RECHT UND KAPITALMARKT

Steuerbehörden drohen hohe Rückforderungen

EuGH: Deutsche Dividendenbesteuerung ausländischer Anteilseigner verstößt gegen die Kapitalverkehrsfreiheit

Steuerbehörden drohen hohe Rückforderungen

Von Bodo Bender *) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 20. Oktober 2011 (Rs. C-284/09) die deutsche Dividendenbesteuerung von ausländischen Anteilseignern in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit und somit für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Betroffene ausländische Muttergesellschaften können daher grundsätzlich verlangen, in Bezug auf die Besteuerung von deutschen Dividendeneinkünften ebenso vorteilhaft wie gebietsansässige deutsche Gesellschaften behandelt zu werden. Für den deutschen Staat dürfte dies erhebliche Einnahmeausfälle zur Folge haben. Zusätzlich wird sich der deutsche Fiskus auch für die Vergangenheit hohen Steuerrückforderungsansprüchen ausgesetzt sehen. Erwartete EntscheidungDas Urteil kam nicht ganz unerwartet und führt die jüngere Rechtsprechung des EuGH zur italienischen (Rs. C-540/07) und spanischen (Rs. C-487/08) Dividendenbesteuerung konsequent fort. Hintergrund ist die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland durch die Europäische Kommission 2009. Darin wurde die Ungleichbehandlung von ausländischen gegenüber deutschen Kapitalgesellschaften bei der Besteuerung von sog. Streubesitzdividenden (also in der Regel Beteiligungen von weniger als 10 %) gerügt und Deutschland gleichzeitig aufgefordert, seine Steuervorschriften zu ändern und gemeinschaftsrechtskonform auszugestalten. Dieser Forderung war Deutschland jedoch nicht nachgekommen, weswegen die Europäische Kommission Klage erhob.Dividenden deutscher Kapitalgesellschaften unterliegen grundsätzlich einem Abzug von Kapitalertragsteuer von 26,375 %. Dies gilt zunächst in gleichem Maße für inländische und ausländische Anteilseigner. Das deutsche Körperschaftsteuergesetz sieht bei Inlandsfällen jedoch eine Steuerbefreiung der Dividenden in Höhe von 95 % vor. Inländische Muttergesellschaften haben zudem Anspruch auf eine vollumfängliche Anrechnung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer auf ihre deutsche Körperschaftsteuerschuld. Ein etwaiger, die festgesetzte Steuer übersteigender Betrag wird erstattet. Dies hat zur Folge, dass die effektive Körperschaftsteuerbelastung lediglich ca. 0,8 % der Bruttodividende beträgt.Ausländischen Anteilseignern wird eine solch umfassende Entlastungsmöglichkeit von der deutschen Kapitalertragsteuer hingegen versagt. Sie können bei Bestehen eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in den meisten Fällen bestenfalls eine Reduzierung der deutschen Steuer auf 15 % erreichen oder aber eine nachträgliche Minderung um ca. 10 % beim Bundeszentralamt für Steuern beantragen. Eine vollständige Entlastung wird lediglich Muttergesellschaften ge-währt, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ansässig sind und deren Beteiligung mindestens 10 % beträgt. Im Übrigen ist die deutsche Steuer für ausländische Anteilseigner endgültig. Dies lässt unschwer erkennen, dass – wie der EuGH auch feststellt – deutsche gegenüber ausländischen Anteilseignern privilegiert besteuert werden.Der EuGH hat nun aufgrund dieser Ungleichbehandlung einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit festgestellt. Die von der Bundesregierung in dem Verfahren vorgetragenen Rechtfertigungsgründe für eine solche Ungleichbehandlung werden von ihm nicht anerkannt und zurückgewiesen. Insbesondere hatte Deutschland die notwendige Ausübung der nationalen Steuerhoheit geltend gemacht. Eine steuerliche Benachteiligung müsse durch den Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers dadurch ausgeglichen werden, dass dieser Staat die Anrechnung der deutschen Kapitalertragsteuer auf die ausländische (zum Beispiel französische) Steuer zulasse.Dies ist jedoch regelmäßig in Übereinstimmung mit den von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen nicht oder nur zu einem ganz geringen Teil möglich, weil die Mehrzahl der Staaten – wie auch Deutschland