Steuerentlastungen und Risiken für Aufsichtsräte
Herr Dr. Demuth, der Bundesfinanzhof hat ein Urteil zur Besteuerung von Aufsichtsratsmandaten veröffentlicht. Was ist der wesentliche Inhalt des Urteils?Das Urteil betrifft die umsatzsteuerliche Behandlung von Aufsichtsräten. Umsatzsteuerpflichtig können nur (noch) selbstständige Unternehmer sein. Der BFH entschied, dass ein Aufsichtsrat nur dann selbstständig sei, wenn er auf eigene Verantwortung handle und das wirtschaftliche Risiko für seine Tätigkeit trage. Auf eigene Verantwortung handle grundsätzlich aber das einzelne Aufsichtsratsmitglied nie. Mit welcher Begründung?Der BFH argumentiert, das einzelne Aufsichtsratsmitglied handle nicht eigenverantwortlich, sondern unter der Verantwortung des gesamten Aufsichtsratsgremiums und sei deshalb nur ein Teil desselben. Das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trage ein Aufsichtsratsmitglied außerdem nicht, sofern es fest vergütet werde. Demnach sei ein Aufsichtsratsmitglied jedenfalls dann nicht umsatzsteuerpflichtig, wenn seine Vergütung nicht von der Sitzungsteilnahme oder der aufgewendeten Zeit abhänge. Als Mitglied des gesamten Gremiums wirke das einzelne Aufsichtsratsmitglied lediglich an Entscheidungen mit, treffe solche aber üblicherweise nicht allein. Fahrlässige Handlungen würden nur eine Verantwortlichkeit nach § 116 Aktiengesetz begründen. Sie wirken sich jedoch nicht unmittelbar auf die Vergütung aus. Der BFH hat somit seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben?Bisher war die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds ausnahmslos umsatzsteuerpflichtig. Eine Änderung dieser Praxis bahnte sich bereits durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH IO EU:C:2019:490) an. Dieser entschied für einen anderen Fall, dass ein Aufsichtsrat unter bestimmten Umständen nicht umsatzsteuerpflichtig sei. Nun hatte sich auch der BFH mit einer ähnlichen Konstellation zu befassen. Da das deutsche Umsatzsteuerrecht von der EU-Mehrwertsteuersystem-Richtlinie geprägt ist, wirkte sich das EuGH-Urteil auch auf die Rechtsprechung des BFH aus. Der BFH lässt offen, ob für den Fall, dass ein Aufsichtsrat variabel vergütet wird, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist. Welche Folgen hat das?Insbesondere für Aufsichtsräte, die eine variable Vergütung erhalten, stellen sich damit Folgefragen, die derzeit niemand beantworten kann. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung zur Reaktion der Finanzämter Stellung nimmt. In jedem Fall ist ein weiteres BFH-Urteil zu erwarten. Was ist fest vergüteten Mandatsträgern zu empfehlen?In der Zwischenzeit müssen sich Unternehmen und Aufsichtsräte mit der Situation arrangieren. In Zukunft ist diese neue Rechtsprechung für sie von Vorteil. Die Umsatzsteuerpflicht geht auch immer mit einer Vorsteuerabzugsberechtigung einher. Das bedeutet, Steuerpflichtige dürfen die Umsatzsteuer, die sie selbst bezahlen, zum Beispiel auf Hotelübernachtungen, Bürobedarf oder Fahrtkosten, als sogenannte Vorsteuer von dem Betrag abziehen, den sie selbst an das Finanzamt abführen müssen. Weil Aufsichtsräte hauptsächlich für ihre eigene persönliche Tätigkeit vergütet werden, ist die Vorsteuer meist gering. Sie steht in keinem Verhältnis zum Aufwand für die Abgabe der Steuererklärungen. Aufsichtsratsmitglieder, die nicht mehr steuerpflichtig sind, werden damit durch die neue Rechtsprechung entlastet, indem sie keine Steuererklärungen mehr abgeben müssen. Wie sieht es bei variabler Bezahlung aus?Auch Aufsichtsräte, die variabel vergütet werden, sollten darauf achten, dass ihre Steuerbescheide nicht bestandskräftig werden. Denn entscheidet in Zukunft ein Gericht, dass auch sie nicht umsatzsteuerpflichtig sind, drohen ihnen dieselben Risiken. Allerdings müssen sie darauf achten, allen steuerlichen Pflichten nachzukommen. Sonst riskieren sie Bußgelder oder gar strafrechtliche Verfolgung. Das erste Gebot bei diesem Vorgehen ist die Transparenz dessen, was man dem Finanzamt gegenüber erklärt. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass ein Finanzgericht bei variablen Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder doch für eine Steuerpflicht entscheidet. Dr. Björn Demuth ist Partner von CMS Deutschland.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.