. Insbesondere im Vergleich zu der New-EconomyKrise am Anfang des Jahrzehnts gibt es nahezu keine Schadenersatzklagen gegen Organmitglieder.- Was sind das für Fälle, in denen trotzdem Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden?Betroffen sind vor allem Organmitglieder von Banken und Finanzdienstleistern. Mir ist kein Fall bekannt, in dem über Schadenersatzansprüche der Gesellschaften selber gegen deren Organmitglieder berichtet wird. Bei börsennotierten Banken wird von Aktionärsklagen wegen der eingebrochenen Aktienkurse berichtet. Diese Klagen sind dann gegen die Gesellschaften selbst gerichtet, aber auch gegen einzelne Organmitglieder. Zudem gibt es Strafverfahren. So hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf den früheren Vorstandsvorsitzenden der IKB wegen Börsenpreismanipulationen angeklagt, im Hinblick auf die getätigten Finanzgeschäfte allerdings keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen.- Worin liegt der Unterschied zu den Fällen nach dem Platzen der New-Economy-Blase?Für viele Schadenersatzansprüche gegen Organmitglieder damals war charakteristisch, dass die Gesellschaften viel Liquidität durch Börsengänge generieren konnten oder die Aussicht darauf bestand. Dies machte Organmitglieder leichtsinnig, etablierte Prinzipien wurden vernachlässigt. Die aktuelle Krise ist vor allem geprägt von hochkomplexen Finanzprodukten. Dadurch sind Schadenersatzansprüche deutlich schwieriger zu begründen. Zudem sind die eingetretenen Verluste derart eklatant, dass die Organhaftung nur ein Randthema komplexerer Rechtsverfolgung ist. Hinzu kommt, dass die Dimensionen zunehmend internationaler werden und Streitigkeiten auch eher im Ausland, insbesondere in den USA, verfolgt werden.- Wie ist die Ausgangslage im Ausland?Aus den anderen europäischen Ländern wird Ähnliches berichtet wie das, was wir für Deutschland beschrieben haben. Auch hier wird wenig über Schadenersatzansprüche gegen Manager berichtet, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise stehen. Allein aus den USA wird von einer Vielzahl von Sammelklagen geschädigter Anleger und großvolumigen Rechtsstreitigkeiten zwischen Banken und Finanzdienstleistern, die auf unterschiedlichen Stufen der Finanztransaktion beteiligt waren, berichtet.- Aber müssen Vorstände nicht in Anspruch genommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für Schadenersatzansprüche bestehen?Das ist grundsätzlich richtig. Der Bundesgerichtshof hat dies 1997 so entschieden. Allerdings gestaltet sich die Rechtsprüfung häufig schwierig. Zudem ist der Aufsichtsrat berechtigt, von einer Anspruchsverfolgung abzusehen, wenn gewichtige Gründe des Unternehmensinteresses dagegenstehen. Solche Gründe können darin bestehen, dass bei einer Anspruchsverfolgung gegenüber Managern im Vergleich zu den eingetretenen Schäden nur geringe Zahlungen zu erwarten sind und das nur nach sehr hohem Aufwand. Dem steht das Risiko gegenüber, dass Vertragspartner der Gesellschaft ermutigt werden, ihrerseits Schadenersatzansprüche gegen die Gesellschaft in einer mehrfach höheren Größenordnung geltend zu machen. So wird etwa von Klagen gegen betroffene deutsche Banken in Milliardenhöhe berichtet. Hier haben die betroffenen Banken ein vorrangiges Interesse, sich gegen solche Drittinanspruchnahmen zu schützen.- Noch ein Wort zu den Ratingagenturen. Die Ratingagenturen stehen im Zusammenhang mit der Finanzkrise besonders in der Kritik.In der Tat wird den Ratingagenturen vorgeworfen, nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt zu haben und starken Interessenkonflikten ausgesetzt gewesen zu sein. Dies ist aber vor allem eine rückschauende Betrachtung. Vor Eintritt der Krise haben sich alle Marktteilnehmer auf die damals unbestrittene Reputation und Unabhängigkeit der großen Ratingagenturen verlassen. Dies haben wiederholt von Regierungen eingesetzte unabhängige Prüfungskommissionen festgestellt. In der Tat wird man sagen können, dass die betroffenen Manager sich auf die Bewertungen durch die Ratingagenturen im Zweifel verlassen konnten. Die rechtliche Aufarbeitung des Verhaltens der Ratingagenturen steht allerdings erst noch bevor.- Wie geht es weiter?Nach der Zuspitzung der Subprime-Krise zur Finanzkrise und jetzt zur Währungskrise ist klar, dass die Weltwirtschaft noch nicht über den Berg ist. Dort, wo Milliarden vernichtet werden, hat es in der Vergangenheit immer eine Vielzahl von rechtlichen Auseinandersetzungen gegeben. Mit einer Zunahme der Intensität solcher Auseinandersetzungen müssen wir rechnen.—-Dr. Oliver Sieg ist Partner bei Noerr. Die Fragen stellte Walther Becker.