RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: RALPH SCHILHA UND INGO THEUSINGER

Soll der Aufsichtsratsvorsitzende in der Krise reden oder schweigen?

Sachkompetenz prüfen - Generelle Legitimierung sinnvoll

Soll der Aufsichtsratsvorsitzende in der Krise reden oder schweigen?

– Herr Schilha, Herr Theusinger, Sie haben in einer interdisziplinären Studie gemeinsam mit der Kommunikationsberatung Hering Schuppener und Prof. Axel v. Werder von der TU Berlin die Rolle des Aufsichtsrats in der Krisenkommunikation untersucht. Aus rechtlicher Sicht: Darf sich der Aufsichtsrat in einer Krise öffentlich äußern?Schilha: Der rechtliche Rahmen der Kommunikation durch den Aufsichtsrat ist nicht abschließend geklärt. Es entspricht aber nicht nur den Bedürfnissen der Praxis, sondern lässt sich auch rechtlich gut begründen, dass der Aufsichtsrat jedenfalls im Rahmen seiner Sachkompetenzen befugt ist, mit Stakeholdern des Unternehmens zu kommunizieren: Hierfür gilt das Prinzip “communication follows competence” – in einer Krisensituation wie auch allgemein.- Müssen Aufsichtsräte in der Krisenkommunikation dann aktiv werden, soweit sie es dürfen?Theusinger: Aufsichtsräte können sich in der Krise nicht pauschal darauf berufen, dass sie rechtlich gehindert sind, sich neben oder anstelle des Vorstands zu äußern. Im Einzelfall kann es die Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder sogar gebieten, nicht mehr weiter zu schweigen, sondern im Interesse des Unternehmens auch zu kommunizieren. Vor allem Aufsichtsräte kapitalmarktorientierter Unternehmen sollten sich deshalb mit ihrer Rolle in der Unternehmenskommunikation allgemein und in Krisen im Besonderen aktiv und frühzeitig auseinandersetzen.- Welche Rolle spielt die Art der Krise?Schilha: Die Krisenkommunikation lässt sich danach kategorisieren, ob Aufsichtsrat und Vorstand an einem Strang ziehen, um die Krise zu bewältigen – wir nennen dies Konsens-Krise – oder ob sie unterschiedlicher Auffassung über die Ursache beziehungsweise Bewältigung der Krise sind – dann sprechen wir von einer Dissens-Krise. In der Konsens-Krise verlangt das Unternehmensinteresse grundsätzlich eine One-Voice-Policy von Vorstand und Aufsichtsrat, um kommunikationsbedingte Irritationen zu vermeiden und die Krise dadurch nicht zusätzlich zu verschärfen.- Wie sieht es dann mit gemeinsamen Auftritten aus?Schilha: Die sind in dieser Hinsicht nicht “ohne Stolperfallen” in der Praxis. Ist der Aufsichtsrat dagegen der Ansicht, dass der Vorstand die Krise nicht richtig handhabt oder gar selbst “Teil des Problems” ist und dadurch gravierende Risiken für das Unternehmen verursacht, wird er erwägen, diesen durch einen neuen, für die Krisenbewältigung kompetenten Vorstand auszutauschen. Die Kommunikationsaufgabe des Aufsichtsrats besteht dann in der Erläuterung von Personalfragen und weniger darin, Position zu Sachthemen zu beziehen – es sei denn, der Aufsichtsrat muss ein vorübergehendes Vakuum in der Außendarstellung des Unternehmens füllen, bis ein hierfür primär zuständiger neuer Vorstand bestellt und “sprechfähig” ist.- Entscheidet letztlich nicht allein das Unternehminteresse über das Recht des Aufsichtsrats zur Kommunikation?Theusinger: Sich immer dann zu äußern, wenn er es im Unternehmensinteresse für geboten hält, birgt für den Aufsichtsrat Risiken. Er sollte deshalb ebenso stets sorgfältig prüfen, ob die Themen, zu denen er sich äußern möchte, auch in seine Sachkompetenz fallen. Denn nur wenn der Aufsichtsrat sich im Rahmen seiner Kompetenzen äußert, kann er im Falle einer etwaigen Schädigung des Unternehmens durch seine Kommunikation die Grundsätze der Business Judgment Rule für sich in Anspruch nehmen.- Muss der Aufsichtsratsvorsitzende die Kommunikation vorab im Gremium abstimmen?Schilha: Die Kommunikationsbefugnis steht im Ausgangspunkt dem Aufsichtsrat als Kollegialorgan zu. Ob der Vorsitzende deshalb in jedem Einzelfall durch das Gesamtgremium legitimiert werden muss, ist bislang nicht geklärt. Eine solche Anforderung wäre für die Praxis kaum handhabbar. Für ein Mehr an Rechtssicherheit empfehlen wir, den Aufsichtsratsvorsitzenden zumindest generell bzw. typisierend, etwa in einer Geschäfts- oder Kommunikationsordnung, entsprechend zu legitimieren. Dies kann insbesondere in der Krise für notwendige Klarheit und Handlungsschnelligkeit sorgen.—-*) Dr. Ralph Schilha und Dr. Ingo Theusinger sind Partner von Noerr. Die Fragen stellte Walther Becker.