Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Volkmar Wagner

Schritt zum Aufbau des europäischen Marktes für Verteidigungsgüter

Neue Vergaberichtlinie der EU in Kraft - Prüfung durch neutrale Stelle möglich

Schritt zum Aufbau des europäischen Marktes für Verteidigungsgüter

Seit Juni ist die neue Verteidigungsvergaberichtlinie der EU (2009/81/EG) in Kraft. Bis August 2011 müssen die Mitgliedstaaten sie umsetzen. Ein Großteil der Vergabeverfahren bei Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen für Verteidigung und Sicherheit unterliegt künftig strengeren Wettbewerbsregeln. Der Vergaberechtsexperte Volkmar Wagner von der Kanzlei CMS Hasche Sigle erläutert, wie sich die neue Richtlinie auf den Markt auswirken wird.- Herr Dr. Wagner, was war der Anlass für die neue Verteidigungsvergaberichtlinie?Der Rüstungsmarkt in Europa hat ein Volumen von 91 Mrd. Euro im Jahr. Die Auftraggeber konnten sich bislang oft ihrer Pflicht zur europaweiten Ausschreibung entziehen – und damit den Wettbewerb im Binnenmarkt verhindern. Das war der EU ein Dorn im Auge. In ganz Europa wurden angeblich nur 13 % der Rüstungs- und Sicherheitsaufträge EU-weit ausgeschrieben. In Deutschland sollen es sogar nur 2 % gewesen sein.- Wie soll die neue Richtlinie für mehr Wettbewerb sorgen?Die Richtlinie hat den schrittweisen Aufbau eines europäischen Marktes für Verteidigungsgüter zum Ziel. Das setzt einerseits voraus, dass echter Wettbewerb stattfindet und die bislang allzu verbreitete Vergabe nach dem Grundsatz “bekannt und bewährt” aufgegeben wird. Andererseits musste die Sorge der Mitgliedstaaten um ihre Sicherheitsinteressen ernst genommen und entkräftet werden. Das Ergebnis ist ein Sondervergaberecht für Verteidigungs- und Sicherheitsaufträge, das das normale Vergaberecht verdrängt.- Heißt das, dass künftig jeder Kleinauftrag ausgeschrieben werden muss?Nein, natürlich nicht. Der Netto-Auftragswert muss bei Bauaufträgen 5,15 Mill. Euro überschreiten, bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sind es 412 000 Euro.- Welche Ausnahmen gibt es noch?Trotz des erklärten Ziels, mehr Wettbewerb zu schaffen: Es gibt nach wie vor sehr viele Ausnahmen. So gilt die Richtlinie etwa nicht für Aufträge, die einer internationalen Vereinbarung unterliegen. Sie gilt auch nicht für Aufträge, die eine Regierung an eine andere Regierung vergibt oder die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten dienen. Außerdem bestehen Ausnahmen für Verträge, die wesentliche Sicherheitsinteressen eines Staates berühren. Und bei Fällen besonderer Dringlichkeit gilt: Ist sofortiges Handeln erforderlich, muss der Auftraggeber auch künftig nicht ausschreiben.- Worauf müssen Rüstungsauftraggeber bei einer Ausschreibung achten?Zunächst muss in der Regel eine Bekanntmachung erfolgen, sodass alle geeigneten Unternehmen die Chance haben, am Vergabeverfahren teilzunehmen. Das Vergabeverfahren muss transparent sein. Die Wettbewerber müssen gleich behandelt werden. Wenn der erfolgreiche Bieter selbst öffentlicher Auftraggeber ist, muss er bei der Vergabe von Unteraufträgen selbst vergleichbare Vorschriften einhalten.- Können die Bieter sich gegen Vergaberechtsverstöße des Auftraggebers zur Wehr setzen?Ja. Es ist das besondere Verdienst des Europäischen Parlaments, dass die Verteidigungsvergaberichtlinie um Vorschriften für Nachprüfungen ergänzt wurde. Unternehmen muss die Möglichkeit einer unabhängigen Überprüfung des Verfahrens und der Entscheidung eingeräumt werden. Ohne eine solche Vorschrift wäre das neue Recht ein zahnloser Tiger.- Worauf müssen Unternehmen sich ab 2011 einstellen?Der Kuchen wird durch das neue Sondervergaberecht nicht größer. Das neue Recht wird aber dafür sorgen, dass alle geeigneten Unternehmen eine Chance auf ein Stück Kuchen bekommen – auch über Staatsgrenzen hinweg. Die mögliche Nachprüfung durch eine neutrale Stelle wird ihre Wirkung entfalten und einen erheblichen Beitrag dazu leisten, das Ziel des Gesetzgebers – schrittweiser Aufbau eines europäischen Marktes für Verteidigungsgüter – im nächsten Jahrzehnt zu erreichen.—-Dr. Volkmar Wagner ist Partner bei CMS Hasche Sigle. Die Fragen stellte Walther Becker.