RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: LUTZ KRÄMER

"Schaulaufen" über Vorstandsgehälter kann auch zu Fehlanreizen führen

Nach Schweizer Plebiszit: Verbindliches Say on Pay zur Vergütungsstruktur sinnvoll

"Schaulaufen" über Vorstandsgehälter kann auch zu Fehlanreizen führen

– Herr Dr. Krämer, die Schweizer Volksabstimmung zu Managergehältern stößt auch hierzulande auf große Resonanz. Wäre es nach deutschem Recht möglich, die Aktionäre regelmäßig und verbindlich über die Höhe der Vorstandsgehälter abstimmen zu lassen?Zunächst ist zwischen einer verbindlichen Abstimmung über die Struktur der Vorstandsvergütung, das heißt fester sowie kurzfristiger und langfristiger variabler Vergütungskomponenten und einer verbindlichen Abstimmung über konkrete Vorstandsgehälter zu unterscheiden: Über die Struktur der Vorstandsvergütung . . .- . . . das “Say on Pay” . . .. . . kann die Hauptversammlung bereits heute beschließen. Der Gesetzgeber hat die Kompetenzen zwischen Aufsichtsrat und Hauptversammlung aber bewusst in der Weise austariert, dass der HV-Beschluss eine starke faktische Bindung, nicht jedoch rechtliche Konsequenzen zeitigt. Die Politik scheint diese Grundsatzentscheidung nun verändern zu wollen. Ein verbindlicher Hauptversammlungsbeschluss zur Struktur der Vorstandsvergütung wäre rechtlich zulässig; ein Gehaltsgrenzen umfassender Detaillierungsgrad jedoch fragwürdig und schädlich.- Könnten verbindliche Say-on-Pay-Beschlüsse von anderen Aktionären angefochten werden?Die derzeitige Diskussion berücksichtigt viel zu wenig die durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, die verschärfte Haftung der Aufsichtsräte sowie erheblich gesteigerte Transparenz durch den Vergütungsbericht und die neuen Empfehlungen der Kodexkommission geschaffenen austarierten Aufsichts- und Transparenzpflichten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst ein extrem zügig in die Aktienrechtsnovelle aufgenommenes verbindliches Say on Pay diese “demokratische” Entscheidung über die Vergütungsstruktur oder sogar etwaige Gehaltsgrenzen der Anfechtungslust einzelner Aktionäre aussetzt.- Der Aufsichtsrat wäre in einer seiner zentralen Aufgaben entmachtet; würde dies die Gewaltenteilung im zweistufigen Governance-System zerstören?In der Tat würde der Aufsichtsrat durch zu rigide und unflexible Vorgaben in seinem Königsrecht, der Personalkompetenz, erheblich beschnitten. Am ehesten wäre eine moderate Stärkung der Hauptversammlung durch ein verbindliches Say on Pay zur Vergütungsstruktur – nicht aber zu verbindlichen Obergrenzen – geeignet, die bewährte Kompetenzaufteilung zwischen Aufsichtsrat und Hauptversammlung minimalinvasiv zu korrigieren. Es sollte zu denken geben, dass gerade auch die Aktionärsvereinigungen und zahlreiche Großaktionäre dem Vorhaben skeptisch gegenüberstehen: Die Erfahrung aus den letzten Jahren lehrt, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Aufsichtsräte größerer Aktiengesellschaften viel Zeit und Einsatz auf die Überarbeitung der Vergütungssysteme gelegt hat.- Die Öffentlichkeit ist zunehmend erzürnt über Boni oder Pensionszusagen in zweistelliger Millionenhöhe; ist eine gesetzliche Anpassung nicht doch angeraten?Das durchaus berechtigte Unverständnis über zum Teil astronomische Bonuszahlungen betrifft jedenfalls in Deutschland praktisch ausschließlich Ebenen unterhalb des Vorstands. Eine größere Transparenz bzw. Beschränkung im Sinne nachhaltiger Vergütungspolitik würde bezüglich der zweiten Führungsebene aber gerade nicht durch Hauptversammlungsbeschlüsse betroffen. Hier ist zunächst der Vorstand, aber auch der Aufsichtsrat im Sinne einer stimmigen Vergütungsstruktur des Unternehmens gefordert. Die Höhe der Pensionszusagen, gerade auch bei relativ kurzen Vorstandszeiten, ist zu Recht in den Blick der Kodexkommission gerückt. Sollte der Gesetzgeber hier wiederum der Kodexkommission vor einer Umsetzung ihrer Empfehlungen vorgreifen, würde dies ein weiteres Mal die Corporate-Governance-Kommission desavouieren.- Kann es durch gesetzliche Regelungen Fehlanreize geben?In der Tat ist vor einfachen gesetzlichen Heilsversprechen zu warnen: Ein jährliches “Schaulaufen” vor dem Plebiszit der Hauptversammlung über Vorstandsgehälter (und nicht nur deren Struktur) könnte zu ähnlichen Fehlanreizen wie bei den vormals als Heilskonzept gepriesenen Optionsprogrammen führen. Erfahrene Aufsichtsräte sollten unter dem Transparenzgebot der Öffentlichkeit und dem Damoklesschwert der Haftung weit weniger gefährdet sein als (Zufalls-)Mehrheiten der Hauptversammlung.—-Dr. Lutz Krämer ist Partner bei White & Case in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.