Recht und Kapitalmarkt

Regelung im Gleichbehandlungsgesetz ist unwirksam

Konsequenz: Arbeitgeber dürfen deutschen Gesetzen nicht vertrauen

Regelung im Gleichbehandlungsgesetz ist unwirksam

Von André Bläsing *) Das Arbeitsgericht Osnabrück (Aktenzeichen: 3 Ca 721/06) hat entschieden, dass Arbeitgeber bei Kündigungen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu beachten haben, obwohl im Gesetz das genaue Gegenteil steht. Der Gesetzgeber hatte kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes, das lange Zeit “Antidiskriminierungsgesetz” heißen sollte, noch eine Regelung aufgenommen, nach der bei Kündigungen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht gelten soll. Er wollte, dass bei Kündigungen ausschließlich das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet, da er der Meinung war, dass es Arbeitnehmer bereits ausreichend vor Diskriminierungen schütze. Gut vertretbarDer Gesetzgeber könnte sich geirrt haben. Mit der oben genannten Entscheidung hat erstmals ein deutsches Gericht entschieden, dass die europäischen Richtlinien, auf die das Gesetz zurückgeht, nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden und entgegen der Intention des Gesetzgebers das AGG auch für Kündigungen zu gelten hat. Das Osnabrücker Urteil, mit dem sich die Richter der Kritik zahlreicher Arbeitsrechtler angeschlossen haben, ist juristisch gut vertretbar. Es ist daher nicht auszuschließen, dass das Landesarbeitsgericht und abschließend auch das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung bestätigen werden. Für Arbeitgeber ist die Entscheidung ein Paukenschlag in zweierlei Hinsicht. Erstens: Der Arbeitgeber kann sich künftig bei Kündigungen nicht mehr darauf verlassen, dass er auf der sicheren Seite ist, wenn er das KSchG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beachtet. Er muss zusätzlich das AGG berücksichtigen. Arbeitnehmer genießen künftig praktisch Kündigungsschutz nach dem KSchG plus Kündigungsschutz nach dem AGG. Schwer zu lösen Insbesondere bei Personalabbaumaßnahmen kann sich der Arbeitgeber daher nicht mehr auf die vom Bundesarbeitsgericht festgelegten Spielregeln verlassen. So kann z. B. nicht mehr darauf vertraut werden, dass bei einem größeren Personalabbau eine Bildung von Altersgruppen zulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts konnte der Arbeitgeber bisher bei umfangreicheren Personalabbaumaßnahmen seine Belegschaft in verschiedene Altersgruppen unterteilen und anschließend eine Sozialauswahl jeweils innerhalb der gebildeten Gruppe durchführen. Damit sollte es dem Arbeitgeber ermöglicht werden, eine ausgewogene Altersstruktur in seinem Betrieb zu erhalten. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Osnabrück ist das nun nicht mehr ohne weiteres möglich. Hintergrund ist, dass das KSchG, das zu einer Berücksichtigung des Lebensalters zwingt, mit dem Gleichbehandlungsgesetz kollidiert. Das Gleichbehandlungsgesetz schließt das Alter als Differenzierungskriterium gerade aus. Ein nur schwer zu lösender Konflikt. Zweitens: Der Arbeitgeber muss nunmehr bei jedem deutschen Gesetz hinterfragen, ob es mit europäischem Recht im Einklang steht. Er trägt das Risiko, wenn unser Gesetzgeber schlampig gearbeitet hat, d. h. das nationale Recht nicht ordnungsgemäß in Einklang mit dem europäischen Recht gebracht hat. Ob dem Arbeitgeber tatsächlich dieses Risiko aufgebürdet werden kann, ist von deutschen Gerichten noch nicht höchstrichterlich entschieden. Das Arbeitsgericht Osnabrück hatte damit jedenfalls kein Problem. Es berief sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahre 2005 (sogenannte “Mangold-Entscheidung”), in der sich der Gerichtshof tatsächlich in diese Richtung geäußert hatte. Die Entscheidung des EuGH ist bis heute noch nicht richtig verarbeitet worden. Bis das Verhältnis von Europarecht zu deutschem Arbeitsrecht endgültig geklärt ist, sind Arbeitgeber jedenfalls gut beraten, wenn sie deutschen Gesetzen kritisch gegenüberstehen. Offenbar neigen die Gerichte nicht dazu, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Richtigkeit deutscher Gesetze zu würdigen. Stets zu prüfen Im Falle von Kündigungen müssen sich Arbeitgeber darauf einstellen, dass die Wirksamkeit der Kündigung auch am Maßstab des AGG zu messen ist. Für die Sozialauswahl heißt das, dass bei der Berücksichtigung des Lebensalters stets zu prüfen ist, ob die Auswahl auch mit dem Gleichbehandlungsgesetz im Einklang steht. *) André Bläsing ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Hammonds, Büro Berlin.