RECHT UND KAPITALMARKT

Risikoreduktion in der Kapitalmarktfinanzierung

Rasch umsetzbare Transaktionsstrukturen gefragt - Hoher Grad an Flexibilität für die Unternehmen interessant

Risikoreduktion in der Kapitalmarktfinanzierung

Von Michael Schlitt und Christian Ries *)Die deutschen und internationalen Kapitalmärkte weisen zurzeit hohe Volatilität auf. Erfolgversprechende Transaktionsfenster öffnen sich nur kurzfristig und zudem nur für einen begrenzten Zeitraum. Aufgrund dessen sind Transaktionsstrukturen gefragt, die rasch umsetzbar sind und Transaktionsrisiken reduzieren.Auf der Eigenkapitalseite besteht mit der Kapitalerhöhung um 10 % eine Möglichkeit, innerhalb einer sehr kurzen Zeit frisches Kapital aufzunehmen. Dabei wird das Grundkapital um 10 % unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre erhöht. Die neuen Aktien können im Rahmen eines Accelerated Bookbuilding, das zumeist innerhalb weniger Stunden abgeschlossen ist, bei institutionellen Investoren platziert werden. Um die aktienrechtlichen Vorgaben hinsichtlich eines Bezugsrechtsausschlusses zu erfüllen, darf der Preis für die neuen Aktien jedoch maximal 3 bis 5 % unter dem aktuellen Börsenkurs liegen. Die Erstellung eines Prospekts ist bei marktüblicher Strukturierung entbehrlich. Mit ClawbackSollte das avisierte Kapitalerhöhungsvolumen 10 % des bisherigen Grundkapitals übersteigen, können neue Aktien praktisch nur unter Wahrung des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre und damit unter Beachtung der gesetzlichen Bezugsfrist von zwei Wochen ausgegeben werden. Bis vor kurzem bestand die Möglichkeit, auch solche Kapitalerhöhungen prospektfrei durchzuführen. Seit dem 1. Juli 2012 unterliegen jedoch alle Bezugsrechtsemissionen der Prospektpflicht.Daher werden häufig Transaktionselemente implementiert, die das Platzierungsrisiko reduzieren. Dies ist etwa durch eine sogenannte Vorabplatzierung möglich, bei der die Bezugsrechte beziehungsweise die ihnen zugrunde liegenden Aktien im Rahmen eines wenige Stunden bzw. Tage dauernden Bookbuilding vor Beginn der eigentlichen Bezugsfrist platziert werden. Der Bezugspreis wird nach Abschluss des Bookbuilding vor Beginn der Bezugsfrist auf Grundlage des Ergebnisses der Vorabplatzierung festgelegt.Eine (endgültige) Lieferung der vorab platzierten Aktien kann freilich nur in dem Umfang erfolgen, in dem die Altaktionäre von ihren Bezugsrechten keinen Gebrauch gemacht haben (“subject to clawback”). Die an der Vorabplatzierung teilnehmenden Investoren wissen daher grundsätzlich erst nach Ablauf der Bezugsfrist, wie viele Aktien sie tatsächlich erhalten. Investoren haben diese Unsicherheit in der Vergangenheit akzeptiert, wenn feststand, dass sie jedenfalls 50 % der von ihnen georderten Aktien auch tatsächlich erhalten (etwa aufgrund von Verzichtserklärungen der Großaktionäre). Mehrere SchritteEine Reduktion des Transaktionsrisikos ist auch durch eine Transaktionsstruktur möglich, die sich an die “CoMEN”-Transaktion (Comen) der Commerzbank aus dem vergangenen Jahr anlehnt. So könnte statt einer “einschrittigen” großvolumigen ordentlichen Barkapitalerhöhung zur Rückführung einer bestehenden Forderung eines Gläubigers (zum Beispiel eines Großaktionärs) die Emission von Comen in Kombination mit einer nachfolgenden kleinvolumigeren Barkapitalerhöhung – im Wege der Bezugsrechtsemission – in Erwägung gezogen werden. Die für die Bedienung der Comen erforderlichen Aktien werden im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung geschaffen und gegen teilweise Einbringung der Forderung des Gläubigers ausgegeben.Das Transaktionsrisiko ist in dieser Alternative insbesondere deshalb geringer, weil die Zeitspanne zwischen Ankündigung und Durchführung des ersten Schritts dieser Transaktion (der Platzierung der Comen) sehr kurz ist. Aber auch auf der Fremdkapitalseite ist ein schneller Marktzugang möglich.So ist die Zeit zwischen Ankündigung und Platzierung auch bei der Emission von Wandelschuldverschreibungen sehr kurz. Diese werden in der Regel ebenfalls marktnah unter Ausschluss des Bezugsrechts ausgegeben und – wie die Aktien aus einer Kapitalerhöhung von 10 % – prospektfrei