Recht und Kapitalmarkt

Sanierungskapitalerhöhung erfordert spezielle Lösung

Der Fall Conergy als Vorreiter - Direkt von der Hauptversammlung beschlossene Bezugsrechtsemission wird im Vordergrund stehen

Sanierungskapitalerhöhung erfordert spezielle Lösung

Von Christoph Seibt *) Conergy hat vor kurzem erfolgreich eine Kapitalerhöhung über 400 Mill. Euro durchgeführt, um ihre Restrukturierung weiterführen zu können. Zwar gab es auch in den vergangenen Jahren eine Reihe prominenter Sanierungskapitalerhöhungen, beispielsweise bei Heidelberg Cement 2003, KarstadtQuelle 2004, SGL Carbon 2004 und Deutscher Steinzeug vor zwei Jahren. Der jetzige Conergy-Fall wird aber voraussichtlich als Blaupause für mittelfristig anstehende Aktienemissionen zu Sanierungszwecken dienen. In einem außerordentlich schwachen Kapitalmarktumfeld und bei hoher Aktienkursvolatilität sowie geringer Emissionsnachfrage auch bei institutionellen Anlegern müssen innovative Antworten auf Rechtsfragen gefunden werden, die bislang nur in einem krisenfreien Kapitalmarktumfeld diskutiert wurden. Wahl der EmissionsstrukturFür Sanierungskapitalerhöhungen bieten sich im Grundsatz verschiedene Wege an: In erster Linie kommen Barkapitalerhöhungen mit Bezugsrecht der Aktionäre in Betracht, die entweder von der Hauptversammlung direkt (so bei Conergy, KarstadtQuelle, Deutscher Steinzeug) oder aber von Vorstand und Aufsichtsrat aus einem bestehenden genehmigten Kapital beschlossen werden (wie im Fall Heidelberg Cement geschehen). Daneben bieten sich bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhungen an, die ebenfalls sowohl von der Hauptversammlung direkt als auch aus einem genehmigten Kapital beschlossen werden können, wobei Einlagegegenstand Geldmittel oder Sachwerte – insbesondere Forderungsverzichte von Darlehensgläubigern – sein können. Die Wahl der Emissionsstruktur hängt im Wesentlichen davon ab, wie viel Eigenkapitalzufuhr angestrebt wird; Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital sind bei entsprechender Satzungsgrundlage auf maximal 50 % des Grundkapitals beschränkt. Daneben sind aber auch der Zeitbedarf – Erfordernis einer fristgemäßen Einberufung einer Hauptversammlung – und Transaktionssicherheit – Anfechtbarkeit von Kapitalerhöhungsbeschlüssen der Hauptversammlung – zu berücksichtigen.Bei dem derzeit schwachen Kapitalmarktumfeld und wegen des regelmäßig erheblichen Eigenkapitalbedarfs wird in den nächsten 24 Monaten voraussichtlich die direkt von der Hauptversammlung beschlossene Bezugsrechtsemission im Vordergrund stehen. Bei einer Sanierungskapitalerhöhung durch Hauptversammlungsbeschluss sieht sich der Emittent mit dem Strukturproblem konfrontiert, dass zwischen der Einladung zur Hauptversammlung und der Durchführung des Bezugsangebots in jedem Fall eine Zeitspanne von etwa zehn Wochen liegt, die sich auch noch durch Widersprüche gegen den Hauptversammlungsbeschluss und nachfolgende Anfechtungsklagen in schwer prognostizierbarem Umfang verlängern kann.Eine Durchführung des Bezugsangebots kommt aber aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der im Normalfall bei Bestehen von Widersprüchen oder Anfechtungsklagen vom Registerrichter verfügten Aussetzung des Eintragungsverfahrens (sogenannte faktische Registersperre) erst bei rechtskräftiger Klärung der Widersprüche bzw. Anfechtungsklagen in Betracht.Da nach herkömmlicher Sicht die Hauptversammlung über alle wesentlichen Eckpunkte der Kapitalerhöhung auf der Grundlage eines in der Einladung veröffentlichten Beschlussvorschlags entscheiden muss, bieten sich nur zwei Wege an, um die mit dem notwendigen Zeitablauf verbundenen Unsicherheiten zu bewältigen. Der Emittent kann auf der Grundlage von Zeichnungsverpflichtungen von Altaktionären oder Neuinvestoren eine hinreichend sichere Prognose über konkreten Emissionsumfang und Bezugspreis treffen; etwaige Ausfallrisiken müssten durch die zusätzliche Nutzung eines genehmigten Kapitals abgesichert werden. Liegen Verpflichtungserklärungen nicht in einem Umfang vor, durch den das Refinanzierungskonzept des Unternehmens abgesichert ist, bleibt im derzeitigen Marktumfeld nur eine Bis-zu-Kapitalerhöhung. Die Hauptversammlung beschließt dann über den maximalen Umfang der Kapitalerhöhung