"Syndikusanwälte sollten in Schutz des Anwaltsprivilegs einbezogen werden"
Das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) hat jetzt über die Reichweite des sogenannten Anwaltsprivilegs bei Durchsuchungen durch die Europäische Kommission entschieden (Verb. Rs. T-125/03 und T-253/03). Dabei entschied das Gericht über die Verwertbarkeit von Unterlagen, die bei einer Durchsuchung von Akzo Nobel 2003 sichergestellt wurden. – Herr Dr. Buntscheck, worum genau ging es in diesem Fall?Das Gericht hatte über die Reichweite des Anwaltsprivilegs im kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren zu entscheiden. Im Kern ging es um die Frage, ob Unterlagen, die im Zusammenhang mit einer anwaltlichen Beratung stehen, von der EU-Kommission beschlagnahmt werden dürfen. – Ganz konkret, welche Unterlagen fallen unter das Anwaltsprivileg?Nicht beschlagnahmt werden darf der Schriftwechsel mit externen Anwälten, sofern er einen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens aufweist. Nicht beschlagnahmt werden dürfen auch Unterlagen, die den Wortlaut oder das Ergebnis einer telefonischen Beratung wiedergeben. Das Gericht stellt klar, dass auch Unterlagen nicht beschlagnahmt werden dürfen, die nachweislich ausschließlich zu dem Zweck erstellt wurden, anwaltlichen Rechtsrat einzuholen. Andererseits soll es dabei bleiben, dass das Anwaltsprivileg im europäischen Recht nicht für Unternehmensjuristen gilt. Schriftwechsel zwischen Unternehmen und Unternehmensjurist darf also weiter beschlagnahmt werden. – Warum wird die Gleichstellung von Unternehmensjuristen und externen Anwälten abgelehnt?Entscheidend war, dass es bei der Behandlung von Unternehmensjuristen in den EU-Mitgliedstaaten keine einheitliche Linie gibt. In vielen Ländern gilt das Anwaltsprivileg nicht für Unternehmensjuristen. In anderen ist dies umstritten. Deshalb sah das Gericht keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzurücken. Eine Erstreckung des Anwaltsprivilegs auf Unternehmensjuristen sei nicht erforderlich, um den Unternehmen eine effektive Kartellrechts-Compliance zu ermöglichen. Denn der Schriftverkehr zwischen Unternehmensjurist und externem Anwalt werde ja geschützt. Der Unternehmensjurist könne mit dem externen Anwalt an der Aufklärung problematischer Sachverhalte mitwirken, ohne die spätere Beschlagnahme der dabei entstandenen Dokumente befürchten zu müssen. – Klingt plausibel.Im Prinzip ja. Auch wenn die Notwendigkeit, stets einen externen Anwalt einbeziehen zu müssen, mit zusätzlichen Kosten und Effizienzverlusten verbunden ist. Das Problem liegt aber nicht im europäischen, sondern im deutschen Recht. – Inwiefern? Hierzulande gibt es keinen Schutz von Anwaltskorrespondenz, der diesen Namen verdient. Es gilt der Grundsatz, dass auch Anwaltskorrespondenz beschlagnahmt werden darf, wenn sie vom Mandanten aufbewahrt wird. Sie wird nur so lange geschützt, wie sie sich im Gewahrsam des Rechtsanwalts befindet. Etwas anderes gilt nur für “echte Verteidigerpost”, die bei einem laufenden Straf- oder Bußgeldverfahren entstanden ist. Auch die Behandlung von Syndikusanwälten ist nicht abschließend geklärt. Es ist keineswegs klar, dass Unterlagen, die sich im Gewahrsam des Syndikusanwalts befinden, von deutschen Kartellbehörden nicht beschlagnahmt werden dürfen. Gerade das Landgericht Bonn, das für die Überprüfung von Ermittlungsmaßnahmen des Bundeskartellamts zuständig ist, geht entgegen der herrschenden Meinung davon aus, dass der Syndikusanwalt auch nach deutschem Recht nicht in das Anwaltsprivileg einzubeziehen ist. – Was bedeutet das für in Deutschland tätige Unternehmen? Für sie ist nicht vorhersehbar, von welcher Kartellbehörde sie durchsucht werden. Sie müssten sich theoretisch am geringsten Schutzniveau – dem deutschen Recht – orientieren, um jedes Risiko auszuschließen. Das bedeutet, dass brisante Anwaltskorrespondenz wie Stellungnahmen, die auf mögliche Kartellverstöße hinweisen, nicht im Unternehmen, sondern ausschließlich beim externen Anwalt aufbewahrt werden dürften – oftmals nicht praktikabel. – Wird sich an dieser Situation in absehbarer Zeit etwas ändern?Der deutsche Gesetzgeber wird wohl nicht tätig. Zu lange schon gibt es die Beschränkung des Beschlagnahmeverbots auf die Kanzleiräume. Zu hoffen bleibt, dass die Gerichte zu einer einheitlichen Linie finden und die Syndikusanwälte in den Schutz des Anwaltsprivilegs einbeziehen. Dann könnten auch in Deutschland Unternehmensjuristen aktiv an der Aufdeckung möglicher Kartellverstöße mitwirken, ohne eine spätere Beschlagnahme befürchten zu müssen. Das würde zu einer noch effektiveren Kartellrechts-Compliance beitragen, die ja nicht zuletzt im öffentlichen Interesse liegt. Dr. Martin Buntscheck ist Rechtsanwalt bei Weil, Gotshal & Manges LLP in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.