Recht und Kapitalmarkt

Strafrecht muss auch bei Korruption Ultima Ratio sein

In Deutschland keine echte Kriminalstrafe für juristische Personen - Prävention mühsam, aber effektiv - Kein Beleg für Sanktionslücken

Strafrecht muss auch bei Korruption Ultima Ratio sein

Von Von Marijon Kayßer *) Es war zu erwarten, dass die Ermittlungen gegen Verantwortliche von Siemens erneut zu einem Ruf nach Strafen für das Unternehmen führen. Ermittlungen dieser Art provozieren seit Jahren immer wieder die Forderung nach einem Unternehmensstrafrecht. Diese Forderung wird meist mit dem Argument vorgetragen, es herrsche im Unternehmen nicht selten eine “organisierte Unverantwortlichkeit”, die es schwierig mache, die Straftäter zur Rechenschaft zu ziehen. Auch fehle es an einer wirklichen Abschreckungswirkung der bisher möglichen Geldbußen, da das Unternehmen diese aus der “Portokasse” zahlen könne. Und selten fehlt der Hinweis auf die Rechtsordnungen anderer Länder, die Verbandsstrafen längst eingeführt, die Probleme der Zeit erkannt und durch eine moderne Kriminalpolitik gelöst hätten. Anders als Politik und Interessenvertreter kann sich der Gesetzgeber spontane Willensäußerungen nicht erlauben. Die Kriterien der Gesetzgebung haben rational zu sein. Rationalität beim Thema Unternehmensstrafrecht setzt in erster Linie eine präzise Bedarfsanalyse voraus. Brauchen wir ein neues Strafrecht für Verbände? Tradierter SchuldbegriffTatsächlich fehlt es in Deutschland an einer echten Kriminalstrafe für juristische Personen. Im Jahre 2000 hat eine Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, seinerzeit vom Bundesjustizministerium eingesetzt, ihren Bericht zu einem Unternehmensstrafrecht vorgelegt. Entgegen der vielfach vorgebrachten Behauptung, die bestehenden internationalen Regelungen verpflichteten Deutschland zur Einführung eines solchen Unternehmensstrafrechts, hat die Kommission deutlich erklärt, dass dem – nach wie vor – nicht so ist. Und ebenso deutlich wurden die vielen ungelösten verfassungsrechtlichen und strafprozessualen Probleme bei Einführung eines Unternehmensstrafrechts benannt, die auf den “Weg in ein anderes Strafrecht” liegen – ein anderes Strafrecht als das uns bekannte Schuldstrafrecht. Das Schuldstrafrecht begriff jedenfalls von Mitte des 19. Jahrhunderts an Schuld als etwas, was nur den einzelnen Menschen treffen kann. Dass dieser traditionelle Schuldbegriff mit einer Unternehmensstrafbarkeit in Kollision gerät, liegt auf der Hand: Unternehmen sind weder schuldfähig, noch handeln sie selbst einem “Willen” entsprechend; Verbandsstrafrecht muss zwingend ein anderes Strafrecht sein. Ausreichende MöglichkeitenIn Anbetracht der vielfältigen rechtlichen Probleme eines “echten” und “neuen” Unternehmensstrafrechts hat die Kommission die bereits bestehenden Möglichkeiten der Sanktionierung juristischer Personen resümiert. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die bereits vorhandenen Möglichkeiten vielfältig und ausreichend sind und die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates zum Unternehmensstrafrecht in Deutschland bereits weitgehend umgesetzt sind. Dass sich solche Regelungen nicht überwiegend im Strafrecht, sondern im Ordnungswidrigkeiten- und Verwaltungsrecht befinden, macht sie nicht weniger effektiv und lässt uns kaum hinter anderen Rechtsordnungen zurückstehen, denen die Trennung zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ohnehin nicht geläufig ist und die, pragmatischer, als Strafrecht begreifen, was “wehtut”. Das Wirtschaftsstrafrecht der Bundesrepublik hält eine in den letzten 20 Jahren explosionsartig gestiegene Zahl von Tatbeständen bereit, wegen deren sich natürliche Personen strafbar machen können. Tatsächlich geschieht es nicht selten, dass Straftaten, wie insbesondere die Korruption, im vermeintlichen Interesse des Unternehmens begangen werden und ihre Begehung im Extremfall gar goutiert wird. Wäre es nicht gerecht, dass in den Fällen, in denen die verantwortlichen natürlichen Personen nicht mit hinreichender Sicherheit überführt werden können, das Unternehmen selbst sanktioniert wird? Oder aber das Unternehmen neben den verurteilten Verantwortlichen selbst ebenfalls sanktioniert wird? Wenn man diese Fragen bejaht, braucht man kein neues Unternehmensstrafrecht. Solche Folgen für das Unternehmen sind längst die Realität unseres Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Unter