Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Stefan Behrens

Regeln zur Umgliederung von Steuerguthaben gekippt

Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt für viele Firmen zu spät - "Ausweichmöglichkeiten stets prüfen"

Regeln zur Umgliederung von Steuerguthaben gekippt

Die Unternehmenssteuerreform aus dem Jahr 2000 hat eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten. Die Richter urteilten, dass der Gesetzgeber bei der Umgliederung von “Körperschaftsteuerminderungspotenzial” zu einem einheitlichen Körperschaftsteuerguthaben den Gleichheitsgrundsatz verletzt habe (vgl. BZ vom 20. Februar). Eine Neuregelung muss spätestens zum 1. Januar 2011 wirksam sein. Größere Auswirkungen werden nicht erwartet, weil die Entscheidung nur noch für offene Fälle gilt. Im konkreten Fall hatte die Prüftechnik Dieter Busch AG aus Ismaning Beschwerde in Karlsruhe geführt, weil ihr durch die Umgliederung 1 Mill. DM verloren gegangen waren. Die Klage war in allen Instanzen erfolglos geblieben. Der Fall wird nun an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen, der zuletzt entschieden hatte. – Herr Dr. Behrens, das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich die Übergangsregeln vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren bei der Körperschaftsteuer gekippt. Was ist der Hintergrund des Verfahrens?Das Bundesverfassungsgericht hält diese Regelungen für nicht vereinbar mit dem Gleichheitssatz. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, spätestens zum 1. Januar 2011 für die noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren eine Neuregelung zu treffen. Diese hat den Erhalt des im Zeitpunkt des Systemwechsels vorhandenen und realisierbaren Körperschaftsteuerminderungspotenzials gleichheitsgerecht sicherzustellen.- Wie unterscheidet sich das Anrechnungsverfahren vom Halbeinkünfteverfahren?Das Anrechnungsverfahren, unter dessen Geltung die Körperschaftsteuer wirtschaftlich wie eine Vorauszahlung der Körperschaft- oder Einkommensteuer des Gesellschafters wirkte, wurde durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 abgeschafft. An seine Stelle trat ab 2001 das sogenannte Halbeinkünfteverfahren. Seitdem sind Dividenden – soweit von Körperschaften bezogen – in der Regel zu 95 % und – soweit von natürlichen Personen bezogen – in der Regel ab 2008 zu 40 % steuerfrei. Das neue Verfahren soll grob zu der Gesamtsteuerbelastung führen, die sich ergeben hätte, wenn der Anteilseigner die Geschäftstätigkeit selbst betrieben und deshalb den Gewinn selbst erwirtschaftet hätte.- Und wie sahen die jetzt vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Übergangsregeln aus?Mit dem Wegfall des Anrechnungsverfahrens entfiel für die Gewinnausschüttungen die Herstellung der Ausschüttungsbelastung und somit auch das Erfordernis, das verwendbare Eigenkapital entsprechend seiner Tarifbelastung zu gliedern.- In welcher Form konnte gegliedert werden?Körperschaften, die in den vorangegangenen Jahren Gewinn erzielt und nicht in voller Höhe ausgeschüttet hatten, wiesen in ihrer letzten Eigenkapitalgliederung entsprechende mit Körperschaftsteuer belastete Teilbeträge aus. Die darauf lastende Körperschaftsteuer sollte ihnen bei künftigen Ausschüttungen auf ihre Steuerschuld angerechnet werden. Um dieses Körperschaftsteuerguthaben zu ermitteln, schuf man Übergangsregelungen.- Mit welchen Konsequenzen?Diese hatte in bestimmten Fällen zur Folge, dass nur aufgrund des Systemwechsels für die betroffenen Körperschaften die von ihnen gezahlte Körperschaftsteuer nicht mehr in voller Höhe als Körperschaftsteuerminderung realisiert werden konnte. Betroffen waren solche Körperschaften, bei denen nach der Umgliederung die nicht mit Körperschaftsteuer belasteten Teilbeträge negativ waren, das heißt die nicht ausreichend zum Beispiel steuerfreie inländische Vermögensmehrungen oder steuerfreie ausländische Einkünfte hatten.- Aber es gab Entscheidungen des Finanzgerichts München und des Bundesfinanzhofs, die diese Regelungen für verfassungskonform erklärt haben.Das stimmt. Beide Gerichte waren der Auffassung, dass die Vernichtung von Körperschaftsteuerminderungspotenzial insbesondere deshalb nicht verfassungswidrig sei, weil den Betroffenen in Gestalt des “Schütt-aus-leg-ein-Verfahrens” und des “Leg-ein-hol-zurück-Verfahrens” Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten.- Das sieht das Bundesverfassungsgericht anders?Das Bundesverfassungsgericht wies diese Begründung zurück, weil dem Gesetzgeber selbst ohne Weiteres eine die Belastung vermeidende Gesetzesgestaltung möglich gewesen wäre. Zwar könnten steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen Einfluss auf die verfassungsrechtliche Beurteilung einer belastenden Steuervorschrift haben. Aber für die hier möglichen Ausweichmöglichkeiten hätte entweder auf der Ebene der Kapitalgesellschaft oder der Gesellschafter ausreichend Liquidität zur Verfügung stehen müssen, um von den Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch machen zu können. Und die Gesellschafter hätten schnell handeln und entsprechende Beschlüsse fassen müssen.- Wie wirkt sich dieses Urteil praktisch aus?Die Feststellung der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz wirkt auf den 1. Januar 2001 zurück. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen. Für die Praxis dürften sich aufgrund der Aufforderung des Gerichts, “für die noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren eine Neuregelung zu treffen”, keine großen Auswirkungen ergeben. Wegen des langen Zeitraums seit dem Systemwechsel werden die meisten Bescheide über die letztmalige Gliederung, die Umgliederung des verwendbaren Eigenkapitals sowie die Ermittlung des noch realisierbaren Körperschaftsteuerpotenzials bestandskräftig geworden sein.- Das Urteil kommt also zu spät?Für diese Fälle kommt der Bundesverfassungsgerichtsbeschluss zu spät. Er zeigt jedoch, wie wichtig es ist, bei neuen belastenden Gesetzesvorschriften Ausweichmöglichkeiten zu prüfen und sich davon nicht wegen des Risikos der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs abhalten zu lassen.—-Dr. Stefan Behrens ist Partner von Clifford Chance im Büro Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.