RECHT UND KAPITALMARKT

Sanktionen gegen kriminelle Unternehmen

Gesetzgeber will Konzerne deutlich schärfer zur Rechenschaft ziehen - Anreize für Investitionen in Compliance-Programme

Sanktionen gegen kriminelle Unternehmen

Von Tine Schauenburg und Laura Christiane Nienaber *)Die Bundesjustizministerin hat den lange erwarteten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgestellt. Der Gesetzentwurf will die Sanktionierung von Unternehmen und sonstigen Verbänden auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage stellen: Das “Verbandssanktionengesetz”. Für große Unternehmen ist unter anderem eine drastische Erhöhung von Geldsanktionen auf bis zu 10 % beziehungsweise bei mehreren Verstößen sogar 20 % des Konzernjahresumsatzes vorgesehen. Zugleich soll eine Verpflichtung der Behörden zur Verfolgung bei Verdachtsfällen eingeführt werden (“Legalitätsprinzip”). Regelungen für unternehmensinterne Untersuchungen sind in Form eines Anreizprinzips enthalten: Werden solche Untersuchungen nach den Vorgaben des Gesetzes geführt, soll dies zu einer deutlichen Reduzierung der Sanktion führen können. Die gesetzgeberische Intention dahinter: Ermittlungsbehörden sollen ohne große Schwierigkeiten auf die Ergebnisse einer Internal Investigation zugreifen können. VerfolgungszwangStand es bisher im weiten Ermessen der Behörden, ob Unternehmen bei der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit durch eine ihrer Leitungspersonen ebenfalls verfolgt werden, würde sich dies mit Einführung eines Verfolgungszwangs bei Verdacht auf eine aus dem Unternehmen heraus begangene Straftat nun grundlegend ändern. Als Korrektiv der abzusehenden Überlastung der Justiz sieht der Entwurf aber auch Verfahrenseinstellungsmöglichkeiten vor. Ist der Verstoß geringfügig, wird das Unternehmen bereits effektiv im Ausland verfolgt oder kommt es gerichtlichen Weisungen nach, zum Beispiel zur Verbesserung oder erstmaligen Einführung eines Compliance Management-Systems (CMS), soll das Verfahren eingestellt werden können.Das bekannte Modell, nach dem das sanktionsbewehrte Handeln von Leitungspersonen dem Unternehmen zugerechnet wird, bleibt erhalten. Bei Straftaten von Leitungspersonen oder Straftaten von Mitarbeitern – einhergehend mit einer Aufsichtspflichtverletzung einer Leitungsperson – soll das neue Gesetz angewendet werden. Sind nur Bußgeldtatbestände verletzt, soll es auch für das Unternehmen bei einem Bußgeld bleiben. Bei Bestehen eines Sitzes im Inland soll das Unternehmen in Zukunft unter bestimmten Voraussetzungen auch für Taten sanktioniert werden können, die ein ausländischer Konzernangehöriger im Ausland begeht. Dies wird künftig die Sanktionsrisiken für international agierende Unternehmen erhöhen.Bisher lag die Höchstgrenze einer Unternehmensgeldbuße bei 10 Mill. Euro im Fall vorsätzlicher Straftaten von Leitungspersonen. Nun sollen gegen Unternehmen mit einem Konzernjahresumsatz von mehr als 100 Mill. Euro Sanktionen von bis zu 10 % des Umsatzes verhängt werden können, bei mehreren Verstößen (“Tatmehrheit”) sogar bis zu 20 %. Maßgeblich für die Bemessung ist der durchschnittliche Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre. Daneben bleibt das Instrument der Gewinnabschöpfung erhalten. Sind viele Geschädigte betroffen, soll im Einzelfall auch eine Veröffentlichung der Sanktionierung in Betracht kommen. Als Ultima Ratio sieht das Gesetz in besonderen Fällen die Liquidation des Verbandes vor.Als mildere Mittel sind eine Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt, Auflagen und Weisungen vorgesehen. Unternehmen sollen beispielsweise angewiesen werden können, ein CMS zu implementieren oder ein bestehendes CMS zu verbessern und den Erfolg der Bemühungen durch die Bescheinigung einer “sachkundigen Stelle” nachzuweisen. Damit würde das aus dem US-Recht bekannte Prinzip des Monitorship in das deutsche Recht übernommen.Ein bestehendes effektives CMS soll auch sanktionsmildernd berücksichtigt werden können. Nicht im Entwurf enthalten sind allerdings Vorgaben dazu, wie ein CMS konkret ausgestaltet sein