den Voraussetzungen der Paragraphen 30 und 130 Ordnungswidrigkeitengesetz können gegen das Unternehmen erhebliche Geldbußen festgesetzt werden, und zwar neben der Verurteilung von Mitarbeitern wie auch in dem Fall, in dem ein namentlich bekannter Individualtäter nicht ermittelt werden kann. In vielen Äußerungen wird beklagt, die mögliche Geldbuße gegen das Unternehmen habe eine Obergrenze von “nur” 1 Mill. Euro, diese Kosten könne das Unternehmen doch schlicht abschreiben. Diese Klage ist unbegründet. Das Ordnungswidrigkeitenrecht erlaubt das Überschreiten dieser Millionenmarke in allen Fällen, in denen der wirtschaftliche Vorteil durch die kriminelle Tat den Betrag von 1 Mill. Euro übersteigt. Die Höhe der Geldbuße soll sich dann an der Höhe jenes Vorteils orientieren und kann damit viele Millionen betragen. Der Öffentlichkeit bekannt sind solche exorbitant hohen Geldbußen meist nur aus dem Kartellrecht. Die im System unseres Strafrechts vorhandenen Maßnahmen der Einziehung und des Verfalls, die sich nicht nur gegen die natürliche, sondern auch gegen die juristische Person richten können, sofern das Unternehmen aus der Straftat einen Vorteil erlangt hat, haben bei nüchterner Betrachtung der Praxis strafähnlichen Charakter. Dies gilt jedenfalls, seitdem für die Vorschriften des Verfalls das sog. Bruttoprinzip gilt. Das Unternehmen kann sich gegen die Höhe der Vermögensabschöpfung nicht mit dem Argument wehren, es habe doch “netto” durch die Straftat nur den Betrag X “verdient”, da beispielsweise ordnungsgemäß Steuern gezahlt worden seien. Die Einziehung des Vermögens wird über den gesamten Bruttobetrag angeordnet. Hat das Unternehmen etwa durch Korruption einen Auftrag erlangt, ist vom Verfall die Gesamtheit der durch den Auftrag “erlangten” Vermögenswerte betroffen, ohne Abzug von Kosten. Neben diese unmittelbaren Folgen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts treten außerdem zahlreiche mögliche verwaltungsrechtlichen Folgen, von denen nur das Erlöschen einer Gewerbe- oder auch einer Bankerlaubnis erwähnt sei. Und schließlich kann sich das Unternehmen auch erheblichen zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen ausgesetzt sehen. Abschreckung kaum messbar Es kann mit guten Gründen angenommen werden, dass “echte” Geldstrafen eines “echten” Verbandsstrafrechts keine größere Abschreckungswirkung als die bereits vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten entfalten. Die vermeintliche oder wirkliche, jedenfalls aber schlecht zu messende Abschreckungswirkung von Strafen kann im Übrigen nicht das entscheidende Argument für die Einführung neuer oder härterer Strafen sein. Die Grundsätze des rechtsstaatlichen Strafens, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gebieten hier Einhalt. Unverhältnismäßige Strafen gegen das Unternehmen sind genauso inakzeptabel, wie sie bei natürlichen Personen gegen die Grundsätze unseres Rechtsstaates verstoßen. Anteilseigner betroffenDies gilt nicht nur deshalb, weil von den Sanktionen gegen das Unternehmen viele “Unschuldige”, so die Anteilseigner, betroffen sind. Die Beobachtung der rechtspolitischen Diskussionen der beiden vergangenen Jahrzehnte lässt nicht selten den Eindruck entstehen, dass es am nötigen Bewusstsein hierfür fehlt. Viele Wirtschaftsskandale haben erschreckende Geschäftspraktiken ans Licht gebracht. Der häufig anzutreffende Generalverdacht gegen die deutsche Wirtschaft ist jedoch deplaciert und ebenso ohne jede empirische Grundlage wie die Rede von der organisierten Unverantwortlichkeit. Die zitierte Expertenkommission hat jedenfalls eine solche Empirie nicht feststellen können und insgesamt, von Einzelfällen abgesehen, keinen Nachweis für die vielfach behaupteten Sanktionslücken finden können. Auch in der Bekämpfung einer Unternehmenskriminalität gilt: Das Strafrecht muss die Ultima Ratio im gesetzgeberischen Programm sein. Sofern mildere Maßnahmen zum Ziel führen, sind diese zu ergreifen. Vom Scheitern der Corporate Gouvernance kann bislang ebenso wenig die Rede sein wie vom Versagen anderer präventiver Compliance-Maßnahmen. Die Etablierung und Fortführung dieser präventiven Programme wird mühsam, aber letztlich effektiver als die Ausdehnung der Strafbarkeit sein. *) Dr. Marijon Kayßer ist Rechtsanwältin und European Counsel der internationalen Anwaltssozietät Jones Day in Frankfurt.