Portfolio

Schweizer Stromaktien auf Einstiegskursen

Hoher Wasserkraftanteil und umfangreiche Handelsaktivitäten sind strategische Vorteile

Schweizer Stromaktien auf Einstiegskursen

Von Daniel Zulauf, Zürich 2008 wird zwar als Jahr der Extraklasse in die Geschichte der Schweizer Stromwirtschaft eingehen. Doch schon längst ist klar, dass die Gewinne der Branche im kommenden Jahr weniger üppig ausfallen. Gerade deshalb glauben manche Beobachter und Liebhaber dieses kleinen Marktsegmentes, dass der richtige Einstiegszeitpunkt gekommen ist.Die vergangenen sechs Monate haben auch den Schweizer Stromaktien arg zugesetzt. Der Wert von Atel, einem Großanbieter, der durch die bevorstehende Fusion mit der Westschweizer EOS-Gruppe Zugang zu bedeutenden zusätzlichen Wasserkraftkapazitäten erhalten wird, wurde von der Börse um über 40 % zurückgestuft. Auch die Bernischen Kraftwerke BKW, die etwa einen Fünftel mehr Strom produzieren, als sie im Inland absetzen können, mussten einen Rückgang ihres Marktwertes um mehr als 20 % hinnehmen. Die Aktien der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg, die ähnlich wie Atel ein großes internationales Handelsgeschäft betreibt, büßten mehr als 30 % ein. Auch die ebenfalls an der Schweizer Börse gehandelten Titel der Süddeutschen Energiedienst Holding, in der die deutsche EnBW ihre Schweizer Wasserkraftkapazitäten bündelt, haben seit Juni 20 % verloren. Kein einziger Schweizer Stromwert wurde vom großen Ausverkauf an der Börse verschont. Dabei weisen die meisten dieser Titel überdurchschnittlich hohe defensive Qualitäten auf, die sich mit Blick auf die anrollende Rezession bezahlt machen müssten.Das Hauptaktivum der Schweizer Stromunternehmen ist ganz einfach ihre geografische Lage. Der Alpenkamm zieht sich ziemlich genau durch die Mitte des Landes von Ost nach West. Die Alpen bilden eine 500 Kilometer lange Wasserscheide, welche die Schweiz zum sogenannten Wasserschloss Europas macht. 55 % des hierzulande produzierten Stroms gehen deshalb auf die Nutzung von Wasserkraft zurück. Das ist vermutlich der höchste Wert in ganz Europa. Niedrige ProduktionskostenZahlreiche Flusskraftwerke, die in vielen Fällen längst amortisiert sind, liefern ein Viertel der gesamten in der Schweiz erzeugten Strommenge zu sehr niedrigen Produktionskosten von unter 5 Rappen je Kilowattstunde. Hinzu kommt der sogenannte ” Spitzenstrom” aus den Stauseen in den Bergen, der dank seiner Speicherfähigkeit zu Deckung der Nachfragespitzen eingesetzt wird und mithin die besten Preise erzielt. Etwa 30 % der Schweizer Stromproduktion entfällt auf diesen Spitzenstrom. Schließlich decken fünf Kernkraftwerke weitere 40 % des Strombedarfes ab. Auch hier liegen die Gestehungskosten deutlich unter dem Niveau thermischer Kraftwerke.Die Schweizer Stromproduzenten produzieren nicht nur billig, sondern sie erzeugen Jahr für Jahr auch Produktionsüberschüsse im Bereich 3 oder 4 Mrd. Kilowattstunden. Die Überschussproduktion wurde in den vergangenen zwei Jahren im europäischen Markt zu Spitzenpreisen von bis zu 90 Euro je Megawattstunde abgesetzt. Die hohen Strompreise waren eine direkte Folge der gestiegenen Preise aller fossilen Brennstoffe, die in den thermischen Kraftwerken zur Deckung der Grenzkapazitäten benötigt werden.Der billige Schweizer Wasser- und Atomstrom brachte den hiesigen Produzenten enorme Exportgewinne. Seit Juni, als die Rohstoffpreise zu fallen begannen, sind die Spotpreise für europäischen Brandstrom auf unter 60 Euro je Megawattstunde gefallen. Damit werden auch die Exportgewinne der Schweizer Stromproduzenten fallen – allerdings nicht sofort. Die Überproduktion 2009 ist größtenteils bereits verkauft – und zwar zu besseren Preisen, als sie der Spotmarkt derzeit bietet. Und auch einen heftigen Nachfrageeinbruch haben die Stromproduzenten kaum zu befürchten. In der Schweiz bewegt sich der Anteil des konjunktursensitiven Teils der Nachfrage aus der Industrie vermutlich bei etwa 25 % – deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.Für Andreas Schneller, Manager des EIC Utility Fund, der europaweit in Versorgerunternehmen investiert, bewegen sich die Aktien der Schweizer Stromproduzenten auf Einstiegskursen. Dass sein Fonds die Titel nicht selber im Portefeuille hat, liege vor allem an der geringen Liquidität der Papiere.In vielen Fällen beschränkt sich der Free Float auf wenige Prozente der ausstehenden Aktien. Erhard Lee, dessen Fondsgesellschaft AMG unter anderem auf Schweizer Nebenwerte setzt, hält den Stromaktien seit Jahren die Treue. Kein Wunder, denn die Stromwerte waren im Rückblick der vergangenen fünf Jahre das Beste, was er in seinen Portefeuilles haben konnte. Die Schweizer Stromproduzenten profitieren nämlich schon seit Jahren davon, dass die EU ihre Märkte bereits geöffnet hat und sie sich dort mit großem Erfolg auch als Händler betätigen können.In der mittelfristigen Zukunft wird der Strompreis aufgrund der in ganz Europa entstehenden Produktionslücke weiter zunehmen, ist Thomas Schneckenburger von der UBS überzeugt. Für ihn ist das ein weiterer Grund, jetzt schon auf Schweizer Stromwerte zu setzen. Freilich geht die Zeit der Überschussproduktion auch in der Schweiz langsam dem Ende entgegen. Die Schließung der Versorgungslücke wird politisch schwierig und finanziell teuer werden. BKW und der nationale Stromriese Axpo haben soeben den Plan veröffentlicht, ihre drei ältesten Kernkraftwerke bis 2020 durch neue Anlagen zu ersetzen. Nicht nur sind sie damit sofort auf starken politischen Widerstand gestoßen, sondern es zeigt sich auch, dass die neuen AKW ein Vielfaches teurer sein werden als ihre Vorgänger. Die Zeit des billigen Atomstromes wäre dann auch hier vorbei.