an institutionelle Investoren im Rahmen eines Accelerated Bookbuilding platziert.Auch Benchmark-Anleihen von Dax- und MDax-Gesellschaften, bei denen derzeit eine rege Emissionstätigkeit besteht, werden typischerweise im Rahmen eines beschleunigten Bookbuilding bei institutionellen Investoren prospektfrei platziert. Schwierigkeiten bereitete dagegen in der Vergangenheit die Platzierung von kleinvolumigen Anleihen von mittelständischen Unternehmen. Aufgrund der geringen Liquidität dieser Instrumente und der damit bestehenden Investorenzurückhaltung hatte gerade der Mittelstand Probleme, sich über dieses Finanzierungsinstrument mit frischem Kapital zu versorgen. Mit MittelstandsbondsDies hat sich jedoch in der jüngeren Vergangenheit geändert, nachdem einige Börsen Mittelstandssegmente geschaffen haben. In der Folge haben viele nicht börsennotierte Unternehmen sogenannte Mittelstandsanleihen mit einem Volumen zwischen 10 Mill. und 150 Mill. Euro emittiert. Diese sind für mittelständische Unternehmen insbesondere interessant, weil Banken bei der Vergabe von Krediten im Non-Investment-Grade-Bereich zunehmend zurückhaltender agieren, die sogenannten Covenants bei Anleihen im Vergleich zu einem Kreditvertrag typischerweise einen geringeren Umfang aufweisen und eine Anleihe ein attraktives Mittel zur Diversifikation der Unternehmensfinanzierung ist.Im Gegensatz zu Platzierungen von Aktien, Wandelschuldverschreibungen und Benchmark Bonds werden Mittelstandsanleihen auch Privatanlegern sowie (semi-)institutionellen Investoren angeboten. Die Platzierung erfolgt mithin in der Regel im Rahmen eines öffentlichen Angebots in Deutschland, das gegebenenfalls mit Privatplatzierungen im europäischen Ausland verbunden wird. Damit hat der Emittent einen Prospekt zu erstellen und nach der Einbeziehung Folgepflichten (z. B. quasi Ad-hoc-Publizitätspflicht) zu beachten. Da der Emittent die Möglichkeit hat, das öffentliche Angebot innerhalb weniger Tage abzuwickeln, ist er im Ergebnis aber auch bei dieser Finanzierungsform in der Regel nur einer kurzen Risikoperiode ausgesetzt.Des Weiteren können auch Schuldscheindarlehen ohne großes Transaktionsrisiko platziert werden. Nachdem die Konditionen von der arrangierenden Bank mit dem jeweiligen Unternehmen individuell ausgehandelt wurden, bringt die begleitende Bank den Schuldschein bei Versicherungen, Banken und Investmentfonds unter. Diese können den Schuldschein – da er kein Wertpapier ist – zwar nicht über die Börse weiterverkaufen, jedoch hat sich in den letzten Jahren ein breiter Sekundärmarkt für Schuldscheine entwickelt, der eine Weiterveräußerung ermöglicht.Für die Unternehmen ist dieses Finanzierungsinstrument interessant, weil bei seiner Ausgestaltung ein hoher Grad an Flexibilität besteht und insbesondere Versicherungen derzeit nach attraktiven Kapitalanlagen suchen. Hierzu müssen freilich die versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Mindestkonditionen des Schuldscheins beachtet werden. Ein weiterer Vorteil des Schuldscheins ist, dass er ohne größeren Dokumentationsaufwand begeben werden kann. So bedarf es auch insoweit keiner Erstellung eines Prospekts. Erforderlich ist lediglich die Dokumentation der Schuldscheinkonditionen und der Regelungen hinsichtlich der Zahlstellenfunktion (Verteilung der Zins- und Kapitalzahlungen des Unternehmens an die Gläubiger des Schuldscheins), die in der Regel von der arrangierenden Bank übernommen wird. Der Umfang der Dokumentation bleibt damit weit hinter dem eines syndizierten Großkredits zurück.Ein Marktzugang ohne lange Risikoperiode ist grundsätzlich auch über einen Börsengang möglich, bei dem das Platzierungsrisiko durch eine vorherige Investorenbefragung (Pilot Fishing bzw. Investor Sounding), eine kurze Angebotsperiode und Einbettung eines Cornerstone Investor reduziert werden kann. Bei Letzterem wird ein Teil des Emissionsvolumens vorab bei Institutionellen platziert. Bei anhaltend niedrigen Bewertungen durch institutionelle Investoren wird die Platzierung im Zuge eines Börsengangs aber eine Herausforderung bleiben.—-*) Prof. Michael Schlitt ist Partner, Christian Ries Counsel bei Hogan Lovells.