auf der Grundlage eines Mindestbezugspreises von 1,00 Euro. Damit die Hauptversammlung über die Größenordnung des tatsächlich erstrebten Emissionserlöses bei ihrer Entscheidung informiert ist, sollte die Zielerlösgröße im Beschlusstext selbst oder in dessen Erläuterung angegeben werden. Eine solche Gestaltung ist rechtlich noch zulässig und überschreitet nicht die Grenze zum genehmigten Kapital. Nicht grenzenlosDer Vorstand ist verpflichtet, den Kapitalerhöhungsbeschluss innerhalb der durch die Hauptversammlung vorgegebenen Maximalfrist von – bei jetzigem Kapitalmarktumfeld – sechs bis neun Monaten durchzuführen. Der Umsetzungszwang des Vorstands gilt allerdings nicht grenzenlos: Ist aufgrund von Umstandsänderungen auch mit geringerem Emissionserlös die in der Hauptversammlung vorgestellte Refinanzierung erreichbar, so kann der der Hauptversammlung mitgeteilte Zielemissionserlös auch unterschritten werden, sofern dies im wohlverstandenen Unternehmensinteresse ist. Bieten sich nach dem Hauptversammlungsbeschluss für das Unternehmen günstigere Refinanzierungsoptionen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ebenfalls das Ziel der Restrukturierung, aber zu niedrigeren Kapitalkosten erreichen, so kann der Vorstand von der Aktienemission absehen. Soll hingegen der Zielemissionserlös um mehr als 5 oder 10 % überschritten werden, so bleibt nur eine Ergänzung des Direktbeschlusses durch eine Emission aus genehmigtem Kapital. Flexibilität beim BezugspreisDie Festlegung des Bezugspreises durch den Vorstand muss sorgfältig und im Unternehmensinteresse erfolgen. Er wird dabei Erkenntnisse aus Investorengesprächen sowie Empfehlungen von Finanzberatern berücksichtigen. Nach zutreffendem Verständnis gibt es keine ausnahmsfreie Regelung, der zufolge der Bezugspreis den Börsendurchschnittskurs nicht wesentlich überschreiten dürfte. Vielmehr können Markttests den Organen zeigen, dass die Marktkapitalisierung den wahren Unternehmenswert nicht widerspiegelt.Aber auch umgekehrt kann der Bezugspreis deutlich unter dem Börsendurchschnittskurs festgelegt werden, sofern dies zur erfolgreichen Emission und damit zur Sicherung des Restrukturierungserfolgs erforderlich ist und ein börsenmäßiger Bezugsrechtshandel gewährleistet wird. Bei einem börsenmäßigen Bezugsrechtshandel besteht nämlich weder ein faktischer Bezugsrechtszwang noch eine wirtschaftliche Nachschusspflicht.Bei einer Bezugsrechtsemission dürfen den Altaktionären ihre Bezugsrechte auch nicht faktisch durch bestimmte Gestaltungen ausgeschlossen werden. Allerdings ist es kein Wesensmerkmal für die Gewährung von Bezugsrechten, dass die Gesellschaft einen börsenmäßigen Handel mit diesen organisiert.Auch ist es für eine Bezugsrechtsemission, deren Umfang 5 bis 10 % des Grundkapitals übersteigt, nicht zwingend erforderlich, dass die Neuaktien auf der Grundlage eines Wertpapierprospekts zugelassen werden. Vielmehr kann der Emittent beispielsweise aus Zeit- oder Kostengründen zunächst von der Erstellung eines Wertpapierprospekts und der Aktienzulassung absehen; sie muss dann innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nachgeholt werden. Bei einer prospektfreien Emission wird die erforderliche Anlegerinformation zur Vermeidung von Haftungsrisiken durch ein besonders ausführliches Bezugsangebot mit Risikohinweisen erfolgen.Die Konsortialbanken könnten sich in diesem Fall auf eine Vertreterposition der zeichnungswilligen Aktionäre im Rahmen eines unmittelbaren Bezugsrechts (Vertretermodell) zurückziehen. Ein von Aktionärsvereinigungen und Einzelaktionären jüngst gefordertes Mehr- oder Überbezugsrecht besteht gesetzlich nicht. Es wäre technisch nur bei sogenannten Best-Efforts-Kapitalerhöhungen umzusetzen, bei denen die Konsortialbanken das Kapitalerhöhungsvolumen nicht vollständig zeichnen. Aber selbst bei Best-Efforts-Kapitalerhöhungen wird im Einzelfall zu entscheiden sein, ob die Einräumung von Mehr- oder Überbezugsrechten für Altaktionäre den Emissionserfolg gefährdet, wobei hierdurch die Transaktionssicherheit für Neuinvestoren verringert wird. *) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor der Bucerius Law School, Hamburg. Er hat Conergy im Zuge ihrer Rekapitalisierungsmaßnahmen seit Oktober 2007 beraten.