soll. Hier bleiben weiterhin Rechtsprechung und anerkannte Standards relevant. Fest steht: Für den Bereich Compliance gibt es keine “One size fits all”-Lösung. Die Bewertung eines CMS erfordert beispielsweise ein grundlegendes Compliance Risk Assessment.Positiv zu bewerten sind die Regelungen, durch die sich die Verfahrensstellung des Unternehmens von einem “Beteiligten” zu einem “Beschuldigten” ändert. Dadurch stehen dem betroffenen Unternehmen zukünftig die Beschuldigtenrechte zu. Dazu gehört unter anderem das Recht der gesetzlichen Vertreter, die Aussage zu verweigern.Die Forderung, verbindliche Regelungen für interne Untersuchungen zu schaffen, wird mit dem Entwurf nicht erfüllt. Internal Investigations – oft mit Unterstützung externer Rechtsanwälte – werden in der Praxis mit dem Ziel durchgeführt, Verdachtsfälle aufzuklären und aufzubereiten, um Unternehmensverantwortliche in die Lage zu versetzen, damit sach- und pflichtgemäß umzugehen. Gesellschaftsrechtlich besteht zu interner Sachverhaltsaufklärung häufig eine Verpflichtung.Der Gesetzentwurf behandelt das Thema jetzt in Form eines Anreizprinzips: Er sieht die Möglichkeit einer Reduktion des Höchstmaßes der Sanktion auf die Hälfte vor, wenn eine unternehmensinterne Untersuchung durchgeführt wird. Allerdings: Alle wesentlichen Dokumente aus der Untersuchung, inklusive Abschlussbericht, müssen den Verfolgungsbehörden dafür zur Verfügung gestellt werden. Hoher PreisVoraussetzung für eine Sanktionsmilderung ist darüber hinaus die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Behörden und ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung der Verbandsstraftat. Die Untersuchung darf zudem nicht durch Anwälte durchgeführt werden, die als Verteidiger tätig werden. Schließlich müssen bei der Untersuchung die Grundsätze eines fairen Verfahrens beachtet werden. Dazu gehört, dass Mitarbeitern in Befragungen eine “Selbstbelastungsfreiheit” zugestanden wird und sie einen anwaltlichen Beistand beiziehen dürfen. Arbeitsrechtlich sind diese Punkte durchaus umstritten.Der Gesetzgeber würde so einen Anreiz schaffen, intern Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen. Freilich zu einem hohen Preis: Der Raum für eine ausschließlich am Unternehmensinteresse ausgerichtete Verteidigung wird eingeschränkt. Der Fokus liegt auf dem staatlichen Ermittlungsinteresse.Das Verbandssanktionengesetz soll auch die bestehende Rechtsunsicherheit im Bereich der Beschlagnahme von Unterlagen aus Internal Investigations beseitigen, indem Beschlagnahmeverbote ausdrücklich auf das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger beschränkt werden. Nicht geschützt ist danach die Sachverhaltsaufklärung, die vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens stattfindet. Auch nicht geschützt ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Unternehmen und dem die interne Untersuchung durchführenden Anwalt – sofern er nicht gleichzeitig Verteidiger ist. Sachverhaltsaufklärung und Verteidigung in dieselben anwaltlichen Hände zu geben, soll für Unternehmen aber unattraktiv gemacht werden. Denn die Sanktionsmilderung aufgrund interner Untersuchungen soll nur greifen, wenn diese nicht durch den Verteidiger durchgeführt werden. Soweit es sich nicht um Verteidigungsunterlagen handelt, können die Unterlagen auch bei Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten und Steuerberatern beschlagnahmt werden.Wozu die Neuregelungen in der Unternehmenspraxis führen werden, bleibt abzuwarten. Durch die drastische Erhöhung der Sanktionen und den Verfolgungszwang wird der Druck, ein effektives CMS zu unterhalten, sicherlich noch erhöht. Bei der Entscheidung, eine unternehmensinterne Untersuchung durchzuführen, wird bei Inkrafttreten der vorgeschlagenen Regelungen künftig abzuwägen sein, inwieweit die gesetzlichen “Vorgaben” berücksichtigt werden, um in den Genuss der Sanktionsmilderung kommen zu können – unter Umständen unter Preisgabe anderer Unternehmensinteressen. *) Dr. Tine Schauenburg ist Partnerin, Dr. Laura Christiane Nienaber Associate von White & Case.