selbst – Dividenden von der Besteuerung ausnimmt und daher Gesellschaften in Ihrem Heimatland auf die deutschen Dividenden keine und nur in ganz geringem Umfang Steuern zahlen. Die Anrechnung läuft somit ins Leere und die ausländische Gesellschaft bleibt im Gegensatz zu einer deutschen Kapitalgesellschaft mit der deutschen Steuer endgültig belastet.Die Grundsätze des Urteils sind allgemein gültig. Betroffene Gesellschaften können sich ungeachtet der anders lautenden deutschen Vorschriften auf das für sie günstigere EU-Recht berufen. Brisant und teuer dürfte dies für den deutschen Fiskus aus mehreren Gründen werden. Zum einen betrifft das Urteil nicht nur zukünftige Dividendeneinnahmen. Vielmehr können ausländische Anteilseigner grundsätzlich auch für die Vergangenheit eine nachträgliche Erstattung von zu viel einbehaltener deutscher Kapitalertragsteuer beantragen. Zum anderen können sich grundsätzlich auch Gesellschaften aus Drittstaaten, also über die Grenzen der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) hinaus, gegenüber dem deutschen Fiskus auf eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die deutsche Dividendenbesteuerung berufen.Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Jahr 2009 (Az. I R 53/07) für den Fall einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft dürfte angesichts der jüngsten Rechtsprechung des EuGH in dieser Form nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Damals hatte der BFH eine Vorlage an den EuGH noch unter Hinweis auf die “Eindeutigkeit” der Gemeinschaftsrechtslage abgelehnt. Reihe von UnsicherheitenAllerdings verbleiben auch eine Reihe von Unsicherheiten. Der EuGH äußert sich leider nicht weiter zu der Frage, ob eine Ungleichbehandlung und damit eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Die bloße Verringerung von Steuereinnahmen wird durch den EuGH jedenfalls nicht als ausreichend erachtet. In dem vorangegangenen Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien hatte der EuGH den Umstand, dass etwa zwischen Italien und dem Fürstentum Liechtenstein keine Verpflichtung zum Informationsaustausch und zur Amtshilfe in Steuersachen besteht, im Ergebnis als Rechtfertigungsgrund anerkannt.Deutschland hat in den vergangenen Jahren indes mit zahlreichen anderen Staaten auch außerhalb der EU (u. a. Schweiz, Liechtenstein und Cayman Islands) die Grundlagen für einen steuerlichen Informationsaustausch geschaffen. Anteilseigner aus Staaten, mit denen derzeit noch kein Informationsaustausch erfolgt, könnten mit einem Erstattungsantrag ungeachtet des vorliegenden Urteils ggf. auf Widerstand der deutschen Finanzverwaltung stoßen.Weitgehend ungeklärt sind zudem die sich aus dem Urteil ergebenen verfahrensrechtlichen Fragen. Die deutschen Steuergesetze sehen bislang keine ausdrücklichen Regelungen zu den einschlägigen Erstattungsverfahren vor. Denkbar wäre, Erstattungen über das Bundeszentralamt für Steuern zu bearbeiten, das bereits heute u. a. in DBA-Fällen für Anträge auf Freistellung bzw. Erstattung von Kapitalertragsteuer zuständig ist. Sinnvoller dürfte jedoch sein, ausländischen Anteilseignern, ein Veranlagungswahlrecht zur deutschen Körperschaftsteuer einzuräumen.Sicherheitshalber sollten betroffene ausländische Anteilseigner unter Berufung auf das ergangene EuGH-Urteil einen Erstattungsantrag bei dem für Sie nach § 20 der Abgabenordnung (AO) zuständigen Finanzamt stellen bzw. gegen ablehnende Bescheid Rechtsbehelfe einlegen.Umgekehrt gilt dies natürlich auch für deutsche Anteilseigner ausländischer Gesellschaften, die in vergleichbaren Konstellationen mit ausländischer Quellensteuer belastet sind und diese in Deutschland nicht auf ihre Körperschaftsteuer anrechnen konnten. Es wäre wünschenswert, wenn der deutsche Gesetzgeber trotz der zu erwartenden finanziellen Belastungen aus dem Urteil des EuGH zügig die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtskonforme Ausgestaltung der deutschen Dividendenbesteuerung schaffen würde.—-*) Dr. Bodo Bender ist Partner im Bereich Steuerrecht im Frankfurter Büro der Anwaltssozietät Shearman & Sterling.