Immobilien - Gastbeitrag

Regulierungstsunami und Solvency II

Börsen-Zeitung, 3.2.2011 Die Immobilienwirtschaft mit ihrem erheblichen Kapitalbedarf ist von den Regulierungen der Finanzbranche betroffen, so viel steht außer Frage. Zugegeben, sie hat sich in der Vergangenheit nicht leicht getan, hinter den...

Regulierungstsunami und Solvency II

Die Immobilienwirtschaft mit ihrem erheblichen Kapitalbedarf ist von den Regulierungen der Finanzbranche betroffen, so viel steht außer Frage. Zugegeben, sie hat sich in der Vergangenheit nicht leicht getan, hinter den teilweise sehr komplexen Regelungen und Berechnungen einer Solvenzrichtlinie und der Auswirkungsstudien die Relevanz für sich selbst zu erkennen. Der ZIA Zentrale Immobilien Ausschuss hat sich dieser Aufgabe nunmehr angenommen und wird die berechtigten Interessen der Betroffenen in Berlin und Brüssel geltend machen. Dazu muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Ein Spezialistenwerk in Politik und Öffentlichkeit verständlich zu machen, ist Kärrnerarbeit.Worum geht es? In ihrer Sorge um die Stabilität des Finanzsystems im Allgemeinen und der Versicherungswirtschaft im Besonderen hat sich die EU-Kommission entschlossen, das bisherige Aufsichtsregime für Versicherungsrisiken (Solvency I) durch eine Neuregelung zu ersetzen. Mit der EU-Richtlinie 2009/138/EC, der sogenannten Solvency II-Richtlinie, hat die Kommission ein Regelwerk geschaffen, mit dem ein Frühwarnsystem errichtet werden soll. Zielrichtung ist es, potenzielle Marktrisiken und Wertabschläge vorbeugend erfassen und steuern zu können. Im Rahmen einer risikoorientierten Aufsicht sollen nicht nur sämtliche Risiken erfasst werden, sondern auch die Risiken von Anlagen des Versicherungsvermögens. Dazu werden neue quantitative und qualitative Transparenzanforderungen an Versicherungsunternehmen gestellt. Stress mit der KorrelationIm Rahmen der quantitativen Anforderungen spielen die Kapitalanforderungen eine besondere Rolle. In einem einigermaßen komplexen Prozess werden sämtliche Risiken einzeln erfasst und bewertet und am Ende zu einer Eigenkapitalziffer verdichtet. Unter anderem werden Anlagen “gestresst” und mit einem sogenannten Korrelationsfaktor versehen, der ihre Korrelation zu Wertschwankungen anderer Assets im Versicherungsvermögen ausweist.Der Stresstest soll Auskunft darüber geben, welche Wertverluste bei einer Anlage auch im Extremfall eintreten können. Versicherungsunternehmen können dabei dem sogenannten Standardansatz, d. h. den vorgegebenen Stress- und Korrelationsfaktoren folgen oder interne Modelle entwickeln, die zu anderen, niedrigeren Faktoren kommen. In Anbetracht der Komplexität des Rechenmodells wird erwartet, dass sich nur sehr große Versicherungsunternehmen um die Entwicklung eines internen Modells bemühen werden, das zudem von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) genehmigt werden muss. München und BulgarienFür die Immobilienwirtschaft liegt das Problem bei den Stress- und den Korrelationsfaktoren: Für Immobilienrisiken werden einheitlich 25 % potenzieller Wertverlust angenommen, unabhängig davon, in welchem Land die Immobilien gelegen sind, welche Nutzung sie erfahren, welche Lage sie haben und wie sie finanziert sind. Der Faktor beruht offenbar auf Zahlen der Investment Property Database (IPD), die sich allerdings dem Vorwurf ausgesetzt sehen, zu stark den britischen Markt zu reflektieren.In Deutschland liegen die Wertschwankungen erheblich niedriger, für Wohnimmobilien allenfalls im mittleren einstelligen Bereich. Zum Vergleich: Der Stressfaktor für Staatsanleihen beträgt einheitlich 0 %, was in Zeiten der europäischen Schuldenkrise allenfalls als politischer Faktor zu verstehen ist. Die Wohnung im Münchener Stadtteil Schwabing wird also als riskanter angesehen als eine Griechenland-Anleihe – und als genauso riskant wie eine Logistikimmobilie in Westbulgarien.Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich im Rahmen der Korrelationsfaktoren: Die Korrelation zu Aktien beträgt bei Aufwärts- wie bei Abwärtsbewegungen nach den augenblicklichen Annahmen 0,75 Punkte, wobei ein Zähler von 1 eine vollständige Korrelation bedeutet. Mit anderen Worten, Immobilien wird praktisch die gleiche Volatilität beigemessen wie Aktien. Damit verlieren Immobilieninvestments sozusagen auf dem Verordnungswege ihren Wert als stabilisierender Faktor eines gemischten Portfolios. Auf welcher Grundlage der Korrelationsfaktor berechnet wurde, ist bisher nicht bekannt. 50 Mrd. Euro im FeuerWas bedeutet das im Ergebnis? Versicherungen gehören, trotz der historisch niedrigen Immobilienquote, noch immer zu den wichtigsten in stitutionellen Investoren in Deutschland. Rund 50 Mrd. Euro Immobilienwerte werden in deutschen Versicherungsportfolios gehalten. Der deutsche Immobilienmarkt war und ist für deutsche und ausländische Versicherungen wegen seiner Rahmenbedingungen und seiner Stabilität ein attraktiver Markt. Nicht ohne Grund wurde immer wieder die Erhöhung der Immobilienquote angekündigt.Der nachweislich großen Stabilität entsprach auf der anderen Seite allerdings eine moderatere Rendite, vor allem im Wohnungssektor. Das Solvency II-Modell gibt jetzt ein falsches Signal. Versicherungen stehen besser da, wenn sie in Staatsanleihen investieren, auch wenn diese riskant sind. Wenn sie in Immobilien investieren, sind höhere Renditen und damit höhere Risiken erforderlich.Ist das wirklich gewollt? Ist der Preis der Stabilität, den Deutschland zahlen soll, die Abwanderung von Versicherungskapital in riskantere ausländische Märkte? Jedes Prozent Verringerung der Immobilienquote in Deutschland bedeutet ca. 10 Mrd. Euro Verlust an Versicherungsinvestments. Der Regulierungstsunami dürfte einige Opfer fordern, nicht nur in der Immobilienbranche, sondern auch unter Wohnungsmietern und – nicht zuletzt – Versicherungsnehmern. Fonds werden unattraktiverEin besonderes Thema ergibt sich dabei für Versicherungsunternehmen, die über das Vehikel von Spezialfonds in Immobilien investieren. Fondsinvestments haben den Vorteil, dass Immobilien anders als Direktinvestments unter Einsatz von Fremdkapital erworben werden können und der indirekten Immobilienanlage zugeordnet sind.Bei einem Fremdkapitaleinsatz bzw. Leverage von normalerweise 50 % muss ein Versicherungsunternehmen dann allerdings wegen des Stressfaktors von 25 % die Hälfte seines Eigenkapitaleinsatzes noch einmal als Risikovorsorge bereithalten. Fondsinvestments werden für Versicherungen also in Zukunft in jedem Fall teurer und unattraktiver.